7.2
Selbstbewusst sucht sie sich ihren Weg zurück durch all die Leiber und Verkaufstische des Schwarzmarktes, bis sie wieder den Himmel über sich hat. Der Tag ist der Nacht gewichen, die Dunkelheit hängt schwer über der Stadt und Nebel macht die Welt ringsherum zu einem halb sichtbaren Mysterium.
Was zuvor noch zerbrochen, heruntergekommen und verdreckt wirkte, sieht nun aus wie eine Sagenwelt aus längst vergangener Zeit, und das Böse lauert hinter jeder Ecke.
Schaudernd zieht Prima die Jacke enger um ihre Schultern, als ein kalter Wind und böse Vorahnung ihre schmale Gestalt streifen. In dieser ungemütlichen Haltung wagt sie sich in das Gewirr aus Gassen und Straßen.
Sobald sie eine größere Gruppe vor Menschen vor sich hört, weicht sie auf kleinere Seitensträßchen aus, um möglichen Bedrohungen ganz bewusst aus dem Weg zu gehen, aber sie kennt sich in diesem Labyrinth nur begrenzt aus, daher muss sie immer abwägen, wie viele Abzweigungen sie nehmen kann, bevor sie ihren Weg nach Hause nicht mehr findet.
Manchmal kommt sie dennoch an vereinzelten, zwielichtigen Gestalten vorbei, die kaum mehr gehen können von zu viel Alkoholkonsum, doch diese schenken Prima keine Beachtung.
Dieses Dunkel und die zusätzliche Stille bringen Prima dazu, in ihre Gedankenwelt abzurutschen. Sie überlegt, wer aus ihrem Jahrgang wohl dumm genug ist, sich auf Schwarzmarktgeschäfte einzulassen. Und sie fragt sich, wie dumm sie war, sich auf diesen Deal mit einem offensichtlich Kriminellen einzulassen. Aber sie hat keine andere Wahl, wenn sie eine Chance aufs Überleben haben will. Wer wohl dieser Trainer sein wird? Sie stellt sich verschiedene Gesichter vor, denen sie zutrauen würde, in krumme Geschäfte verwickelt zu sein.
Über diese ganzen Überlegungen vergisst Prima ihre Wachsamkeit, bis sie geradewegs auf eine Gruppe passiv-aggressiver Männer zuhält, die nur wenige Jahre älter als sie selbst sein können. Das laute Johlen und Grölen der Bande zeigt, dass sie alle schon seit einiger Zeit zu tief ins Glas geschaut haben.
In Prima läuten alle Alarmglocken, doch sie wagt es nicht mehr umzudrehen, denn schon spürt sie die ersten Blicke auf sich ruhen. Wenn sie jetzt wegrennt, könnte sie die natürlichen Jagdinstinkte dieser Gruppe aufwecken, und dann wäre das Spiel aus.
Verstoßene Elayranerin tot in einer Gasse aufgefunden, Prima kann sich die Schlagzeile schon bildlich im Klatschblatt vorstellen. Als sie langsam an der feiernden Gruppe vorbeizuschleichen beginnt, erkennt sie, dass es immer noch die selben sind, die sie bei ihrem Weg zum Schwarzmarkt bemerkt hat. Sie müssen schon seit einer ganzen Weile am Trinken und Schreien sein.
Vorsichtig wandert sie im Schatten, darauf hoffend, dadurch noch unsichtbarer für diese Fremden zu werden, und atmet schon auf, als sie die letzte Person hinter sich gelassen hat. Wirklich niemand scheint sie bemerkt, geschweige denn Interesse an ihr zu haben.
Sie geht noch einige Schritte und wird schon wieder schneller, als auf der anderen Seite, ebenfalls in Schatten gehüllt, eine Stimme erklingt, die fragt: »Wohin denn so schnell des Wegs, mitten in der Nacht, Hübsche?«
Die Stimme ist dunkel, samtig, dabei aber auch mit einem lauernden Unterton, wie eine Raubkatze bereit zum Sprung. Primas Herz beginnt panisch zu rasen, als sie sich hektisch nach einem Ausweg umsieht.
Vielleicht sollte sie einfach weitergehen und so tun, als hätte sie nichts bemerkt. Vielleicht ist das nur ein dummer, betrunkener Sprücheklopfer, der nichts weiter im Sinn hat, als seinen Spaß dabei zu haben, wehrlose Frauen zu erschrecken. Oder vielleicht auch nicht.
Als die Gestalt sich aus dem Schatten vor ihr löst, hält sie entsetzt den Atem an. Sie hat keine Ahnung, wie der Mann von der anderen Straßenseite hierher gelangt ist. Direkt vor ihr bleibt er stehen und betrachtet sie aus berechnenden, eisblauen Augen, die nichts Schönes oder Warmes an sich haben. Sein Atem streift ihr Haar und ihr Gesicht, als er ihn ausstößt und dann die Luft wieder geräuschvoll einzieht.
»Nicht nur hübsch, sondern auch noch mit einem betörenden Duft. Extra für mich.« Er lacht finster. Prima macht einen Schritt zurück, er geht ihn mit und weicht dabei etwas zur Seite.
Sie taumelt weiter weg, bis sie plötzlich die raue Mauer in ihrem Rücken spürt und erkennt, dass er sie genau dorthin geführt hat. Nun wird auch der Rest der Truppe auf die beiden Personen aufmerksam und kommt näher.
»Sentana, was hast du uns da denn Schönes gefangen?«, witzelt einer der sich Nähernden und macht Prima damit klar, dass sie inmitten einer Gruppe Menschen, die auf Gewalt aus sind, gestrandet ist.
»Das weiß ich noch gar nicht. Wie heißt du denn, mein kleines Vögelchen?«
Prima presst die Lippen zusammen und blickt in den Himmel, um keinem der Fremden ins Gesicht sehen zu müssen.
Plötzlich macht derjenige, der sie aufgehalten hat – Sentana – einen Schritt auf sie zu und fasst Prima grob am Kinn, zwingt sie, ihn anzusehen. »Antworte«, knurrt er, und ein Versprechen unmittelbarer Gewalt, falls sie sich weigert, lauert darin. Doch sie verweigert ihm diese Genugtuung weiterhin.
Ein gezielter Schlag in den Magen lässt sie ihre Sturheit noch einmal überdenken, doch ihr wird keine Gelegenheit mehr geboten, ihren Fehltritt zu bereinigen. Keuchend lehnt sie an der Wand, nachdem eine Faust mit ihrem linken Wangenknochen kollidiert ist. Ihr einziger Gedanke ist, dass sie unbedingt auf den Beinen bleiben muss, während der nächste Schlag in die Rippen geht, ausgeführt von einem anderen der Gruppe.
Aus dem Augenwinkel hört sie einige unruhige Stimmen und sieht, dass einige Männer sich aus der Gruppe lösen und abhauen, aber einige bleiben. Sind es drei, vier? Prima weiß es nicht. Sogar nach diesen drei Schlägen schwirrt ihr schon der Kopf. Möglicherweise hat sie eine Gehirnerschütterung erlitten, denn um sie herum verschwimmt alles.
Jemand kickt ihr die Beine unter dem Körper weg, und sie schrammt schmerzhaft an der Wand entlang zu Boden, wo sie gekrümmt liegen bleibt.
Wenige Sekunden später bestätigt sich ihre Annahme, es wäre besser, auf den Beinen zu bleiben, denn nun kommen auch die Füße der Angreifer zum Einsatz. Schützend legt sie die Arme über den Kopf und rollt sich zusammen, um so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten, doch dadurch treffen die stahlbesetzten Stiefelspitzen ihren Rücken, ihre Wirbelsäule, ihre Beine und ihre Arme.
Sie ist sich selbst nicht mehr sicher, ob sie noch atmet oder vom überwältigenden Schmerz die Luft angehalten hat, als sie einen Schrei hört. Nur im Dämmerzustand hört sie jemanden rufen.
»Verdammt Pete, was machst du da? Spinnst du? Du bringst ihn um!« Der Schatten des Mannes, der über Prima liegt, verschwindet, als Pete Saltana von ihr weggezogen wird und gemeinsam mit seinen Kumpels den Rückzug antritt.
Prima lauscht den verklingenden Schritten. Erst als sie sich sicher ist, dass sie weg sind, öffnet sie die Augen und löst langsam die Hände aus ihrem Haar. Sie wagt es kaum, sich zu bewegen, weiß aber, dass jede Sekunde in dieser Gegend mit weiteren Gefahren verbunden ist. Also richtet sie sich langsam an der Wand abgestützt auf.
Aus dem Augenwinkel bemerkt sie eine Bewegung und stutzt, macht sich darauf gefasst, doch wieder zu Boden geworfen und geschlagen zu werden. Doch ihr Gegenüber macht keine Anstalten, auf sie zuzugehen und sie anzugreifen. Er steht da wie erstarrt.
»Du bist kein er. Du bist eine sie«, stellt er sehr geistreich fest, während sie ihn mustert und die Welt nicht mehr versteht. Er war nicht Teil der Gruppe, die sie attackiert hat, doch er ist keinen Deut besser. Und was macht er hier?
Das fragt sie ihn dann auch. »Was zum Teufel machst du hier?«
Er kneift die Augen zusammen in einem Anfall des Wiedererkennens und tritt nun doch einen Schritt näher.
Sie gibt es auf, sich auf die Beine zu hieven, und lässt sich zurück auf den Boden gleiten, schließt erschöpft ihre Augen. Es wundert sie nicht, dass er sie nicht sofort wiedererkennt, immerhin ist ihr Gesicht blutig und sie liegt im Schatten.
Er wagt sich noch einen Schritt näher, dann bleibt er wie angewurzelt stehen und stößt ein »Oh Shit« aus. Seine Augen sind schreckgeweitet, als er sie für einige Sekunden anblickt.
Prima spürt, wie die Welt um sie herum beginnt, sich zu bewegen, zu flirren und zu verschwimmen. Die Ränder ihres Sichtfeldes verengen sich und werden vom Schwarz aufgefressen.
Das letzte, was sie sieht, bevor sie das Bewusstsein verliert, ist eine Person, die sich mit dröhnenden Schritten von ihr entfernt.
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Infinite Darkness
Fantasy"Ich will dieses Königreich brennen und zu Asche zerfallen sehen. Ich will die Wände bröckeln und die Brücken brechen sehen. Ich will ein Königreich aus Ruinen, damit ich es, wenn sein Volk am Boden zerschmettert liegt, nach meinen Vorstellungen wie...