Brüderlich

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Als Gregory erwachte, fror er und sein Nacken war komplett steif. Er versuchte sich zu strecken, doch sein Rücken protestierte. Im Sitzen gegen die Wand gelehnt zu schlafen war wohl keine so gute Idee gewesen.

Einen Augenblick lang war ihm gar nicht klar, warum er sich in dieser Lage befand. Dann fiel ihm alles wieder ein und er sprang erschrocken auf die Beine.

Er drehte sich um, um erneut an der Badezimmertür zu klopfen, doch dann bemerkte er, dass sie auf stand.

Verdammt! Mycroft war nicht im Bad. Er war auch nicht sonst irgendwo im Hause, wie Greg feststellen musste, nachdem er in sämtlichen Räumen nach ihm gesucht hatte. Selbst in der Abstellkammer und im Keller, inklusive Mycrofts temperiertem Weinlager, das Greg sonst nie betrat.

Er machte sich Sorgen. Irgendetwas stimmte nicht, Mycroft schien es schlecht zu gehen, und er hatte keine Ahnung warum. Und während sein Freund im Raum nebenan offenbar Höllenqualen gelitten hatte, war er einfach eingeschlafen. Was war er nur für ein miserabler Lebensgefährte!

Und nun war Mycroft weg. Na, ein Wunder was das nicht, so wie er, Greg, ihn im Stich gelassen hatte.

Er seufzte.

Mycroft hatte eindeutig jemand besseren als ihn verdient.

Was auch immer los war, sie müssten das klären. Sie müssten reden.

Aber dazu musste er erst einmal herausfinden, wo Mycroft überhaupt war.

Er lief zurück ins Schlafzimmer, um sich etwas anzuziehen, und während er in seine Jeans schlüpfte, grübelte er, wo er sein könnte.

Na klar, fiel ihm ein. Sherlock.

Sicher, Mycroft und Sherlock gifteten einander an, wann immer sie nur konnten. Sherlock verspottete seinen großen Bruder, während der den jüngeren mit seiner patentierten und nicht kopierbaren Arroganz bedachte. Doch wenn es darauf ankam, waren die beiden füreinander da.

Das hatte sich bewiesen, als Sherlock dafür gesorgt hatte, dass Greg und Mycroft überhaupt zusammengekommen waren.

Das hatte sich erneut bewiesen, als Mycroft so krank geworden war und Sherlock ihnen beiden zur Seite gestanden hatte; und er hatte es nicht getan, oder sagen wir nicht nur, weil er wusste, dass John ihn dafür mit Küssen und anderen Zärtlichkeiten belohnen würde.

Und so war es für Greg wahrscheinlich, dass auch jetzt, wo Mycroft offenbar Sorgen hatte, die er aus irgendeinem Grund nicht mit seinem Lebensgefährten teilen konnte oder wollte, sich an seinen Bruder und den kleinen Doktor wenden würde.

Also schnappte Greg sich sein Telefon und wählte Sherlocks Nummer.

Es dauerte eine Weile, bis der dran ging.

„Sherlock? Hier ist Greg. Ist Mycroft bei euch?"

„Mycroft? Hier in Schottland? Was sollte der denn hier bei mir? Mischt der sich schon wieder ein?"

Verflixt, ja, Sherlock war ja gar nicht in London.

„Nein, entschuldige ... ich habe nicht daran gedacht, dass du nicht zu Hause bist. Also dann ... schönen Tag noch ..."

Er wollte auflegen, aber Sherlock schnauzte ihn an:

„Warte!"

Instinktiv verharrte Greg.

„Graham, wieso weißt du nicht, wo Mycroft ist? Habt ihr zwei euch gestritten?"

Greg verdrehte die Augen, ob des schon wieder falsch gesagten Namens. Dann antwortete er:

„Nein, gestritten nicht, aber ... es ist kompliziert. Ich erkläre es dir, wenn ich selber durchblicke, okay?"

„Okay", sagte Sherlock, „Aber, Grand, hör mal ... ich kann meinen nervigen Bruder nicht ausstehen, aber er ist immer noch mein Bruder. Und wenn du ihm wehtust, dann solltest du besser außer Landes sein, bevor ich dich in die Finger kriege, verstanden?"

Trotz allem musste Greg grinsen.

„Klar, Sherlock. Aber keine Sorge, ich will ihm nicht wehtun."

Er seufzte.

„Schon gut. Halt mich auf dem Laufenden", knurre der Consulting Detektive, bevor ein einhängte.

Greg rief als nächstes John an.

„Hi John, hier ist Greg ... ist Myke bei dir?"

Er hörte ein kurzes Zögern, dann antwortete der Arzt:

„Ja, er ist hier."

Greg fiel ein Stein vom Herzen.

„Kann ich ihn sprechen?"

„Im Moment nicht. Er war ziemlich erschöpft, ich habe ihn in mein altes Zimmer gebracht und dort in das Bett gepackt. Er schläft."

John räusperte sich.

„Hör mal, Greg. Ich weiß nicht genau, was los ist. Mycroft hat eigentlich jemanden zum Reden gebraucht, aber als es soweit war, hat er es dann doch nicht fertig gebracht. Ich glaube, derjenige mit dem er wirklich reden will und das auch dringend tun sollte, bist du. Also beweg deinen Polizistenhintern hier her, denn ich denke, es wäre gut, wenn du da bist, wenn er aufwacht."

Trotz der etwas rauen Worte spürte Greg, dass auch John es gut meinte und sich sorgte.

„Ja," sagte er, „ich bin schon unterwegs!"

Und so machte er sich auf den Weg.

Ein Taxi war schnell gefunden, doch die Fahrt in die Baker Street schien ihm ewig zu dauern.

Als er schließlich ankam, und von Mrs. Hudson eingelassen wurde, stürmte er die Treppe nach oben.

John empfing ihn an der Wohnungstür.

„Hi, Greg. Komm rein. Mrs. Hudson war so freundlich, mir Kekse zu bringen, und ich habe Tee gekocht."

Er hängte Gregs Mantel auf, bugsierte ihn zum Sofa und schenkte ihm eine Tasse des heißen Getränks ein.

Greg nahm einen Schluck.

John schaute ihn fragend und erwartungsvoll an.

Greg wich dem Blick aus. Was sollte er auch tun? Er hätte John gerne erzählt, was eigentlich los war.

Aber, verflixt noch mal, er wusste es ja selber nicht genau!

BauchschmerzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt