12 (Lavandula)

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Nur wenige Augenblicke später berührt mich jemand an meinem Arm. Ich habe gar nicht bemerkt, wie ich meine Hände zur Seite ausgestreckt habe, um dem Regen mehr Angriffsfläche zu geben.

"Miss, sie müssen weiter.", sagt der Wachmann.

Ich nicke. Dann will ich meinen Weg weiter entlangschreiten. Langsam und gemächlich, um alle Eindrücke aufzunehmen und keinen Augenblick zu verpassen. Doch inzwischen bin ich von Wachleuten umzingelt, die mich weitertreiben.
Sie drängen mich unbarmherzig die Stufen hinauf den Herrschenden entgegen. Dabei schützen sie mich die ganze Zeit vor dem Regen, indem sie eine Plane über mir ausbreiten. Niemand fragt, ob ich das will.

Als ich oben angekommen bin, bleibe ich vor dem König stehen. Höflich senke ich mein Haupt ein Stück, wie es von mir erwartet wird. Als ich mich wieder erhebe, sehe ich, wie er mich genau betrachtet. Ich nutze diese Gelegenheit, um einen Blick nach hinten, auf mein Volk zu werfen.

Die ordentlichen Reihen haben sich aufgelöst. Dennoch schauen die Leute zu uns auf. Von ihnen geht eine seltsame Stimmung aus. Sie wirken nicht mehr so gelöst, befreit und neugierig, wie noch vor kurzer Zeit. Stattdessen glaube ich etwas wie ... ja, Misstrauen wahrzunehmen.

Ein leises Räuspern lenkt meine Aufmerksamkeit wieder auf den König vor mir.

"Gutaussehend" ist der Ausdruck mit dem Ivy ihn beschrieben hat. Mehr konnte ich nicht aus ihr herausbekommen. Dazu weiß ich noch, dass er wenige Jahre älter ist als ich.

Und allein. Durch unglückliche Umstände hat er seine gesamte Familie verloren und sitzt seitdem auf dem Thron. Die einzige Unterstützung erhielt er dabei von meinen Eltern. Und jetzt auch noch von mir. Eines Tages werden jedoch auch meine Eltern ihr Amt niederlegen und die Herrschaft vertrauensvoll unseren Händen überlassen.

Als ich so vor ihm stehe, in einem etwas feuchten Kleid und Regentropfen in den frisierten Haaren, denke ich an unsere gemeinsame Zukunft. Ein leichtes Lächeln schleicht sich in mein Gesicht als ich mir vorstelle, wie er eines Tages mit einer Königin an seiner Seite gütig auf sein Volk blickt. Neben ihm werde ich mit meinem zukünftigen Mann stehen. Gemeinsam werden wir die Welt mit jedem Jahr, das vergeht etwas besser machen. Gemeinsam werden wir für das Gute kämpfen und eines Tages, wenn wir alt sind, werden wir stolz an unsere Kinder überreichen, was wir geschaffen haben. Und diese werden fortführen, was wir geschaffen haben und ebenfalls ihren Teil zu einer guten Welt beitragen. Gemeinsam.

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als er näher tritt. "Du bist schön.", sagt er.

Überrascht trete ich einen Schritt zurück und pralle gegen einen Wachmann hinter mir. Das Protokoll sieht derartig offene Worte nicht vor. Genauso verbietet es die Verwendung von "du". Dieser Bruch der Etikette kommt für mich vollkommen unvorbereitet. Mein gesamtes bisheriges Leben wahr von ihr bestimmt.

Unvermittelt greift der König nach meinem Arm und hält mich fest. Dabei kommt er mir gefährlich nahe. Ich habe das Gefühl, alle würden für einen kurzen Moment die Luft anhalten.

Meine Eltern treten an unsere Seite. Mit ihnen ein blondes Mädchen. "Lasst uns hineingehen und einander etwas besser kennenlernen.", meint mein Vater ruhig. Dennoch schwingt in seiner Stimme eine gewisse Anspannung mit, die mich aufhorchen lässt.

Der junge König bietet mir einen Arm an. Noch immer ist er mir sehr nah. Unwillkürlich wandert mein Blick in seine Augen, wobei ich etwas seltsames entdecke. Irgendetwas stimmt mit seiner Seele nicht. Doch bevor ich die nötige Zeit habe, es zu entschlüsseln, wird der Blickkontakt unterbrochen.

Das blonde Mädchen greift nach dem mir dargebotenen Arm und zieht den König einfach mit sich hinein.
Und schon wieder haben wir einen Bruch der Etikette. Langsam wird mir bewusst, dass hier draußen ein derartig legerer Umgang wohl mehr oder weniger zur Normalität gehört.
Bisher konnte ich mir das in meinen kühnsten Träumen nicht ausmalen.
Als sich beide von mir entfernen, hole ich schnappend Luft und stelle dabei fest, dass ich das wohl eine Weile vergessen habe. Meine Eltern nehmen mich in ihre Mitte und wir folgen den beiden nach drinnen.
Ich bin ihnen dafür sehr dankbar, denn ich bin mir gerade nicht sicher, ob ich allein einen Schritt vor den anderen machen könnte.

Innerlich muss ich einen Sturm niederkämpfen. Ich bin verwirrt, aber gleichzeitig unglaublich neugierig. Ich will mich am liebsten in meinem Zimmer verkriechen, um in Sicherheit zu sein. Aber gleichzeitig will ich unbedingt mehr erfahren. Ich will ein Teil davon werden, dazugehören. Ich will genauso einen lockeren Umgang mit anderen pflegen können, wie diese beiden es gerade vor gemacht haben. Mit Ivy war ich lockerer. Aber niemals waren wir so formlos im Umgang miteinander.

Ich weiß, wie gefährlich das ist. Schon diese kleine Abweichung vom Protokoll hat mich schwer getroffen. Schon jetzt muss ich kämpfen, um die Kontrolle zu bewahren. Aber schon jetzt will ich diese neue Freiheit, die mir hier gezeigt wurde, um keinen Preis aufgeben.

Ich hätte niemals gedacht, dass es wirklich so schwer werden würde. Keine Sekunde hätte ich gegelaubt, dass schon die ersten Minuten außerhalb, mich so aus dem Gleichgewicht bringen würden.

Aber von nun an wird es ernst für mich. Ich darf mir keine Fehler erlauben. Die ganze Welt zählt auf mich. Viele "Herzen" vor mir haben es auch irgendwie geschafft und hatten oftmals sogar viel weniger Zeit als ich, sich vorzubereiten. Natürlich kann man argumentieren, dass sie diese Zeit einfach nicht gebraucht haben, um Kontrolle zu erlernen.
Aber ich bin die nächste in einer langen Reihe. Ich wurde als "Herz" geboren und werde demzufolge als "Herz" leben. Ich glaube nicht, dass ich geboren worden wäre, wenn ich nicht das Zeug hätte, meine Aufgabe zu meistern.

~

So Leute,
Hier haben wir Teil 12 an einem Mittwoch.
Ich hätte dafür gerne Applaus.
... Danke, danke.... Das ist doch nicht der Rede wert.

Votet bitte für mich, wenn es sich gefallen hat und lasst mir auch gerne einen Kommentar da.

So krass viel ist nicht passiert.... Dennoch frage ich euch:
Wie würdet ihr diese ganze Situation interpretieren?
Irgendwie ist das ja schon komisch...

Kennt ihr das auch, wenn man neue Leute kennenlernt und es ist irgendwie... schräg?
Oder man trifft jemanden, bei dem man sofort ein schlechtes Gefühl hat?

Gestern war ich mit meinem Vater - recht spontan - im Freizeitpark. Es war voll cool.
Das war so ziemlich das erste Mal in meinem Leben.
Durch die große Hitze war es ziemlich leer und ich habe sehr viel machen können.
Mein alter Herr hat sich an vieles nicht mehr herangetraut. Er ist wohl schon etwas zu alt dafür. 

Mein Vater hatte generell nie viel Zeit für seine Familie. Deswegen freue ich mich voll, mit ihm Zeit verbringen zu können.
Meine Mutter musste leider arbeiten.
Ehrlich gesagt, habe ich ein ziemlich gutes Verhältnis zu meiner Familie.
(Es war mal anders.)
Ich habe aber auch ziemlich coole Eltern, wenn ihr es genau wissen wollt.

25.07.18

Seelenfeuer #leuchtkugelaward18Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt