17. Kapitel - Benzin im Feuer

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Der Traum von diesem Morgen saß mir noch immer in den Gedanken und ich zerbrach mir den Kopf darüber. Es hätte genauso gut eine Szene aus einem Horrorfilm sein können und es hatte sich so verdammt echt angefühlt. Ich bekam trotz der warmen Temperaturen überall am Körper Gänsehaut und bildete mir ein, noch immer die Fesseln zu spüren.
Es hatte sich einfach rein gar nichts verändert. Ich war immer noch genauso ein Wrack, wie vor meinem Klinikaufenthalt.
Ich hatte es immer wieder verdrängt, hatte mir eingeredet, dass ich gesund sein musste, sonst wäre ich nicht entlassen worden. Aber es stellte sich raus, nichts war gut. Was die ganze Zeit über klar war, ließ ich erst jetzt zu: es war nichts gut. Es war überhaupt die Frage, wurde es gerade besser oder schlechter?
Ich war etwas außer Atem, ich hatte gerade den Brief an Sophie weggebracht. Schon verrückt, in unserem Zeitalter einen Brief zu schreiben. Aber irgendwie auch schön. Es fühlte sich vertraut an. Verstohlen wischte ich mir den Schweiß von der Stirn. Sie fehlte mir. Auch wenn wir uns nicht so lange kannten, hatte ich das Gefühl, dass sie mich wirklich brauchte, als ich ging.
Es war wie mit Mareike bei mir. Sie ging, als ich sie brauchte. Ich fühlte mich augenblicklich furchtbar schlecht. Und furchtbar einsam. Es gab niemanden, der mir geblieben war. Ich hatte noch nie wirklich viele Freunde, aber das hatte mich nie gestört. Mareike und ich waren sowieso unzertrennlich gewesen. Dann war ich in der Klinik und hatte dort ständig Leute um mich herum, dann kam die neue Klasse und Fiona. Jetzt war ich Zuhause, allein mit meinen Träumen und Gedanken und realisierte zum ersten Mal wie verdammt allein ich eigentlich war. Es war ein wirklich beschissenes Gefühl zu wissen, dass es da niemanden gab, an dem man sich im Notfall festhalten konnte. Auch wenn ich dieses Gefühl schon seit meiner Kindheit kannte, war es jetzt etwas anderes. Es fühlte sich wichtiger an, jemanden an meiner Seite zu haben. Ich konnte nicht ausmachen warum, aber ich hatte das Gefühl, wirklich jemanden gebrauchen zu können.
Meine Mutter betrat die Küche. „Wir gehen heute Abend zu Peter. Dem geht's nicht besonders gut. Wir wollen gerne, dass du mitkommst.“, sagte sie beiläufig.
Ich nickte aus Gewohnheit, meiner Mutter zu widersprechen war äußerst suizidal. Doch dann wiederholte ich ihren Satz gedanklich und wünschte, ich hätte mich verhört. Ich sagte nichts, aber ich schaute sie geschockt an. „Was ist denn? Du wirst es ja wohl hinkriegen, für ein paar Stunden mit ihm an einem Tisch zu sitzen, nach all dem, was er für dich und unsere Familie getan hat.“, meinte sie in einem vorwurfsvollen Tonfall. Ich war erstmal perplex und beobachtete nur, wie sie in schnellen Zügen ein Glas Wasser leerte. Mir war schon klar, dass Peter mir nichts tun würde, solange meine Eltern dabei sind. Aber allein der Gedanke, ihn ansehen zu müssen, ließ mich erschauern. Seine bohrenden Blicke aus diesen kalten Augen, sein nach Alkohol riechender Atem und seine ungepflegte Optik waren dabei nur die am wenigsten schlimmen Dinge. Ich wurde wütend, als ich weiter über ihn nachdachte. Aber ich wurde wütend auf mich. Warum war ich so blöd, ständig diese Fehler zu machen, die ihn aufregten? Es war doch meine Schuld, meine eigene Schuld...
Ich ballte die Hände zu Fäusten und versuchte, mir gegenüber meiner Mutter nichts anmerken zu lassen. Es war Wahnsinn, wie sehr sie sich von einem erzwungenen Lächeln blenden ließ.
„Zieh dich vielleicht etwas schöner an als sonst, ich möchte nicht, dass Peter denkt wir kämen mit unserem eigenen Kind nicht zurecht.“, warf meine Mutter noch in den Raum, kurz bevor sie durch die Tür verschwand. Ich schlug die geballte Faust auf den Küchentisch und die darauf stehende Vase zitterte von der Erschütterung. Sie schaffte es jedesmal, noch literweise Benzin ins Feuer zu schütten.

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