Kapitel 18

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Die Zeit zuhause verging sehr schnell. Ich hatte täglichen Kontakt mit meinen Bruder. Ich musste mir nur angewöhnen öfter auf mein Handy zu schauen. Dadurch dass ich niemanden mehr hatte brauchte ich mein Handy sehr sehr selten. Wenn ich mal nicht antwortete machte er sich direkt sorgen und spamte mich voll um zu fragen wie es mir ging. Ich musste ihn mehr Mals klar machen dass ich in der Zeit im Krankenhaus vielleicht nicht mehr direkt antworten kann und er sich nicht direkt sorgen machen muss

Im Krankenhaus ging die Chemotherapie direkt weiter

Während die Chemotherapie noch lief wurde ich auf die KMT-Station verlegt in den fünften Stock. Die KMT-Station liegt hinter einer Schleuse. Um hineinzukommen muss zuerst geklingelt werden. Eine Schwester macht dann von innen die äußere Tür der Schleuse auf und man kann hineingehen. Dort müssen Besucher ihre Taschen verstauen und sich entsprechend vermummen. Für die Station heißt das Handschuhe, Haube, Mundschutz und Umhang. Die innere Türe öffnet sich nur, wenn die äußere geschlossen ist. Ich habe Riad gesagt dass keine Besucher kommen dürfen weil ich nicht wollte dass er seine Arbeit wegen mir abbricht. Davor war ich auch allein, ich kann es auch weiterhin

Während der meisten Zeit auf der KMT-Station war ich in Umkehrisolation. Das bedeutet, dass ich das Zimmer nicht verlassen darf und Ärzte, Schwestern und Besucher nur vermummt hineindürfen. Das Zimmer hat ein spezielles Lüftungssystem und eine Klimaanlage, da die Fenster nicht geöffnet werden können. In der Zeit von der Konditionierung bis einige Tage vor der Entlassung ist der Patient also eingesperrt.

Später wurde mir dann noch eine zweite Braunüle gelegt. Da saß ich nun, mit zwei Braunülen, einer in jedem Arm, alleine im Zimmer und wollte nur noch weg. Die Zeit in der normalen onkologischen Station war ich psychisch eigentlich recht stabil gewesen, meistens gut drauf und eigentlich sehr optimistisch. Das änderte sich auf der neuen Station ziemlich schnell. Das lag zwar auch daran, dass es mir körperlich sehr schlecht ging, aber auch das Eingesperrtsein machte mir sehr zu schaffen.

Am nächsten Tag bekam ich meinen neuen ZVK in meinem Zimmer gelegt. Mit einer solchen Dosis Dormicum, dass ich den restlichen Tag nur geschlafen habe. Wenigstens war ich nun die Braunülen wieder los, da der ZVK über drei Anschlüsse verfügte, über die die verschiedenen Medikamente jetzt laufen konnten. Am selben Tag stand spontan auch noch eine Lumbalpunktion an. Lumbalpunktionen werden bei Akuten lymphatischen Leukämien häufig gemacht, bei AML normalerweise nicht. Mein Arzt wollte überprüfen, ob meine kranken Zellen die Blut-Gehirn-Schranke überschritten hatten. Bei einer Lumbalpunktion wird eine sehr feine Nadel in den Lumbalkanal eingeführt und Nervenwasser entnommen. Für mich hieß das in dem Moment, dass jemand mit einer Nadel an meiner Wirbelsäule herumsticht. Ich musste mich vorn übergebeugt aufs Bett setzen und einen runden Rücken machen. Es tat nur einmal kurz weh und war recht schnell vorbei. Trotzdem war ich hinterher durchgeschwitzt und zitterte am ganzen Körper.

Nach einer Lumbalpunktion muss man sich ca. 2 Stunden flach hinlegen, da man sonst Gefahr läuft, höllische Kopfschmerzen zu bekommen. Ich blieb von diesen glücklicherweise verschont.

Ein Tag später begann meine Konditionierung. Es war Tag -12 vor der Stammzelltransplantation, die an Tag 0 stattfinden würde. Meine Konditionierung wurde nach dem Protokoll FLAMSA-RIC durchgeführt. Dazu gehörten Chemotherapien mit Fludarabin, Cytarabin und Amsacrin an den Tagen -12 bis -9. Tag -8 bis -6 war Pause. Am Tag -5 kam eine Ganzkörperbestrahlung mit 4 Gy. An den Tagen -4 bis -2 bekam ich ATG-Fresenius, das sind Antikörper vom Kaninchen gegen Anti-T-Zellen. Am Tag -1 kam die erste Dosis Cyclosporin, ein Immunsuppressivum und an Tag 0 bekam ich meine neuen Stammzellen. Das ganze stand auch auf einem übersichtlichen Plan den ich mitverfolgte. Zum großenteil wusste ich nie was das ganze bedeutet bis es durchgeführt wurde

In den nächsten Tagen verschlechterte sich mein Zustand schlagartig. Ich hatte ständig Kopfschmerzen, mir war übel und Magenschmerzen hatte ich auch noch. Essen konnte ich noch, aber mein Appetit wurde immer weniger und irgendwann hörte ich auf zu essen, da ich sowieso künstlich ernährt wurde. Mir wurde sehr viel Wasser zugeführt und ich fühlte mich wie ein Ballon, da das Wasser sich in meinem Körper sammelte. Ich konnte mich kaum noch bewegen, hatte Schmerzen und wollte nur noch nach Hause. Ich habe in dieser Zeit am wenigsten Kraft gehabt. Meistens schlief ich nur oder dämmerte vor mich hin

Die Bestrahlung war recht unspektakulär. Ich wurde in einen großen Plastikstuhl, eher eine eckige Schale, gesetzt und mit Wasserbeuteln eingepackt, damit überall die gleiche Dichte ist und die Strahlung gleichmäßig wirkt. In einem Raum wurde ich alleine gelassen und von beiden Seiten 15 Minuten lang mit 4 Gy bestrahlt. Ich habe keine Nebenwirkungen davon bekommen, aber alleine in einem Raum mit einem hämmernden Gerät zu sein, dass gefährliche Strahlung auf einen schießt war schon genug

Meine Transplantation war ein Erlebnis. Die Stammzellen kamen und ich war etwas enttäuscht. Stammzellen sehen aus wie eine Bluttransfusion, nur ein wenig bräunlicher. Ich wurde an alle möglichen Geräte angeschlossen, alle paar Minuten wurde meine Temperatur gemessen, während die Stammzellen durch den ZVK in mich tropften. Zu Beginn passierte gar nichts, doch irgendwann musste ich mich plötzlich übergeben und bekam danach Schüttelfrost. Obwohl schnell zwei Wärmflaschen gebracht wurden hörte ich eine ganze Weile nicht auf zu zittern und war anschließend total erschöpft und müde. Während der Transplantation war eine Ärztin und ein Pfleger bei mir. Ich war total geschafft, das ganze kostete mich viel Kraft und ich wurde immer schwächer

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