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Die Zeit ab dann verging wie im Flug; Harry und Marnie hatten sich ein paar Briefe hin und her geschickt, Lissy war zum Inbegriff einer übereifrigen Braut geworden, und generell schien einfach einmal alles richtig zu laufen.

Denn auch der Krieg war vorbei; zumindest der Teil, den Hitler geführt hatte. Bevor er nämlich verloren hatte, hatte er sich mit seiner Freundin in die Luft gejagt. Zumindest war es das, was Marnie seither täglich hatte lesen können.

Nur noch im Osten Asiens herrschte Krieg, doch der war weit genug fort, als dass die Stille einem vorgaukeln konnte, dass er nicht existierte.

Auch wenn ihr Vater weiterhin regelmäßig in der Kneipe versackte, ignorierte sie es einfach und erfreute sich an anderen Dingen in ihrem Leben.

Heute zum Beispiel daran, dass endlich der große Tag angelangt war und Lissy und James so wirklich heirateten.

"Du siehst wunderschön aus", ließ die Stimme ihrer Mutter sie zusammenzucken, als sie gerade wieder diesen roten Pons Lippenstift auftrug, den sie viel zu selten benutzte.

"Dankeschön Mum", sagte sie in dem teils geblümten, nicht wirklich dekolletiertem Kleid steckend, das aber tatsächlich diese Art Träger hatte, dass man ihre Schultern und Schlüsselbein sehen konnte.

Woher sie das hatte?

Lilian hatte es für sie machen lassen und ihr geschenkt. Da sie innerhalb der letzten Wochen wieder anständig gegessen hatte, war ihr dieser zwischenzeitige Tiefpunkt nicht mehr anzusehen.

"Ich dachte diese Schuhe hier passen besser dazu", gab Lil Bescheid und hielt ein Paar ihrer eigenen Schuhe hoch, deren blasser Rosaton genau mit dem einzelner Blumenelemente des Kleides übereinstimmte.

"Dankeschön." Marnie lächelte mit ihren rot gemalten Lippen, wodurch es noch mehr zu strahlen schien. Da sie ihre Haare nur lose nach hinten gesteckt hatte, wirkte sie, wie frisch aus einem dieser Modemagazine entsprungen, die man immer beim Friseurbesuch in die Hände bekam.

Mit den Schuhen in der Hand setzte Marnie sich kurz auf ihr Bett, beugte sich nach vorne, um sie vorsichtig anzuziehen. Dabei schmunzelte ihre Mutter, als sie die silberne Erkennungsmarke herausbaumeln sehen konnte.

Wieder auf den Beinen stehend errötete Marnie leicht, um die Kette dann wieder sicher innerhalb ihres Kleides zu verstauen, wie sie es immer tat, damit nicht sofort jeder sah, welcher Mensch ihr am allermeisten bedeutete. Denn irgendwie wollte sie Harry für sich haben.

Ihre Mutter musste nur über diese Geste schmunzeln, weil sie schon in Vorfreude darüber war, wie Marnie in wenigen Momenten wohl aussehen würde, wenn sie die Überraschung erlebte, die sie mit der heutigen Braut für sie ausgetüftelt hatte.

"Mein kleines Mädchen ist so erwachsen", schwärmte Lilian und Marnie konnte nicht anders, als sie in ihre Arme zu schließen, dabei darauf zu achten, sie nicht mit dem roten Lippenstift zu streifen.

"Rob, sieh sie nur an", sagte Lilian zu ihrem Mann, als Marnie die Treppe herunter kam, und eilte aufgeregt in die Küche, um das Hochzeitsgeschenk zu holen, das von der gesamten Familie war.

Marnies Vater schaute seit langer Zeit mit einem echten Lächeln auf seine Tochter und ließ sie dabei ausnahmsweise so fühlen, als sei sie nicht lächerlich.

"Ich habe gehört du wirst sogar abgeholt, habe ich verpasst, dass du in höheren Kreisen verkehrst?", kam Rob tatsächlich ein Witz von den Lippen, der unweigerlich dazu führte, dass Marnie ihren Dad glücklich in die Arme schloss.

"Du hast nichts verpasst, Dad", versicherte sie ihm und schaute Richtung Küche, von wo aus Lilian die Szenerie freudestrahlend beobachtete.

"Richte ihnen unsere Glückwünsche aus, ja?", erinnerte Lilian Marnie noch ein letztes Mal, bevor sie mit dem sauber verpackten Geschenk in der Hand das Haus verließ, um in die Richtung des Autos zu gehen, das sie zu Lissy mitnehmen würde.

"Werde ich."

Sie tat vorsichtig einen Schritt nach dem anderen auf der Treppe und als Lilian sie nur noch von hinten dahingehen sah, musste sie unwillkürlich grinsen. Wenn sie nur wüsste, wen Elisabeth noch eigenhändig per Post eingeladen hatte, und eine schriftliche Zusage bekommen hatte.

"Guten Tag", grüßte Marnie höflich Lissys Vater, der das Auto fuhr.

"Hallo, Marnie", lächelte er und lächelte ihr durch den Rückspiegel kurz einmal zu.

"Wie geht es der Braut bis jetzt?", wollte Marnie wissen und Lissys Vater meinte: "Sie ist sehr aufgeregt. Etwa zehn Mal quirliger als sonst." Zum Ende hin grinste er, da er schließlich genauso gut wie Marnie wusste, wie aufgedreht Lissy normalerweise schon war. Die dazu vorhandene Steigerung zu erreichen war nicht gerade einfach.

Die restliche Fahrt bis zu ihrem Haus unterhielten sie sich noch verhalten, beide waren bemerkbar nervös.

Marnie war als eine von Lissys engsten Freundinnen lange vor den anderen Gästen hier, und deswegen konnte sie noch mit ansehen, wie die Blonde in ihrem wunderschönen Kleid vor dem Spiegel stand und mit einem aufgeregten Gesichtsausdruck über dessen Rock strich.

"Du siehst atemberaubend aus", sagte Marnie das, was sie sofort dachte, und Lissy zog sie sofort quiekend in eine Umarmung. "Danke", flüsterte sie ihr ins Ohr, um ebenfalls ein Kompliment zurückzugeben.

Marnie ließ sich definitiv nicht lumpen.

Es dauerte noch eine ganze Weile, bis irgendetwas passierte. Lissy stellte Marnie den anderen Frauen, die dort waren, auch vor. Andere Freundinnen, aber auch Cousinen und Tanten waren dort, um die Braut moralisch zu unterstützen.

Sie tranken alle ein wenig Champagner, bevor sie letzten Endes Richtung Kirche fuhren beziehungsweise gefahren wurden und die Zahl der Autos vor dem Gebäude ließ erahnen, dass fast alle Gäste schon in ihr saßen und auf das Erscheinen der Braut warteten.

Lissy stand tief durchatmend neben ihrem Vater, als alle ihr noch einmal viel Glück wünschten und nach und nach die Kirche betraten.

Marnie war eine der letzten und nahm Lissy fest in den Arm. "Du schaffst das, lass allen die Augen vor Schönheit ausfallen", sagte sie das erste was ihr in den Sinn kam und umarmte Lissy kurz, wobei sie erneut bewunderte wie hübsch sie heute aussah.

Das letzte was Marnie sah, bevor sie die Kirche betrat, war wie Lissys Vater ihr dabei half, den Schleier vom Hinterkopf nach vorne zu ziehen.

Die Zeremonie war wunderschön; Marnie saß neben Louis und anderen Arbeitskollegen und konnte die ein oder andere Träne nicht unterdrücken, als zum Beispiel die Orgel zu spielen begann und James am Altar versucht war, sich sofort umzudrehen, um Lissy anzusehen, die mit großen, langsamen Schritten durch den Mittelgang ging.

Oder auch, als der Priester schlichtweg über Dinge wie die Liebe sprach, und natürlich auch als sie das Ehegelübde abgaben und sich gegenseitig dabei halfen, den Ring anzuziehen.

Und sie konnte sich nicht helfen, während dem ganzen hin und wieder an den Braunhaarigen zu denken, von dem sie hoffte, ihn bald wieder sehen zu können. Ein Monat war eine ganz schön lange Zeit, wenn man tagtäglich an jemanden denken musste.

"Bereit bei der Feier zu versacken?", fragte Louis frech wie er war sobald die Zeremonie beendet und ihre Kollegen verheiratet waren.

"Oh Gott", konnte sie nur kopfschüttelnd grinsen, als der blauäugige schon aus der Bank trat und zielstrebig Richtung Ausgang ging, wo die ersten Gäste dem Paar schon gratulierten.

Marnie wollte noch einige Momente warten, damit sie sich nicht mit viel zu vielen anderen durch die schmale Tür quetschen musste.

Ihre blauen Augen schauten sich gerade noch verträumt einige der Kirchenmalereien an, als jemand etwas schwerfälliger die Treppe für die Empore ihrer Seite herunter kam.

Sie dachte sich nichts dabei, natürlich nicht. Doch als die Person neben ihr zum Stehen kam und sie die raue Stimme sagen hören konnte "Wollen Sie dem Paar nicht gratulieren, Miss?" drehte sie sich ruckartig um.

The Lone Trooper (h.s.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt