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„Mum?", fragte Marnie zaghaft, als sie nach einem außergewöhnlich ruhigen Abendessen alleine mit ihr in der Küche war.

„Hattet ihr Streit?", fragte sie sofort darauf und bezog sich auf die eiserne Stille, die zwischen ihren Eltern herrschte, als sie beim Essen kaum ihre Augen von ihrem eigenen Teller gehoben hatten.

Lilian biss sich unsicher auf die Unterlippe, um dann zu offenbaren: „Wir sind und über ein bestimmtes Thema nicht einig beziehungsweise habe ich etwas getan, was dein Vater nicht für gut befindet."

Dass es sich um Marnie und Harry drehte, ließ sie außen vor, als sie durch ihre Haare strich, aufgeregt darüber, wie Marnie reagieren würde, denn in manchen Hinsichten war Marnie ein wenig wie ihr Vater. Auch wenn Lilian es Marnie nie so sagen würde, konnte sie nicht vergessen, dass es so war.

Marnie war fast so stur wie ihr Vater.

„Was ist es denn?" Marnie biss sich auf ihre Unterlippe und durchbohrte ihre Mutter fast mit ihren blauen Augen.

„Versprich mir, dass du einfach zuhörst, einverstanden?", seufzte Lilian und Marnie runzelte ihre Stirn, um dann unsicher zu nicken.

"Ich habe dir ein Zugticket gekauft, mit dem du Samstag nach Holmes Chapel fährst", erklärte sie ruhig und sah mit an, wie Marnie mit sich kämpfte und nicht so recht wusste, welche Art Reaktion sie zeigen sollte.

Freude? Hintergangenheit?

"Mum..."

"Marnie, ich sehe nicht weiter zu, wie du versuchst dein Leben gegen die Wand zu fahren, weil du mit einer Ungewissheit lebst." Lilian runzelte die Stirn und schaute ihre Tochter beinahe streng an.

Marnie hätte widersprechen können, doch tat sie es nicht, weil sie wusste, dass sie Recht hatte.

"Mum, das ist zu teuer", hatte sie lediglich einzuwenden und zog sich das Gummi aus den Haaren, um sie komplett nach hinten zu streichen.

"Ist es nicht. Du bist unsere Tochter und das wichtigste in unserem Leben. Du hast uns lange genug geholfen, jetzt helfen wir dir." Lilian griff nach Marnies Arm, schaute ihr in die Augen, die sie starr auf den Boden gerichtet hatte.

Es herrschte für eine Weile Schweigen, bevor Marnie wagte, etwas zu sagen.

"Das denkst du?", fragte sie mit einem Kloß im Hals, während sie die Frau vor sich ungläubig ansah. Sie wollte nicht undankbar sein, doch sehr oft wurde ihr dieses Gefühl nicht vermittelt.

"Natürlich, Marnie." Sie zog sie ohne Nachfrage fest an sich. "Du bist was uns zu einer Familie macht", lächelte Lilian und drückte ihrer Tochter nach Ewigkeiten mal wieder einen Kuss auf die Wangen.

~*~

Spätabends saß Marnie kerzengerade in ihrem Bett und schaute auf das Zugticket, das in ihrem Schoß lag.

Dabei schien alles in ihrem Magen sich zu drehen - auf mehr als nur die ängstliche Sorte.

Ihre naive innere, von ihrem Herzen gesteuerte Stimme jubelte, weil sie ein Ticket direkt zu Harry hatte, während ihre rationale, von ihrem Kopf gesteuerte, war überfordert, weil sie es nicht tun konnte.

Sie konnte nicht einfach zu Harry, und wohlmöglich sein ganzes Leben, das sich eventuell wieder eingependelt hatte, für nichts und wieder nichts auf den Kopf stellen.

Dann musste sie sich aber wieder fragen, ob Harry vielleicht so weit wie sie war und ebenfalls noch über sie nachdenken musste, und ob er sie auch vermisste.

Nur wenn nicht, dann würde sie sich vor ihm bloßstellen und wie ein naives, kleines Mädchen dastehen. Vermutlich war sie auch kaum mehr.

"Ach, scheiß drauf." Sie knallte die Karte auf ihren Nachttisch und versprach sich, es einfach zu versuchen. Wenn es nicht klappte, konnte sie sich einfach in der Gegend dort umsehen und dann zurückkommen und ihren Eltern irgendetwas davon erzählen, dass sie zu spät da gewesen war und Harry nicht mehr dort wohnte, oder dass er verheiratet war. Irgendetwas fiele ihr schon ein.

The Lone Trooper (h.s.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt