1 (Luna)

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Es ist April.
Einer der schönsten Monate des Jahres.
Zumindest, wenn man auf Überraschungen steht.
Was ich nicht tue.

Was vorhin noch nach strahlendem Sonnenschein aussah und einen schönen Tag versprach, ist inzwischen ins Gegenteil verkehrt.
Der Himmel hat sich zugezogen und die Sonne hinter dunklen Wolken versteckt.
Ein kühler Windhauch lässt mich frösteln.
Innerlich fluche ich vor mich hin, weil ich natürlich nicht den Wetterbericht gehört habe.
Stattdessen habe ich lediglich eine Hand aus dem Fenster gehalten, um die Temperatur zu prüfen und anhand eines Blickes entschieden, dass ich heute keine Regenkleidung brauche.
Schlimmer Fehler, wie sich jetzt herausstellt.
Ich habe mich zwar glücklicherweise wenigstens für lange - wenn auch dünne - Kleidung entschieden, aber der Regen kommt gänzlich unverhofft.
Die ersten Tropfen fallen schon. Und ich kann nur hoffen, dass er mich nicht komplett durchnässt, bevor ich in der Schule angekommen bin.

Und natürlich ist heute auch jede Ampel auf rot. Entnervt seufze ich auf.
Die Menschen um mich herum schubsen und drängeln. Auch sie haben es eilig, wollen dem bald schlechten Wetter entfliehen.

Wenn man in einer etwas größeren Stadt aufwächst, ist man das morgendliche Chaos gewohnt. Sobald man das Haus verlässt, ist es mit der Ruhe vorbei. Jeder ist im Stress und achtet kaum auf links und rechts, während er seinen allmorgendlichen Weg entlang hastet.

Jeden Morgen geht das schon so los. Nur um danach den ganzen Tag so weiter zu gehen. Und jeden Tag wird mir aufs Neue bewusst, dass ich hier nicht her gehöre.
Ich habe zwar mein ganzes Leben in dieser Stadt gelebt, aber insgeheim träume ich von einem Leben auf dem Land. Umgeben von Pflanzen und Tieren würde ich endlich die Ruhe finden können, die hier fehlt.

Langsam nimmt der Regen zu. Besorgt schaue ich nach oben in den Himmel. Meine Hoffnung, zumindest halbwegs trocken in der Schule anzukommen, verschwindet mit dem letzten Sonnenstrahl hinter den Wolken. Ich habe kaum die Hälfte hinter mich gebracht.
Ungeduldig trete ich von einem Bein auf das andere.
Dann schaltet endlich die Ampel um. Alle stürmen nach vorn. Ich auch.

Für einen Moment wird die Welt um mich herum unscharf, verschwimmt seltsam vor meinen Augen. Dann geschieht etwas unerwartetes. Mein erster Schritt trifft nicht auf den harten Teer des Straßenbelages, sondern landet stattdessen weich.

Aber erst mit dem zweiten Schritt realisiert auch mein Kopf, dass etwas anders ist. Und nicht nur etwas, sondern absolut alles. Überrascht bleibe ich stehen.

Der Ort an dem ich mich befinde, unterscheidet sich gänzlich von dem Ort, an dem ich vor einer Sekunde noch gewesen bin. Keine Straßen mehr, keine Menschen mehr, keine Autos, keine Häuser.
Stattdessen: eine grüne Wiese. Sie scheint fast unendlich, da sie, soweit ich das sehen kann, nur vom blauem Himmel begrenzt wird. So weit ich auch in die Ferne schaue, sehe ich keinen Baum oder auch nur einen Strauch. Nur kleine, zarte Blüten schmücken die sanften Hügel. Abgesehen von dem Rascheln, des kühlen Windes im Gras, gibt es auch keine Geräusche, keine Vögel, kein gar nichts. Dieser Ort ist absolut ruhig.

Ein unbestimmtes Gefühl der Freude steigt in mir auf. Alles hier scheint perfekt. Da meine Eltern viel arbeiten, bin ich kaum jemals aus unserer Stadt herausgekommen. Aber der Wunsch nach einem Leben auf dem Land schlummert schon mein ganzes Leben lang fast übermächtig in mir. Ich hasse das Stadtleben.
Obwohl ich weiß, wie unlogisch dieser innere Drang ist. Immerhin kenne ich das Andere nicht. Doch dieser Ort scheint die Verkörperung des Zaubers zu sein, den dieses Unbekannte auf mich ausübt.
Zusätzlich strahlt er Frieden aus. Und ich merke, wie sehr mir Frieden in meinem Leben fehlt.

Ich frage mich, ob ich träume. Vielleicht bin ich ja einfach auf der Straße zusammengebrochen.
Vielleicht bin ich in Ohnmacht gefallen.
Vielleicht wurde ich von einem Auto angefahren.
Vielleicht bin ich tot.

Alle Gedanken schwirren auf einmal durch meinen Kopf, während ich zu verstehen versuche, wie ich von jetzt auf gleich hier landen konnte. Langsam beginne ich, mich umzuschauen. Inzwischen habe ich mich wieder etwas gefangen und die ursprüngliche Freude weicht Panik.

Was passiert mit meinen Eltern, wenn ich tot bin? Was ist mit meiner besten Freundin, Isa? Was soll ich hier allein? Ich liebe zwar Ruhe und Stille, doch der Gedanke eine Ewigkeit allein an einem leeren Ort gefangen zu sein, erscheint selbst mir zu viel. Auf die Dauer wäre dieser Ort kein Paradies mehr, sondern nur noch ein Gefängis. Ich muss also herausfinden, wie ich von hier entkommen kann. Und nebenbei würde ich ebenfalls gerne wissen, wie ich hier überhaupt gelandet bin. Dann geschieht wieder etwas unerwartetes.

Ein plötzlicher Ruck am Arm reißt mich nach hinten. Instinktiv versuche ich mich aus zu balancieren. Etwas packt die Schulter meines anderen Armes und stützt mich, sodass ich nicht falle. Zumindest denke ich das im ersten Moment, denn schon im nächsten pressen sich Lippen auf meine.

Und wieder erlebe ich heute eine meiner heiß geliebten Überraschungen. Ich erstarre für eine endlose Sekunde. Wahrscheinlich hat noch nie eine Schrecksekunde so lange gedauert. Aber viel wahrscheinlicher ist es einfach nur der Schock, der sie dehnt.

Aber sobald sie vorbei ist, beginne ich mich zu wehren. Besonders wirkungsvoll sind diese Versuche aber nicht, erkenne ich schnell. Ich will hier nur weg, befinde mich jedoch wie in einem Schraubstock gefangen. Die Sekunde hat mein Gegenüber erfolgreich zu nutzen gewusst.

Schließlich verschwimmt die Welt erneut vor meinen Augen. Der Schraubstock entlässt mich aus seinem Klammergriff. Und während ich zurückweiche, erhasche ich doch noch einen kurzen Blick auf ein schönes Gesicht - eindeutig männlich, bevor die Welt gänzlich vor meinen Augen verschwimmt.

~

So Leute,
Teil 1 ist fertig.
Ich hoffe er ist gelungen.
An einigen Stellen ist aber auf jeden Fall noch eine Überarbeitung nötig.
Denkt also bitte daran zu kommentieren. Auch Votes freuen mich sehr und helfen mir weiter.
Nächste Woche geht's auf jeden Fall weiter.

21.05.18

Seelenfeuer #leuchtkugelaward18Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt