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"Das Dorf erwacht. Ihr habt zehn Minuten."

Ich schlage die Augen auf. Ich sehe, dass meine Hände dunkelrot sind von getrocknetem Blut, aber es ist nicht meinem eigenem. Was habe ich getan? Ich gehe zum Waschbecken und beginne mir die Finger und das Gesicht zu waschen. Nach und nach kommt die Erinnerung. Entsetzt starre ich in den Spiegel und mein Ebenbild schaut genau so entsetzt zurück. Ich stütze mich an der Wand ab. "Mein Gott", flüstere ich. Ich habe einen Menschen getötet!
Und es hat uns gefallen flüstert das Monster in mir.
Meine Augen verraten mir, dass es Recht hat. Es war uns eine Freude, töten zu dürfen.
'Nein! Geh weg! Du bist grauenvoll!'
Und doch brauchst du mich.
'Nein. Geh!'
Du kommst zu spät. Zieh dich an!
'Sei still!'
Verrat mich nicht!
'Ich bin doch nicht lebensmüde.'

Ich ziehe mir frische Klamotten an und kratze mir den Rest Blut unter den Fingernägeln hervor. Gegen die Augenringe kann ich nichts tun. Ich gehe in den Mittelraum. Einige Leute sitzen schon im Kreis. Ich werfe einen unauffälligen Blick zu Ricos Zimmertür. Sie ist zu. "Haylie!" Ich gehe zu Viktor. "Hey. Erinnerst du dich an die Nacht?" Er nickt. "So ziemlich an alles." Er sieht niedergeschlagen aus.

"Wir sind vollzählig. Heute Nacht ist jemand gestorben."

Ricos Tür schwingt auf. Ich erhebe mich langsam und gehe auf das Zimmer zu. Über einige Leute hinweg sehe ich seine Überreste auf dem Bett liegen. Blut ist an der Wand und auf dem Boden.

"Rico, Prinz."

Ein Mädchen beginnt zu weinen. Was macht sie überhaupt hier? Sie ist doch noch so jung! Ich gehe zu ihr und lege einen Arm um sie. "Komm", flüstere ich. Sie nickt und ich führe sie weg von diesem Schlachtfeld.
Ich setzt sie auf eine der Stühle und hocke mich vor sie.
"Hey, alles gut."
Sie schluchzt und umarmt mich. Ich habe ein schlechtes Gewissen.
"Wie heißt du?" Ich versuche meine Stimme beruhigend klingen zu lassen.
"Mia", sagt sie leise.
"Hey, Mia. Ich bin Haylie."
Sie sieht mich an. "Wir werden wirklich getötet, oder?"
"Ich will dich nicht anlügen. Ja, das werden wir. Ich kann dir zwar nicht sagen, welche Karte ich habe, aber ich verspreche dir, dass ich dich nicht töten werde."
Sie wischt sich über die Augen. "Ich dich auch nicht."
Ich lächele.

"Setzt euch."

Alle folgen ihrer Aufforderung. Links von mir sitzt Mia, rechts Viktor.

"Fred, bitte. Du weißt, was zu tun ist."

Er nickt und steht auf. Ich sehe, wie er tief durchatmet.
"Heute Nacht ist Rico gestorben. Seine Karte war der Prinz."
Er hält sie hoch und legt sie dann auf den Tisch in der Mitte.
"Emil hat bereits zwei Stimmen gegen sich. Möchte ihn jemand Anklagen?"
Eine der Frauen hebt die Hand.
"Sag uns doch bitte deinen Namen."
Sie nickt. "Ich bin Vanessa. Ich denke Emil ist schuldig, weil er sich die ganze Zeit über schon seltsam verhält."
"Zu deiner Verteidigung?"
"Tötet mich ruhig, es bringt euch halt nichts."
"Okay. Wer ist für seinen Tod?"
Viele Leute heben die Hand, auch ich.
"Das ist die Mehrheit", verkündet Fred.

"Zieht einen Zettel aus der roten Box. Er entscheidet darüber, wie er sterben soll. Der aus der blauen entscheidet, wer es ausführt."

"Boxen?"

"Öffne den Altar."

Fred zieht nach kurzem Suchen eine Schublade auf. Darin sind einige bunte Boxen.
"Wofür sind die alle?", fragt er.

"Das erfahrt ihr noch früh genug. Blau und rot."

Er nimmt sie heraus und schließt dir Schublade wieder. Er zieht je einen Zettel. "Kehle durchschneiden. Jamie."

"Ich mag diese Karte."

Die Wand, an der keine Zimmer waren, gleitet zur Seite und gibt die Sicht auf einen weiteren Raum frei. Ich stehe auf und gehe hinüber. Die Wand hier ist weiß und der Boden ist gefliest. Der Raum ist viel größer und wirkt irgendwie steril wie ein Labor. Es gibt noch eine weitere Tür. Nils rüttelt an der Klinke.
"Verschlossen", sagt er.

"Jamie, bitte."

Einer der weißen Wandschränke schwingt auf. Sie geht zu ihm und nimmt den einzigen Gegenstand heraus, der sich darin befindet: Ein Messer. Sie sieht es lange an und ich meine, eine Spur Panik in ihrem Blick zu erkennen. Emil steht auf und geht auf sie zu.
"Wie jetzt? Ich soll ihn einfach umbringen oder was?"

"Genau das sollst du. Schneid' seine Kehle durch."

"Nein, das werde ich nicht tun."

"Das hier ist Werwolf, Jamie. Ein Spiel. Entweder du spielst mit, oder du scheidest aus."

"Ich..."
"Tu's einfach", bittet Emil.
Jamie hält das Messer an ihren eigenen Hals.
"Bitte. Ich bin dir nicht böse, ich wäre dir sogar Dankbar."
"Du lügst."
"Auch wenn ich dieses Spiel hier gewinne, ich habe nichts, dort draußen."
Ich gehe zu Mia.
"Gut."
Ich drehe sie zu mir um und halte ihre Ohren zu.

"Es tut mir so unendlich Leid", sagt Jamie.
Dann schneidet sie Emils Kehle durch.
Sein lebloser Körper sinkt zu Boden.
Das Messer landet klirrend auf dem kalten Stein.

"Emil, der Alte. Danke, Jamie."

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