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Das Licht auf dem Nachttisch brennt, ansonsten ist es dunkel im Raum. Ich bin nicht in meine Zimmer. Es ist Viktors. Wir sitzen auf seinem Bett. Er malt Muster in einen Collegeblock. Ich zeichne einen Jungen, der durch einen Türspalt hindurch jemanden beobachtet. Ich weiß nicht warum, aber es kommt mir vor, als hätte ich genau diese Szene schon einmal gesehen. Ich warte auf die Stimme, die verkündet, welche Figuren erwachen, aber nichts passiert. Vielleicht hört man nur die der eigenen. Oder sie hat noch nicht angefangen, weil wir nicht schlafen.

"Die Werwölfe erwachen."

Verdammt. Ich sehe zu Viktor. Seine Ohren werden lang, seine Augen glühen sogar im Licht rot. Ich spüre meine Zähne länger werden. Ich stehe auf. Mein Nacken fühlt sich an, als hätte ich stundenlang gelegen.

Viktor löscht die Lampe und wir gehen nach draußen. Max kommt gleichzeitig mit uns an, Valerian kommt einige Sekunden später. "Irgendwelche Vorschläge?", knurrt er.

Ich sehe mich um. Meine Augen verengen sich zu Schlitzen. Dort ist die Tür aus meiner Zeichnung. Sie sehen alle gleich aus, aber doch erkenne ich diese. Das Schild sagt, das Zimmer würde Steve gehören. Eine Szene blitzt vor meinem inneren Auge auf. Ich habe mir die Zeichnung nicht ausgedacht, ich habe es letzte Nacht gesehen. Ich gehe im Kopf die Regeln und verschiedenen Karten durch. Blinzelmädchen. Er darf während der Nacht durch den Türspalt linsen, bei einer Abstimmung aber nicht sagen, welche Karte er hat.

"Steve", sage ich. "Er beobachtet uns in diesem Augenblick." Ich deute auf die Tür, die sofort geschlossen wird. Ein böses Grinsen blitzt bei den anderen auf. Ich gehe langsam auf die Tür zu und öffne sie. Es ist dunkel im Zimmer. Steve liegt im Bett, zitternd, die Decke bis ans Kinn gezogen und mit fest zugekniffenen Augen.

"Denkst du, so ist es leichter?", fragt Viktor. "Du stellst dich tot und bist es dann schneller?" Er lacht. "So funktioniert das nicht, mein Freund."

"Du weißt, wer wir sind", macht Valerian weiter. "Und wir wissen jetzt auch wer, oder besser: was du bist."

"Spion", fauche ich. Ich gehe weiter auf ihn zu. Ich lege meine Hand auf seine Wange. "Verräter. Blinzelmädchen." Ich kratze mit mit einer Kralle über seine Hals. Die ersten Tropfen Blut treten aus. Er wimmert kaum merklich.

"Weißt du, Steve, was Verrätern zusteht?", fragt Max.

Ich beuge mich weiter runter, so dass meine Nasenspitze fast die seine berührt, und hauche: "Der Tod."

Ich reiße seine Schlagader auf. Er schreit, schlägt um sich. Ich lache. Der Schrei wird erstickt durch ein Gurgeln.

Ein leises, scharrendes Geräusch ist aus dem Mittelraum zu hören. Alle vier von uns Wölfen drehen den Kopf gleichzeitig in Richtung Tür. "Max, geh nachsehen wer da ist. Wenn nötig, kümmere dich darum", befehle ich.

Fast lautlos verschwindet er aus dem Zimmer. Viktor und Valerian haben sich bereits über den töten Körper vor uns hergemacht.

"Nein, nein! Ich wollte das nicht! Ich gehe zurück in mein Zimmer, ich habe nichts gesehen, bitte-" Ihr flehen wird zu einem ängstlichen Schrei und dann von einem Reißenden unterbrochen.
Ich rieche das frische Blut. Noch mehr als vorher schon. Ich lächele, beuge mich wieder über Steve und vergrabe meine Zähne in seinem Hals.

Ein weiteres quietschen, Schritte, reißen, aufschlag. Noch jemand hat sein Zimmer verlassen. Mir kommt eine Idee. Ich lasse von Steve ab und gehe zu Max. "Hilf mir mal", sage ich und erzähle ihm von meinem Plan. Begeistert nickt er und wir machen uns ans Werk.
Diese Leichen werden nicht zerrissen, nein. Sie dienen einem größeren Zweck.

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Weil du mich dran erinnert hast, @zimtsprung

WerwolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt