Maske • Germanletsplay

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Nachdenklich blickte ich aus meinem Fenster in den kalten, grauen, verregneten Himmel. Es war früher Abend und eigentlich sollte ich arbeiten. Ich drehte meinen Kopf und blickte durch mein kleines Aufnahmezimmer. Rechts neben meinem Comouter stand ein Regal mit Ordnern zu meinen einzelnen Projekten und Aufnahmepartnern, wie ich sie kontaktierte und wie sie ankamen. An meinem Tisch lehnte meine Tafel mit meinem Aufnahmeplan und gegenüber von dem Schreibtisch waren mehrere Boxen voller Arbeitsmaterial. Alles war geordnet, alles war organisiert, ich hatte die komplette Kontrolle über alles. Zudem lagen in der Ecke hinter der Tür alle Artikel aus meinem Shop sowie die Jacke und meine Maske. Ja, meine Maske. Leicht seufzte ich und ging zu ihr, nahm sie in die Hand. Vielleicht zweihundert Gramm, und von der Symbolik her so unglaublich schwer. Meine Maske - mein Kennzeichen, meine Verhinderung gegenüber den anderen und doch ein Vorteil. Ich könnte jederzeit ohne Aufwand mit Youtube aufhören, von meinen Geschwistern und Eltern würde kein Druck kommen. Einfaches Blockieren der anderen Kontakte machte mir auch alles leichter. Twitter löschen, Youtube löschen. Mich löschen. Wie einfach das ging, wie traurig das war. Alles was mich ausmachte, alles was ich war hing von dieser einen Maske ab. Ohne sie hatte ich nichts, war ich nichts. Doch was wenn ich einfach ... loslassen würde? Einfach alles hinter mir lassen würde? Ein kompletter Neustart... Doch ich hätte ein zu schlechtes Gewissen, keine Referenzen für eine neue Arbeit. Weder einen guten Abschluss noch eine Ausbildung. Nein, es war absolut ausgeschlossen, mit Youtube aufzuhören. Noch weniger für so ein Hirngespinst, wie ich sie momentan öfters hatte. Nein, bloß dafür definitiv nicht. Langsam striff ich durch die Wohnung, zog mir eine Jeans und einen Hoodie an und schlüpfte in meine Schuhe. Und als ich mein Handy und meinen Schlüßel aus meinem Aufnahmezimmer geholt hatte, gerade kurz davor war, raus zu gehen, zögerte ich und nahm aus purer Intuition meine Maske mit.
Es war kalt und es dämmerte. Kleine Wölkchen bildeten sich vor mir und ich steckte meine Hände tief in meine Taschen. So schlenderte ich an einem Fluss entlang, bis ich schließlich an einer alten, beinahe antik wirkenden Brücke Halt machte. In der untergehenden Sonne war das Wasser schon dunkel, fast schwarz. Es rauschte unter der Brücke hindurch und setzte ungehindert seinen Weg fort. Ein paar Steine unterbrachen die Strömung, stoppten sie jedoch nicht. Erschöpft lehnte ich mich über das Geländer und blickte nach unten - die Dunkelheit schien mich verschlingen zu wollen. Ich würde mit den Strom mitgerissen werden bis ich sterben würde. Es war wie die heutige Gesellschaft, die heutige Generation. Eine wunderschöne Metapher für so eine grausame Sache. »Alle schauen auf ihre Schuhe und suchen nach dem coolsten Style - ihr lebt alle am Leben vorbei« schoss mir eine Zeile von Lukas Litt durch den Kopf. Wie er recht er doch eigentlich hatte... »Verbiegt euch für die Masse, liebt was ihr hasst; doch im Grab sind die Masken egal.« War meine Maske dann auch egal? Würden meine Kollegen, Freunde, Fans respektieren, dass ich ungesehen bleiben wollte? Für immer? »Kapsel mich ab, werf' die Kapseln hinab« Irgendwie passte das schon zu mir... War es nicht auch ein Zeichen von Feigheit? Dass ich mich nicht zeigte, nicht traute zu zeigen? Ich könnte die Maske fallen lassen, mich zeigen... Oder sie wegwerfen, absperren ab sofort verleugnen. Dann wäre ich frei, frei von Angst gesehen zu werden. Vielleicht würde ich einen wundervollen Job bekommen, mich mit Menschen von Angesicht zu Angesicht unterhalten. Ich könnte eine ganz normale Person sein. Normal...
Ich genoss den Wind, der mich und meine Gedanken abkühlte und drehte die Maske zwischen meinen Händen hin und her, betrachtete sie im Licht des aufgehenden Mondes. Es war eine einfache Entscheidung... Doch warum dachte ich so viel nach? Warum handelte ich nicht einfach mal? Spontanität. Dieses Wort war mir ein Fremdwort. Ich brauchte immer Videos, immer einen Plan. War es einfach Verklemmtheit oder pure Kontrollsucht? Kontrolle. So ein schönes Wort. Ich glaube, ich hatte schon vor langer Zeit die Kontrolle über mich verloren. Ich ließ mich von Zahlen leiten, von Klicks und machte immer dieselben Witze. Es war gefährlich, eine menschenbekannte Person zu sein, denn irgendwann wird man eine menschengesteuerte Person. Aufstehen, aufnehmen, schneiden. Aufstehen, aufnehmen, schneiden. Ausfstehen, aufnehmen, schneiden. Es konnte gar nichts Spannendes oder Spontanes in meinem Leben geben, mein Tag war immer gleich, eine Abfolge von Tätigkeiten, die ich ohne nachzudenken ausführte. Und das alles begann mit dieser Maske... In mir entstand ein innerer Konflikt, all die Gedanken und Gefühle der letzten Jahre brachen heraus. Heute musste ich mich entschieden. Würde ich die Maske bis an mein Lebensende tragen und gefühlskalt werden, oder die Maske, sowie viele Menschen, Freunde, Investitionen hinter mir lassen, wie so vieles in meinem Leben?
Und bevor ich meine Entscheidung getroffen hatte, hatten meine Finger bereits für mich entschieden. Die Maske, welche nun nichts mehr weiter als ein Stück Plastik war, entglitt meinen tauben Fingern und fiel in das dunkle Wasser - wurde von dem Strom mitgerissen, während ich mich umdrehte und befreit nach Hause lief, so unglaublich viel hinter mir lassend.

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843 Wörter
Naa~ an zweiter, kleiner, etwas nachdenklicherer Os^^
Was haltet ihr davon? Ich habe einfsch mal losgeschrieben.
Jo.
Rosenlicht

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