Ich gehe in den Raum in der Mitte. Vor wenigen Minuten hat die Frau dazu aufgerufen und ich habe sicherheitshalber noch gewartet, um kein Aufsehen zu erregen. Ich sehe mich um und gehe dann zu Viktor. "Hey, Vik", sage ich und drücke ihm einen Kuss auf die Wange. Er lächelt verwirrt. "Morgen Haylie." Ich sehe zu der Blutspur, die wir gestern Abend noch gelegt haben. Sie startet von dem Raum mit Annas Überresten, führt mitten durch den Raum und endet an der Türklinke zu Lauras Zimmer. Ich weiß nicht, ob es funktioniert, aber ich bin trotzdem irgendwie stolz darauf.
Ein Klicken ertönt und Annas Tür schwingt auf. Ich halte nach Mia ausschau. Sie muss das nicht sehen. Ich erhasche einen Blick auf die Leiche. Eigentlich kann man es garnicht mehr so nenne. Ihr ganzer Körper ist zerfetzt, die Rippen liegen frei. Ich unterdrücke ein Grinsen. "Haylie!" Das kleine Mädchen rennt auf mich zu und umarmt mich. Ich nehme ihre Hand und ziehe sie weg vom Blutbad. "Wer ist es heute?", fragt sie. "Anna", sage ich.
"Na los. Ihr wisst, was zu tun ist."
Ich schließe meine Augen für eine Sekunde. "Setzt euch", ruft Fred. Alle kommen dem nach. Er hält die Karte hoch. "Wir haben auch diese Nacht ein Opfer. Anna, Jäger."
"Soll heißen, sie nimmt noch eine weitere Person mit in den Tod."
"Sie hat den Namen hier drauf geschrieben. Elisabeth."
Ich sehe zu ihr. Sie verdreht die Augen und sinkt zu Boden. Blut läuft aus ihrem Mundwinkel. Ich rieche es, auch wenn ich relativ weit von ihr weg stehe. Sofort überkommt mich das Gefühl, mich auf sie stürzen zu wollen.
"Elisabeth, die Betrunkene."
"Zur Abstimmung", sagt Fred. "Gibt es Angeklagte?"
"Laura", sagt Florentin sofort.
"So schnell würde das nur jemand sagen, der etwas zu verbergen hat und von sich selbst ablenken will", sagt Veronica.
"Also willst du auch von dir ablenken?", fragt Nils.
"Was ist mit Valerian?", schlägt Steve vor. Mein Atem stockt. Nein, nicht er! Ich will protestieren, aber das wäre zu auffällig. Ich sehe wie er mir einen verzweifelten Blick zuwirft. Auch wenn wir uns nie wirklich unterhalten haben fühlt es sich an als wären wir irgendwie verbunden.
"Nein!" Sie haben was Steve gesagt hat einfach überhört.
"Dann ist ja gut", sagt Nils. "Ich bin für Veronica."
Fred erhebt sich. "Okay, gut. Wir entscheiden zwischen ihr und Florentin?" Alle nicken zustimmend.
Valerian sieht erleichtert aus. Mir wird bewusst, dass wir in dieser Menge einfach nur ganz normal sind und dass einfach irgendwer ausgesucht und umgebracht wird, in der Hoffnung, es ist ein Werwolf. Auf der anderen Seite sind wir aber eben nur vier und somit schwer zu verfehlen.
Wir stimmen ab. Es ist knapp, aber mehr sind dafür, dass Florentin stirbt. Er nickt, steht auf und zieht zwei Zettel. "Stich ins Herz, Max."
Max. Auch einer der Wölfe. Wenn ich so eine Blutsucht habe, hat er sie auch? Er geht in den zweiten Raum und nimmt das Messer aus dem Schrank, der sich gerade geöffnet hat. Florentin stelle sich dahin, wo Emil gestern stand. Max hält das Messer über sein Herz. "Noch irgendwelche letzten Worte?", fragt er. "Meine Arbeit ist getan", sagt Florentin und grinst selbstgefällig. "Das ist schön für dich." Max fletscht die Zähne und rammt die Klinge in seine Brust.
"Florentin, Amor."
Mia! Wo ist sie? Ich suche die Enge nach ihr ab. Dort. Sie steht unbeweglich da und sieht zu, wie Max Florentins Körper auf den Boden legt. Ich gehe zu ihr und hocke mich vor sie. "Haylie", flüstert sie. "Hey, Mia. Bist du okay?" Sie nickt langsam, noch immer weiß vor schreck. "Ja, ich..." Ihre Stimme bricht ab. "Komm, ich bring dich in dein Zimmer." Sie nimmt meine Hand und ich bringe sie in den kleinen Raum. Sie hat geblümte Bettwäsche und orangene Wände.
Ich gehe zurück in den Hauptraum. Jemand hat die Karten der Toten auf den Altar gelegt. Viktor und Steve tragen die toten Körper durch die Tür, die wie gestern schon aufgegangen ist. Sie führt in einen Raum, der aussieht wie eine Leichenhalle. Es ist kalt und gibt Nummerierte Fächer. Sie legen Elisabeth in B3. Ich trage es in die Liste ein, die an der Wand hängt.
Ich bin mit Viktor in meinem Zimmer. Ich sitze auf dem Boden an die Wand gelehnt und zeichne ein Bild von ihm. Er geht offensichtlich nervös auf und ab und wirft dabei die ganze Zeit eine kleine Schachtel hoch und fängt sie wieder auf. Ich ziehe die Linie seiner Lippen nach.
"Warum sind gerade wir Werwölfe?", fängt er plötzlich an zu reden. "Ich meine, es hätte jeden treffen können, also warum gerade wir? Ich weiß, dass das Leben nicht fair ist, aber warum? Ich denke, rein auf's Spiel gezogen ist sogar Mia gegen uns. Das ist..."
"Vik", sage ich durchdringend, aber doch sanft.
"Hm?"
Ich lächele traurig. "Hör auf. Es bring doch eh nichts."
Er atmet tief durch und nickt dann. "Ja. Ja, du hast recht. Lass uns über was anderes reden."
"Ja, bitte."
"Haylie, bei dir zu Hause..." Er zögert. "Hast du... hast du einen Freund?"
Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. "Nein, hab ich nicht. Hast du eine Freundin?"
Er schüttelt den Kopf."Und- ich meine, würdest du... ähm...", beginne ich plötzlich zu stottern. "Mit dir zusammen sein wollen?", ergänzt Viktor. "Ich meine, ich würde ja fragen, ob wir zuerst ins Kino gehen und uns Infinity War anschauen, aber das ist hier leider nicht möglich, also..." Er nickt. "Ja, auch ohne Kino und Kerzen." Er beugt sich vor und küsst mich. "Ich habe nicht gesagt, dass ich keine Kerzen habe." Ich schlage meinen Block auf und suche nach dem Bild mit dem Adventskranz. Er lacht. "Du bist unschlagbar." Ich grinse. "Ich weiß."
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Werwolf
HorrorHaylie wacht in einem Raum auf, der ihr unbekannt ist, zusammen mit etwa zwei dutzend anderen. Sie sind dort um ein Spiel zu spielen: Werwolf. Aber es ist bei weitem nicht so harmlos wie das Kartenspiel... Spielt im selben Universum wie "Test 13" Da...