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Ich stehe langsam auf. Ich weiß, dass meine Augen rot glühen. Als ich die Türklinke herunterdrücke sehe ich meine Klauen. Es ist fast komplett dunkel im Mittelraum, aber trotzdem kann ich alles perfekt erkennen. Ich nehme den schwachen Geruch von Blut wahr, der von meiner Nachricht an der Wand her rührt. Während des Tages hat niemand es gewagt, die Wörter zu beseitigen.

Eine Tür geht auf. Max, das Gesicht zu einem hässlichen Grinsen verzogen, kommt heraus. Die zweite Tür. Viktor. Er sieht uns nicht an, zeigt keine Emotionen; er geht einfach nur zielstrebig auf Jamies Zimmer zu. Eine dritte Tür schwingt auf. Ich erstarre. "Abgefahren." Langsam drehe ich mich um. Dort steht ein Junge, vielleicht dreizehn Jahre alt, mit blonden Locken und einem breiten Grinsen, die Augen weit aufgerissen. Hector.

"Wildes Kind", stellt Max fest.

Hector nickt aufgeregt. "Ja. Lotte war mein Vorbild. Mein Name ist Hector." Er sieht uns nacheinander an. "Ich wusste, das du einer bist", sagt er zu Viktor. Dieser zieht die Augenbrauen hoch. "Ach ja?" Er nickt wieder. "Max, richtig? Du bist der älteste, bist du auch der Alpha?"

Ich hatte nie daran gedacht, das Max, der höchstens zehn Jahre älter war als Viktor und ich, wir waren beide siebzehn, alleine deswegen unser Alphawolf sein könnte. Wir hatten eigentlich nie darüber gesprochen, wer das nun war.

Angesprochener lacht bellend auf. "Ja, ich heiße Max. Das sind Viktor und Haylie. Und nein, ich bin nicht der Alpha."

Hector runzelt die Stirn. "Wer dann?"

Die beiden anderen Jungs sehen zu mir. "Sie ist unser Leitwolf", erklärt Max. "Wir folgen ihren Anweisungen, Vorschlägen."

Ich starre ihn irritiert an. "Stimmt doch, oder?", fragt er meinen Freund, als er meinen Gesichtsausdruck bemerkt. Dieser nickt zustimmend. "Letzte Nacht zum Beispiel. Du sagtest, Steve muss sterben, also haben wir ihn getötet. Wir haben draußen etwas gehört. Du hast Max gesagt, er soll sich darum kümmern."

"Und ich habe es getan ohne den Befehl zu hinterfragen. Ich habe sie umgebracht und auch Sebastian, als er dann raus kam."

"Du bist unser Alpha, Haylie."

Hector nickt. "Du hast Valerian umgebracht", bemerkt er dann.

Ich schlucke, nicke aber. "Glaub mir, glaubt mir alle, ich wollte das nicht. Aber ich könnte mich unmöglich weigern. Dann hätten sie mich auch getötet, weil sie denken würden, ich sei auch ein Wolf. Valerian hat uns zwei Namen mitgegeben. Jamie", ich deute auf die Tür hinter mir, "und Arthur. Und wir wollen jetzt rausfinden, ob da was dran ist."

"Okay. Eine letzte Frage noch", sagt er als wir uns von ihm abwenden. "Habt ihr irgendwelche Werwolf-Regeln. So wie ein richtiges Rudel?"

"Ja", sagt Max bestimmt. "Regel Nummer eins: Wir sind ein richtiges Rudel, wenn auch ein kleines. Regel Nummer zwei: Hör auf den Alpha." Er deutet auf mich. "Und Regel Nummer drei: Halt die Klappe, wenn du nichts Sinnvolles oder Wichtiges zu sagen hast."

Hector öffnet den Mund, schließt ihn dann aber wieder und nickt einfach nur.

"Gut." Ich öffne die Tür zu Jamies Zimmer. Scheppernd landen einige Metalldosen auf dem Boden. Das Mädchen sitzt sofort aufrecht im Bett. Sie springt auf und knipst das Licht an. Ich blinzele mehrmals, geblendet von der plötzlichen Helligkeit. Jamie steht vor uns mit zwei Fläschchen in den Händen, einige dunkle Haarsträhnen fallen ihr ins Gesicht.

"Ihr könnt mich nicht töten. Ich bin die Hexe. Ich kann mich heilen", sagt sie und hält demonstrativ das Fläschchen mit der helleren Flüssigkeit hoch.

Viktor lacht auf. "Das wage ich zu bezweifeln. Tod ist tod, weißt du?"

"Das hier ist keine Magie", füge ich hinzu. "Das ist Wissenschaft. Und die Ausübung von Macht."

Jamie blickt uns verzweifelt an. "Das... Aber..." Sie sieht zu Boden. Dann, blitzschnell, greift sie unter ihr Kopfkissen und zieht ein Messer hervor. Sie stürzt auf mich zu. Ich fange ihren Angriff ab und reiße mit einem einzelnen gut platzierten Hieb ihren Hals auf. Erstaunt starrt sie mich an, dann verdreht sie die Augen und fällt zu Boden. Die Fläschchen fallen links und rechts neben sie und zerspringen.

"Welche war die tödliche?", fragt Max. Ich deute auf den dunkleren Fleck. Er nimmt einen Lappen und wischt ihn auf.

"Was machst du denn da?!", ruft Hector entgeistert. "Wir hätten hm hmpf." Viktor hat ihm die Hand auf den Mund gepresst. "Sei still", faucht er. "Und außer dem: Was denkst du tut er da?" Der Junge zerrt die Hand beiseite. "'tschuldigung", grummelt er.

Max hält das Tuch hoch, in Richtung einer der Kameras. "Komm schon", sagt er. "Es sind im Grunde genommen nicht wir, die Arthur töten. Es ist das Gift der Hexe." Die Tür schwingt lautlos auf. "Dankeschön." Er geht zum Waschbecken und macht das Tuch nass. Ich nehme Arthurs Kopf in die Hände und öffne seinen Mund. Max wringt das Wasser und somit auch das aufgewischte Gift aus dem Lappen. Arthur reißt die Augen auf.

"Mit freundlichen Grüßen von der Hexe", sagt Viktor.

Arthur würgt und versucht die Flüssigkeit wieder auszuspucken, aber es ist bereits zu spät. Ich höre, wie sein Herzschlag langsamer wird. Er schnappt verzweifelt nach Luft, es wirkt, als würde er ertrinken. Seine Augenlieder flattern ein letztes mal, dann ist er tod.

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