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Haylie

Ich wache auf durch etwas, dass sich wie Kirchenglocken anhört. Ich runzele die Stirn. Was soll das? Nur weil das Kartenspiel Werwolf in einem Dorf spielt, muss dass hier auch so sein? Ich taste nach Viktor, nur um festzustellen, dass er nicht da ist. Ist er gestern in sein Zimmer gegangen? Ich stehe auf und öffne meinen Schrank. Alle Klamotten, die bis jetzt achtungslos im Raum verstreut gelegen hatten befinden sich nun wieder frisch gewaschen und gefaltet im Schrank. Darunter auch das karierte Hemd und das T-Shirt mit Schroedingers Katze darauf; die Klamotten, die ich getragen hatte, als ich hier angekommen war.

Viktor lehnt neben meinem Zimmer an die Wand. Auch er trägt seine alten Klamotten. "Kannst du mich mal kneifen?", fragt er. Ich beginne zu grinsen und nicke. "Okay." Ich gehe zu ihm und küsse ihn. "Jetzt habe ich einen Grund mehr zu glauben, dass das nicht echt ist." "Es ist echt, glaub mir Vik." "Ich bin mir nicht ganz sicher." Er wackelt mit den Augenbrauen. "Wenn du dir nicht sicher bist sollten wir da vielleicht etwas gegen tun." Ich sehe ihm direkt in die Augen.

"Uäh, hört auf damit." Ich löse meinen Blick von Viktor und sehe zu Mia, dir nun neben uns steht. "Warum macht ihr das immer?"

Viktor zuckt mit den Schultern. "Es ist schön", sagt er. "Besonders mit einem so wundervollen Mädchen wie Haylie."

Ich lächele in mich hinein während wir zum Stuhlkreis gehen.

Ich blicke mich in der Gruppe um. Hector grinst mich blöd an. Ich würde es ihm zutrauen jetzt wie ein Wolf zu heulen. Vanessa fehlt, klar. Aber es sind trotzdem nicht alle da.

"Guten Morgen. Wie ich sehe haben alle die Glocken vernommen. Kommen wir zu der Toten..."

"Vanessa, die Fettel", sagt Fred und legt eine Karte auf den Tisch. "Wir haben geahnt, dass sie es ist." Er zeigt auf die Zeichnungen an der Wand. Vanessa ist nun auch durchgestrichen, aber nicht mit einem Buntstift, sondern mit Blut. Ihrem eigenen Blut.

"Sehr gut. Außerdem: Jonathan, Testleiter."

Gemurmel wird laut. Ich sehe erst zu Max und dann zu Viktor. Wir haben Jonathan nicht getötet.

Die Tür zu seinem Zimmer schwingt auf. Er liegt einfach nur in seinem Bett, er sieht aus als würde er schlafen. Es gibt kein Blut, kein Anzeichen für Gewalt, aber trotzdem höre ich keinen Herzschlag.

"Testleiter ist keine der Karten", sagt Claudia.

"Da hast du Recht. Es ist eine für ganz besonders dieses Spiel erfundene Karte. Jonathan hat einen Einblick in das bekommen, was wir tun. Der Preis für dieses Wissen, welchen er gezwungenermaßen gezahlt hat, war sein Leben."

Er wusste, was hier los ist? Ich beiße mir auf die Unterlippe. Niemand sagt etwas. Ich zucke zusammen als Alexa zu einem der Tische geht, einen Filzstift nimmt und sein Bild durchstreicht.

"Kommen wir zur Abstimmung", sagt Fred.

Wie ferngesteuert setzen alle sich wieder.
Es erschreckt mich, wie sehr es zur Gewohnheit geworden ist. Niemand schreit mehr, wenn einer stirbt; wenn jemand eine Leiche sieht. Es schein, als hätten sich alle einfach damit abgefunden.

"Ich denke, wir sollten Hector töten", schlägt Liam vor.

Das überrascht mich. Er hat bis jetzt kaum etwas gesagt.
Dann realisiere ich, wen er gerade vorgeschlagen hat. Einen Werwolf. Ein Teil von mir, meine Menschlichkeit, mein Sinn das Rudel zu beschützen, ruft, ich solle dagegen argumentieren. Aber ein anderer Teil meint, ich solle es bleiben lassen. Meine Vernunft. Und der Alpha in mir, der sagt, dass er nicht zum Rudel gehört. Und er hat Recht. Hector gehört nicht zu meinem Rudel. Er ist nicht einmal ein Beta-Wolf. Er ist ein Omega.

"Warum gerade er?", fragt Fred.

"Ich glaube, ich habe heute Nacht etwas gehört. Ihn."

"Okay. Weitere Vorschläge?"

"Liam!", ruft Hector.

"Und deine Argumente sind...?"

"Er... Er..." Hector seufzt und schüttelt dann den Kopf. "Ich habe keine."

"Okay. Hector oder Liam."

Es stimmen mehr Leute für Hector, was nicht überraschend ist. Alexa darf ihn umbringen. Meine Miene bleibt starr und emotionslos als er nach vorne geht. Ich zucke nicht mal mit der Wimper, als Alexa das Messer in seine Brust rammt. Ich rege mich nicht, als er mich ansieht und der letzte Funken Hoffnung versiegt.

Blut. Der Boden färbt sich dunkelrot. Ich rieche es deutlicher als je zuvor. Er gehörte nicht zu meinem Rudel.

"Hector, Wildes Kind mit Sebastian als Vorbild. Mittlerweile: Werwolf."

WerwolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt