10.1
Mit eingezogenem Kopf schleicht sie schon den ganzen Tag lang durch diese Schule. Eine Woche lang hat sie sich mit Ausreden davor bewahren können, diese Hölle aufs Neue zu betreten, doch nun ist es Primas Mutter schlussendlich zu bunt geworden. Kein Wunder, auf sie muss es gewirkt haben, als hätte ihr jüngstes Kind einfach keine Lust auf Schule.
Zwar hat Primas Gesicht beim nächtlichen Überfall einiges abbekommen, aber das konnte sie auf einen unbedeutenden Treppensturz schieben. Die wirklichen, schmerzhaften Verletzungen verbergen sich nach wie vor unter ihrer Kleidung und die würde niemals jemand zu Gesicht bekommen. Das fehlt ihr gerade noch – dass sich herumspricht, was für ein leichtes Opfer sie darstellt.
Tatsächlich hat Prima sich sogar kurz gewundert, warum Simon nicht geplaudert hat, aber womöglich hat er zu viel Angst davor, selbst aufzufliegen. Was auch immer Simon in dieser Gasse getrieben hat, bevor er beim Angriff dazwischenging, legal kann es nicht gewesen sein.
Sie hat seitdem auch ständig das Gefühl, von ihm verfolgt und beobachtet zu werden, in der vergangenen Woche dachte sie sogar kurzzeitig, ihn vor ihrem Haus erblickt zu haben. Aber vielleicht ist das auch nur ihrer neu erwachten Paranoia zuzuschreiben, die sie seit jener Nacht entwickelt hat.
Heute, knapp eineinhalb Wochen später, kann sie kaum mehr glauben, es tatsächlich ohne fremde Hilfe nach Hause geschafft zu haben. Oder dass sie ihrer Familie eine halbwegs glaubwürdige Geschichte auftischte, die man ihr sofort abnahm.
Nun ist von den ehemals blauen, nun eher grünen beziehungsweise gelben Hämatomen nichts mehr zu sehen, was Prima zum Teil dem entwendeten Make-Up ihrer Mutter zu verdanken hat.
Ihre verspannten Muskeln lockern sich, sobald sie die komplett verlassenen Schulflure betritt. Sie weiß nicht wieso, aber dieser Flügel steht schon seit Jahren leer und dient Prima seit jeher als Zufluchtsort vor allem und jedem. Zumindest bis jetzt, denn genau in diesem Moment schießt eine Hand hinter der nächsten Ecke hervor und zieht sie mit einem brutalen Ruck in den Schatten.
Bevor sie schreien kann, legt sich schon eine Hand auf ihren Mund und erstickt jedes Geräusch, während ein kräftiger Körper, der definitiv um einiges größer und schwerer ist als ihr eigener, sie gegen die Wand drängt.
Obwohl jeder Zentimeter ihres Körpers vor Schmerz gequält aufstöhnt, bleibt Prima vor Schreck erstarrt stehen. Für den Bruchteil einer Sekunde fühlt sie sich so sehr an den letzten Angriff zurückerinnert, dass ihr schlecht wird. Dann erkennt sie das Gesicht, das vor ihren Augen schwebt, und ihre Instinkte schalten sich ein. Sie bäumt sich gegen den übermächtigen Griff auf und schafft es, ihren Gegner kurz zu überraschen.
»Lass mich los«, zischt Prima, sobald die Hand sich von ihrem Mund entfernt hat und sie wieder atmen kann. »Simon, lass mich los!« Zu ihrem Leidwesen zittert ihre Stimme und nimmt ihren harschen Worten damit wieder ein wenig ihrer Kraft. »Bitte«, setzt sie wimmernd hinterher.
Als er sie loslässt, wäre sie beinahe an der Wand entlang zu Boden gerutscht, doch im letzten Moment kann sie sich davon abhalten und ihre Beine stabilisieren. Sie atmet stoßweise und versucht, ihre Lungen auf ein Minimum zu strapazieren, aber es ist zu spät. Simon hat ihre halb betäubte, misshandelte Haut durch seinen Angriff wieder in Brand gesetzt.
Mit aller Kraft versucht sie, sich nichts anmerken zu lassen, doch ihr Körper krümmt sich unter der Qual beinahe instinktiv zusammen. »Was zur Hölle sollte das denn gerade?«
Für einen kurzen Augenblick huscht so etwas wie Unsicherheit über Simons Gesichtszüge, doch diese Gefühlsregung ist schon im nächsten Augenblick wieder komplett verschwunden. »Kein Wort über irgendetwas, Blake. Ich schwöre dir, wenn du mich oder den Rest verpetzt, wird dieses Leben für dich die Hölle werden.«
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Infinite Darkness
Fantasy"Ich will dieses Königreich brennen und zu Asche zerfallen sehen. Ich will die Wände bröckeln und die Brücken brechen sehen. Ich will ein Königreich aus Ruinen, damit ich es, wenn sein Volk am Boden zerschmettert liegt, nach meinen Vorstellungen wie...