Prolog

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Prolog

7 Jahre zuvor 

Nora wusste nicht genau warum sie sich aus ihren bequemen Sessel erhob, das Buch beiseite legte und zum Fenster hinüber ging, wo sie freien Blick auf den asphaltierten Platz vor dem Anwesen ihrer Eltern hatte. Vielleicht war es die unheimliche Stille, die neben den ständigen gleichmäßigen schnellen einer Peitsche vor dem fletschenden Geräusch herrschte. Vielleicht aber auch der Ton, der nach dem zerreißenden Geräusch von Fleisch fehlte. Kein Schrei, nicht einmal ein Aufstöhnen war zu hören, während ihrem Vater bereits die Schweißperlen auf der Stirn traten. Sie merkte deutlich, dass die Kraft des ewig zornigen Mannes langsam nachließ. Die Hand von Magnus Clay zitterte, während seine Schläge immer weniger Haut von den Rücken des Jungen schälten, den er an den Boden gefesselt hatte, um ihn zu bestrafen. Der Junge ertrug die brutale Gewalt ohne einen Laut von sich zu geben und als Nora näher an die Scheibe trat um sich das Exempel aus nächster Nähe anzusehen, bemerkte sie, dass seine Gesichtszüge zornig waren, nicht schmerzerfüllt.

Er hockte mit nichts weiter als einer alten Jeans bekleidet auf den Beton. Seine Brust lag auf seinen Knien und seine Arme waren mithilfe zweier Ketten so weit nach oben gerissen, dass ein Verschärfung des Winkels ein Bruch seiner Arme zu Folge hätte. Blut rann seine Schulter herab, während seine verstörend dunklen Augen unter den dichten, schwarzen Haaren mit wutverzerrter Miene auf den Boden starrten. Sich das getrocknete Blut all jener ansah, die auf diesen Platz ebenfalls bereits der Bestrafung ihres Vaters hatten aushalten mussten. Er war bei weitem nicht der Erste, der in dieser Position, zwischen den beiden Eisenstangen hockte, an denen die Kette seiner Arme gehalten wurden und Nora wusste, dass er auch nicht der Letzte sein würde.

Aber er war der Einzige, der nicht schrie. Der Erste, der ihren Vater seinen grausamen Sieg nicht gönnte und so lange die Zähne zusammenbiss, bis der Mann hinter ihm vor Erschöpfung keuchte und seinen Peiniger damit tiefer verletzte, als dieser es mit der Peitsche es je vermochte.

Die Totenstille dehnte sich weiter aus, als Magnus innehielt und sich sein Werk auf den Rücken des Jungen betrachtete. Ihr Vater war kein guter Mann. Das war Nora immer irgendwie klar gewesen und der Anblick dieser Situation ängstigte sie längst nicht mehr. Sie war jetzt schon zwölf und hatte die Gabe entwickelt solche Gewaltexzesse vor ihrem Haus und auch darin, mit einem Schulterzucken zur Kenntnis zu nehmen und ihre Gefühle dabei nicht zu offenbaren.„Nora. Bitte komm vom Fenster weg!", rief ihre Mutter streng und schnipste ein paar Mal mit den Fingern in ihre Richtung, als wäre sie eines ihrer Hunde. Nora wandte ihr Gesicht zu der Frau, die sie zur Welt gebracht hatte. Lisa Clay war viel zu schön für einen Mann wie ihren Vater. Er war mittlerer Größer und besaß eine Figur, der man die vielen Stunden am Telefon ansah. Das schönste was Magnus zu bieten hatte, waren seine dichten braunen Haare und die blauen Augen, die er an seine Tochter vererbt hatte. Von Lisa besaß Nora wenig, wofür sie auch dankbar war. Nora hatte weder ihre schlanke Modelfigur noch den blonden Schopf geerbt. Lediglich ihre Gesichtszüge und die Grübchen in ihren Wangen. Das naive Gemüt aber und das falsche Lachen, war sofern sie jemals Anlagen dazu besessen hatte, von ihrem Vater aberzogen worden.„Wer ist der Junge?", fragte Nora und wusste genau, dass ihre Mutter die Antwort kannte. Zu dem naiven Gemüt und dem Dauergrinsen gesellte sich bei ihrer Mutter nämlich der ungesunde Drang, die Männer ihres Vaters viel zu genau zu betrachten. Ein Fehlverhalten, das für die aktuellen blauen Flecken auf Lisas Gesicht verantwortlich war. 

Ihr Vater war ein Monster. Das wusste Nora und sie verstand einfach nicht, warum ihre Mutter dieses Monster mit ihrer ständigen Untreue auch noch provozierte. Nora selbst war klüger. Selbst jetzt mit ihren zwölf Jahren schon. Magnus verhätschelte sein einziges Kind und würde nie auf die Idee kommen Nora etwas anzutun, denn sie machte ihn stolz, anstatt wütend.„Kein Junge, du kleines Dummerchen. Ein junger Mann. Er stammt aus der Siedlung vor unserem Anwesen, er arbeitet seit circa zwei Tagen bei uns und war deinem Vater wohl ungehorsam", erklärte sie gutmütig, als wäre sie noch ein Kleinkind. Nora wies nicht darauf hin, dass sie nach der Meinung ihrer Hauslehrer hochbegabt war und damit um einiges klüger als es ihre Mutter je sein würde.

Sie hatte die Siedlung nie gesehen, hatte bis jetzt allgemein wenig von der Welt zu Gesicht bekommen und war als Tochter eines der größten Waffenhändlers der Welt, in dieser Festung aufgewachsen. 

Aber sie wusste, dass es im Gegensatz zu den vielen hundert Hektar Land um sie herum, in denen Luxus und paradiesische Zustände herrschten, die Menschen Mexikos bettelarm waren. Not und Arbeitslosigkeit mussten den Jungen hier her getrieben haben. Oder den jungen Mann, obwohl Nora bei dem Gedanken das Gesicht verzog. Wie alt mochte der Junge sein? Neunzehn? Zwanzig? Aber das schien ihrer Mutter nicht zu stören.Nora ging aus dem Raum, dann durch den Flur in denen die Sicherheitsleute und die Bediensteten ihr schnell Platz machten und es sich nicht wagten, sie aufzuhalten. Als sie in die brütende Hitze hinaustrat und sich zu dem Platz aufmachte, verlangsamte sie ihre Schritte nicht. Magnus war gerade dabei wieder den Arm mit der Peitsche zu heben, als Nora zielstrebig auf ihn zukam und die reißende Stille der Männer um sie herum brach.

„Daddy? Ich glaube ich habe Bauchweh!", verkündete sie laut, drückte ihre Hand auf ihren Bauch und verzog ihre Lippen zu einem Schmollmund, dem ihr Vater noch nie hatte wiederstehen können. Sofort hielt Magnus inne, senkte den Arm wieder und schmiss die Peitsche beiseite während er besorgt auf sein einziges Kind zuging.„Mein armes Kind", hauchte er ehrlich besorgt, nahm Nora trotz ihrer Größe auf die Arme und brüllte die Männer um ihn herum an.

„Ruft den verdammten Arzt und lasst den Bengel da ein paar Stunden hängen, dann kommt er schon noch zur Vernunft!" Die Männer überschlugen sich fast dabei den Befehlen ihres Vaters zu befolgen. Aus Angst selbst neben den Jungen angebunden zu werden, während Nora ihre Arme um den dicken Hals ihres Vaters schlang und über seine Schultern hinweg zu dem besagten Bengel blickte.Er sah sie ebenfalls an. Sein Blick bohrte sich in ihren und ohne eine Spur von Mitleid starrte Nora zurück, solange bis ihr Vater sie ins Haus getragen hatte. Nein, es war kein Mitleid was Nora dazu bewegt hatte ihren Vater anzulügen und damit diese Strafe für ihn zu beenden. Es war die Tatsache gewesen, dass er nicht schrie und ihr Vater ihn wahrscheinlich umgebracht hätte, um ihn zum Schreien zu bringen. Es war der Hass in seinen Augen gewesen, der ganz deutlich aufzeigte, dass er genauso grausam und brutal sein würde wie ihr Vater. Vielleicht sogar noch schlimmer. Er könnte in diesem Umfeld ein noch größeres Monster werden als Magnus und das bedeutete, dass er ihre Chance sein würde.

Eine Chance zu Überleben, die sie dringend brauchte, denn sie wusste nur all zugut, dass ihr Vater durch sein grausames Verhalten nicht nur Ängstlichen Gehorsam hervorbrachte, sondern auch Hass. Und in ihrer Welt überlebten verhasste Menschen nicht.

 Und in ihrer Welt überlebten verhasste Menschen nicht

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