8.2
»Kannst du vergessen, dass ich das anziehe!« Caras Dankbarkeit ist dahin. »Das ist ja fast durchsichtig, das kann bestenfalls als Nachthemd durchgehen!«, begehrt sie auf.
»Cara, es ist Tradition. Bitte zieh es an.« Elias' müder Anblick lässt sie beinahe einknicken, aber dann besinnt sie sich wieder eines Besseren.
»Ich ziehe das nicht an, Elias.« Mit düsterem Blick mustert Cara das weiße Kleidchen, das ihr Gegenüber in den Händen hält. »Da fühle ich mich, als wäre ich nackt.« Bevor sie sich aufhalten kann, fügt sie noch hinzu: »Mag sein, dass das bei euch zum Alltag gehört, aber ich für meinen Teil schätze Privatsphäre. Wenn ihr mich schon verbrennt, dann gefälligst in den Klamotten, die ich ausgewählt habe. Ich werde mich hier nicht zur folgsamen Hure machen lassen.«
Elias' Gesichtsausdruck versteinert, daher kann sie nicht erkennen, ob es Betroffenheit oder Wut ist, die hinter seiner Maske aus Gleichgültigkeit lauert. Er schließt die Augen und atmet einmal sichtbar durch, dann blinzelt er.
»Du wirst es anziehen, Cara. Du hast keine Wahl, damit das ein für alle mal klar ist. Außerdem kommt man mit diesen Ärmeln nicht an deine Schulter heran. Und wir verbrennen dich nicht, es nennt sich Branding. Wir sind ja keine Unmenschen.«
Bist du dir da so sicher? Am liebsten würde Cara das laut sagen, aber sie kann spüren, dass Elias schön langsam die Nerven verliert. Und er hat wieder einmal recht: Cara hat keine Wahl.
Tränen der Wut stehen ihr in den Augen, als sie ihm das Kleid entreißt und schwungvoll den Stoff des Zelteingangs zurückschlägt. Verdammt sei Elayra dafür, sie in diese gottlose Gegend geschickt zu haben.
»Raus hier!«, herrscht sie die zwei Frauen an, die ihr scheinbar beim Ankleiden helfen sollten. Im Zelt flackern nur einige wenige Kerzen, die unheimliche Schatten an die Zeltwand werfen, während die zwei Frauen - oder Mädchen - die Flucht ergreifen.
Direkt vor Cara steht ein hoher Spiegel, in dem sie sich in ihrer vollen Größe sieht. Mit pochendem Herzen wendet sie sich ab und zieht sich aus, nur um kurze Zeit später das Kleid überzustreifen. Es fühlt sich an, als trüge sie lediglich einen Lufthauch.
Zögernd dreht Cara sich zum Spiegel und betrachtet ihr Abbild. Tatsächlich ist das Kleid gar nicht so durchsichtig wie befürchtet, allerdings ist es schulterfrei, und als sie sich von der Seite betrachtet, erkennt sie den Ansatz einer Narbe auf ihrem Rücken.
Scharf zieht sie die Luft zwischen die zusammengebissenen Zähne und hält die Tränen zurück. Die Elayranerin schämt sich für diese Tränen, aber so entblößt vor ein Publikum treten zu müssen und zu ihrem Vergnügen gefoltert zu werden, lässt ihre Kontrolle schnell schwinden.
Ihre Finger streifen die noch unverletzte Haut ihrer Schulter. Bald wird sie genauso entstellt sein wie ihr Rücken und ihr Bauch. Viel schöne, unberührte Haut bleibt Cara nach diesem Tag nicht mehr.
»Cara, bitte, wir müssen los, die anderen warten schon alle auf uns«, hört sie Elias' Stimme von draußen.
Ihre Hände sind in den reinlich weißen Stoff verkrampft, als sie einen letzten Blick in den Spiegel wirft. Dann schließt sie die Augen und atmet dreimal tief durch, bevor sie ihre Finger löst und das Zelt verlässt.
Cara wagt es nicht, irgendjemandem in die Augen zu sehen. Sie will kein Mitleid, sie will das alles nur so schnell wie möglich hinter sich bringen und dann wieder vergessen. So gut sich ein solches Horrorszenario eben vergessen lässt.
»Endlich«, stößt Elias aus und bedeutet ihr, näher zu treten. Zögerlich folgt sie seiner Aufforderung und lässt es zu, dass er eine Hand an ihre Wange legt. »Du wirst es überleben, Cara.«
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Infinite Darkness
Fantasy"Ich will dieses Königreich brennen und zu Asche zerfallen sehen. Ich will die Wände bröckeln und die Brücken brechen sehen. Ich will ein Königreich aus Ruinen, damit ich es, wenn sein Volk am Boden zerschmettert liegt, nach meinen Vorstellungen wie...