Allein

625 35 7
                                    

Erik gab uns Sammys Koffer aus dem Kofferraum und langsam liefen wir auf das graue Gebäude vor uns zu. Ich spürte, wie sich meine Augen jetzt schon mit Tränen füllten und bald schon liefen sie mir die Wangen runter und ich unterdrückte ein Schluchzen. Marcus, der neben mir ging, sah mich von der Seite an und nahm dann meine Hand. Ich blickte auf und er lächelte mich aufmunternd an. Ich hielt seine Hand etwas fester und drückte mich neben ihn um nicht komplett los zu heulen. Wir kamen in der Halle an und Samanthas Flug wurde aufgerufen, nun hieß es Abschied nehmen. Ich war die Letzte, die sich verabschiedete.

„Du wirst mir auch so fehlen, Kleine. Ich hatte noch nie so eine schöne Woche und das wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir uns gesehen haben, ok? Du besuchst mich auch mal. Ich ruf dich gleich an, wenn ich gelandet und zu Hause bin.", flüsterte sie mir ins Ohr. Ich nickte nur und löste mich von ihr, es fiel mir schwer sie gehen zu lassen. Aber ich musste. Sie drehte sich um und lief zur Sicherheitskontrolle. Ich stand da, alle hinter mir, und heulte wie ein kleines Kind, dem man den Lolly geklaut hat. Plötzlich waren links und rechts neben mir Marcus und Martinus, welche beide meine Hand nahmen und mich aus der Halle zogen, da ich keine Anstalten machte von alleine wegzugehen. Hannes und Tilly liefen vor uns und hielten sich an den Händen und ich hielt die Hände von den Twins und lief in ihrer Mitte.

Während der Rückfahrt bin ich an Martinus Schulter eingeschlafen, Mac hielt noch immer meine Hand als ich geweckt wurde. Müde richtete ich mich auf und sah mich um. Wir waren da und ich musste aussteigen. Die Mädchen wollten noch spielen, also ging ich zu Marcus und Martinus, mit Brooke auf dem Rücken und Emma hüpfte uns hinterher. Hannes und Tilly wollten heute kochen und gingen zu uns nach Hause. Wir setzten uns in Tinus Zimmer auf sein Bett und ich wollte eigentlich nicht, dass es passiert, aber ich schlief gleich wieder ein und die Jungs verhielten sich leise.


Ich träumte nichts und war eigentlich froh, als Martinus mich sanft weckte, indem er mich umarmte. „Wie lange hab ich geschlafen?", murmelte ich in seinen Hoodie. „Du hast das Mittag verschlafen, es gibt gleich Abendbrot. Hannes hat schon angerufen, dass wir dich mal heim schicken sollen." Ich nickte und stand müde und langsam auf um nach Hause zu gehen. In der Tür drehte ich mich noch einmal um und sagte entschuldigend: „Tut mir leid, dass ich dein Bett blockiert hatte und ihr ohne mich was machen musstet, obwohl wir alle drei was machen wollten..." Er winkte lächelnd ab und ich lief nach drüben, Brooke wollte unbedingt bei Emma schlafen und Anne hatte nichts dagegen, also war ich allein. Ich hatte keinen Schlüssel, weshalb ich klingelte und Tils machte mir auf. Sie ließ mich ein und ich zog gähnend meine Schuhe aus. „Warum bist du so müde? Was habt ihr denn so anstrengendes gemacht?", lachte sie mir entgegen. Ich zuckte mit den Schultern und grummelte nur ein 'Ich hab in Tinus Bett geschlafen, den ganzen Tag.' zurück, womit sie sich kopfschüttelnd und lachend zufrieden gab. Sie nahm mich an der Hand und zog mich in die Küche, erst jetzt fiel mir auf, wie gut es hier roch und ich hatte extremen Hunger. Ich setzte mich an den Tisch und sie präsentierte mir stolz ihren selbstgemachten Auflauf. Kartoffeln, Brokkoli und Kassler, sowie Käse. Ich leckte mir über die Lippen und sie füllte mir den Teller auf, was mir etwas unangenehm war, da ich das ja eigentlich selbst kann. „Ich mach das mal, nicht dass du dich noch verbrennst.", sagte sie und grinste mich wissend an. „Gutes Argument, danke, das sieht lecker aus. Wo ist denn mein Bruder schon wieder?" Sie zuckte mit den Schultern und ich seufzte und schrie dann so laut ich konnte: „HANNES, BEWEG DEINEN HINTERN IN DIE KÜCHE, DEINE FREUNDIN HAT FÜR UNS GEKOCHT!!!!!!!!!!" Sofort trampelte es im Obergeschoss und gleich darauf stand er schnaufend in der Tür und ich, sowie Tilly kugelten uns vor Lachen fast auf dem Boden. Nachdem wir uns wieder beruhigt hatten und am Tisch saßen begannen wir zu essen. Das war wirklich lecker, das hätte ich besser nicht zaubern können. Ich aß drei Portionen. Als wir fertig waren bot ich an, die Küche aufzuräumen und den Abwasch zu machen, was beide dankend annahmen und nach oben gingen.

Als ich fertig war merkte ich, dass ich gar nicht mehr müde war. Toll, ich penne den ganzen Tag und bin nachts munter...super hinbekommen.
Ich lief in mein Zimmer und ließ mich auf mein Sofa fallen. Dort lag auch mein Handy und ich stellte fest, dass ich 14 verpasste Anrufe meiner deutschen Freundin hatte. Ich rief sie zurück und sie ging gleich dran.
S: „Man, wo warst du?"
M: „Sorry, war bei Tinus und hatte Handy hier, außerdem hab ich geschlafen.."
S: „Du immer... ja also ich bin wieder gut angekommen, zwar ziemlich müde, aber gut."
M: „Willst du schlafen? Wir können auch morgen telefonieren..."
S: „Ist das ok für dich?"
M: „Ja klar. Schlaf gut!"
S: „Danke, du auch."
Ich legte wieder auf und ging auf WhatsApp. Tinus hatte mir das Bild von mir, Sammy und Mac von heute Morgen geschickt.

Chatverlauf Martinus und Maddie:
Tinus: 'Bild'

Maddie: 'Och, warum musst du immer alles fotografieren?'

Tinus: 'Ich hab gedacht, dass ich einen Beweis brauche, wenn er zerquetscht ist. Für die Polizei, wer ihn ermordet hat.'

Maddie: 'Klar, wir hätten ihn bestimmt ermurkst mit unseren Armen. Festklammern und zudrücken sind zwei unterschiedliche Taten, Martinus!'

Tinus: 'Ist ja gut, ihm geht es ja ganz gut.'

Maddie: 'Ganz gut oder gut?'

Tinus: 'Weiß nich was er hat, sitzt hier dumm rum und denkt nach oder so.'

Maddie: 'Mac benutzt sein Gehirn???'

Tinus: 'Ja, ich kann es auch nicht glauben!!!'

Tinus: 'Ich geh schlafen, bin mega müde. Sehen wir uns morgen?'

Maddie: 'Hab ich eine Wahl?'

Tinus: 'Ne irgendwie nicht. Schlaf gut, Kleine!'

Maddie: 'Ja, dann sehen wir uns. Du auch, Großer.'

Ich schloss den Chat und sah, dass Charlie mir geschrieben hatte:

Charlie: 'Hey. Das Konzert lief gut, aber ich muss dir was sagen. Ich hab hier ein Mädchen kennengelernt. Chloe und sie ist so alt wie ich, irgendwie hat es gefunkt und ich bin jetzt mit ihr zusammen. Ich mach Schluss. Brooke hole ich nächste Woche ab.'

Ich sah fassungslos auf diese paar Worte. Er hat eine Neue, aha. Er macht auch noch über WhatsApp schluss, wie feige. Seine Schwester lässt er hier sitzen und schiebt sie ab. Ich hasste ihn. Ich warf mein Handy auf meinen Schreibtisch und rannte aus meinem Zimmer direkt in den Flur, wo ich mir meine Schuhe schnappte, anzog und im T-Shirt aus dem Haus rannte. Ich sah nach oben, in Hannes Zimmer brannte kein Licht mehr, wahrscheinlich schliefen die beiden schon. Dann machten sie sich keine Sorgen. Ich rannte geradewegs in den Wald und konnte meine Wut und Trauer kaum noch unterdrücken.
Ich lief einfach weiter, blieb nicht stehen und sah auch nicht zurück. Plötzlich stolperte ich über eine blöde Wurzel und fiel auf die Knie, stand aber sofort wieder auf. Ich sah an mir herunter, meine Jeans war zerrissen und mein Knie blutete stark. Aber ich ignorierte es und lief einfach weiter, bis ich irgendwann so viel Wut hatte und blind auf irgendeinen Baum einschlug. Meine Fingerknöchel brannten und etwas Warmes, Klebriges klebte an meiner Hand. Ich schlug weiter. Ich rutschte ab und mein Finger knackte verdächtig laut und schmerzhaft. Aber ich konnte ihn noch bewegen, er war also nicht gebrochen. Ich starrte den Bauch völlig aus der Puste an und fing an wie ein Wasserfall zu heulen und zu schreien. Ich wollte da nicht bleiben, also lief ich weiter und kam irgendwann nach gefühlten Stunden auf einer kleinen Lichtung an.
Das Mondlicht erhellte diese und ich konnte den umgefallenen Baum erkennen, auf dem Martinus saß, nachdem Leah ihr wahres Ich gezeigt hatte. Überall um den Baum standen riesige Steine und auf einen ließ ich mich nieder. Langsam bekam ich auch die Kälte mit, die langsam an meinen Beinen hochkroch und sich von oben um mich legte, wie ein Mantel des Todes. Ich schlag zitternd meine Arme um mich und überlegte, was ich tun sollte. Ich konnte nicht mehr viel erkennen, ich würde den Weg nicht zurück finden, also beschloss ich hier zu bleiben und zu hoffen, dass ich nicht erfrieren würde. Ich kugelte mich auf dem kalten Stein zusammen und spürte einen stechenden Schmerz in meinem Knie und meine Hände taten höllisch weh und trotz der Kälte schlief ich irgendwann einfach ein...

Charlie hat sie also abserviert und das nicht mal persönlich. Es ist Ende Februar und sie ist nachts im T-Shirt in Norwegen im Wald unterwegs...wir das gut gehen? Hoffentlich macht sie keine Dummheiten..oder etwa doch?

AußenseiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt