Ignoranz • Zomdado

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Ich fand es nicht schlimm, wenn mich meine Freunde ignorierten, wirklich nicht.
Ich war sehr anstrengend, und das wusste ich.
Aber wenn mich dann jemand so kalt behandelte, als wäre ich sein Todfeind, und ich mich selbst eigentlich immer zu seinen engsten Freunden bedacht hatte, dann, dann begann ich mir Gedanken zu machen.
Ich meine.. ich hatte kein Selbstbewusstsein.
Ich war schüchtern, ich war verklemmt.
Meine dreckig blonden Haare unter einer Beanie, welche fast in meiner Augenfarbe war, ein T-Shirt und eine helle Jeans.
Es gab wenige Tage, wo ich mir nicht wie ein Gesichtselfmeter mit meinem ganzen Körper vorkam.
Und es gab noch weniger Tage, an denen Michael mich ignorierte, mich so kalt behandelte, dass ich mir wie ein auf die Straße getretener Hund vorkam. Und die anderen? Die schienen alle auf Michaels Seite zu sein.

"Micha? Hast du heute Zeit, zu lernen?" Meine Stimme war fast schon schüchtern, als ich mich zu ihm herüber lehnte und ich seine Haare an meiner Wange kitzeln spürte. "Ich versteh' in Gemeinschaftskunde die Karikatur nicht und.. jah.. du verstehst das doch so gut." Blut schoss mir in die Wangen, als ich einen ziemlich offensichtlichen Flirtversuch startete. "Nein, sorry. Keine Zeit." Er wandte sich nach vorne, um unserem Geographielehrer zuzuhören und mein Bauch zog sich schmerzhaft zusammen. "Was machst du denn?" Startete ich einen weiteren jämmerlichen Versuch, mich mit ihm zu unterhalten. Er jedoch tat so, als hätte er mich nicht gehört und enttäuscht biss ich mir auf die Innenseite meiner Wange, wandte mich ebenfalls nach vorne. Die abweisenden Signale, die mein Nebensitzer mir zur Zeit gab, waren mehr als eindeutig und so begnügte ich mich für den Rest der Stunde damit, Kreise auf mein Blatt und auf den Tisch vor mir zu kritzeln.

"Manu! Jetzt warte doch!" Der kleine, zierliche Brünette wartete auf mich, aber mit einem Blick, der mich abschreckte. "Wieso sollte ich auf dich warten?" Fauchte er, ich zuckte zurück. "W-weil du immer auf mich wartest? Und wi-wir den gleichen Bus neh-" Seine grünen Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen und ich winkte ab. "Vergiss es."
Es brauchte lange, bis jemand meine Wut auf sich zog. Wirklich, wirklich lange. Aber die von Michael verursachte Frustration und meine Verzweiflung aufgrund der Ignoranz meiner Freunde machte mich so unglaublich wütend und das gefühlt erste Mal in meinem Leben ließ ich jemanden stehen.

Hey \(^~^)/
[19:48]

Wieso habe ich ihn angeschrieben, ich Idiot? Ich konnte ja dankbar sein, dass er überhaupt noch in der Schule mit mir sprach.
Und tatsächlich, während ich am Computer war und alle zwei Minuten online ging, um nicht zu schauen, ob er nicht doch antwortete, hatten sich die grauen Häkchen in ein mich verspottendes Blau verwandelt. Unsicher biss ich mir auf die Innenseite meiner Wange, und dann leuchtete mein Bildschirm auf. Mein Herz machte einen freudigen Satz, als ich 'Zümbelmann' las, aber er hatte in unsere Gruppe geschrieben.
Naja, unsere Gruppe klang dezent besitzergreifend, aber dennoch war es so.
Manuel, Michael, Patrick und ich. Ja, ich war verdammt besitzergreifend und eine kleine Mimose. Aber trotzdem. Mich verletzte es unglaublich, dass Michael mich ignorierte und noch die Dreistigkeit hatte, in eine Gruppe, in der ich ebenfalls war, zu schreiben. Er wusste es, schließlich hatte ich die letzte Nachricht geschrieben!
Frustriert warf ich mein Handy auf den Boden,  wohl wissend, dass da wahrscheinlich jetzt auch noch ein Riss drin war. Aber es war mir egal, denn meine Wut staute sich auf und befreite sich in Form von Tränen, die immer stärker fließend in mein Kissen sickerten.

Ferien. Whuhu. Welch eine Erlösung. Stumm seufzend schulterte ich meine Tasche und ging mit großen Schritten aus dem Klassenzimmer. Eine Woche hatte ich jetzt Ruhe. Eine Woche lang musste ich nicht täglich die kalte Schulter Michaels ertragen.
"Hey." "Hey." Meine Stimme war kühl, distanziert. Auch Patrick klang distanzierter als sonst, er setzte sich auch nicht neben mich. Der Bus begann zu fahren und ich kramte nach meinem Handy. "Was gibt's?" "Ich.. ich wollte bloß wissen, was du in den Ferien vorhast." "Was interessiert's dich?" Ungewollt bissig kam mir der Kommentar über die Lippen. "Ihr ignoriert mich doch eh alle." "Das stimmt nicht!" "Achso, ja stimmt, ignorieren ist ja, wenn man gar nicht mehr redet. Ihr weist mich ja nur noch ab." Fast schon beleidigt zuckte Patrick weg und für einen kurzen Moment blickte ich ihm in die Augen. Versuchte ihm, meine Verzweiflung zu zeigen. Wieso ignoriert ihr mich? Was habe ich falsch gemacht? Am liebsten hätte ich es ihm ins Gesicht gesagt, aber ich bekam meinen Mund nicht auf und es blieb unausgesprochen. Was kann ich machen, dass ihr mich beachtet? Warum? Doch er brach den Augenkontakt ab. "Das stimmt nicht, Maurice. Das weißt du." Ich schnaubte. "Du bist doch selbst schuld!" Ungestüm sprang ich auf und hob meine Hand. Wut schoss durch mich hindurch, dann Schmerz. Dann Verwirrung.
Und zum ersten Mal schien einer meiner vermeintlichen Freunde endlich zu verstehen, was in mir vorging und ehe ich es mir versah, wurde ich in eine Umarmung gezogen, die andauerte, bis der Bus zum stehen kam.
"Komm." Meinte Patrick nur und zog mich mit sich mit.

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