Kälte legte sich über meinen Körper, sie drang mir bis ins Herz. Noch immer starr vor Angst lag ich da, atmete schnell ein und aus. Es war was passiert. Etwas Schlimmes war passiert, die letzten Minuten rasten an meinem inneren Auge vorbei.
Und dann wachte ich auf. Schwaches Licht beleuchtete meine Umgebung, Holzdielen neben mir, über mir, unter mir. Vorsichtig richtete ich mich auf. Ein Schwindel überkam mich, einer, den ich nicht einmal in meiner schlimmsten Essstörungszeit hatte. Doch ich zwang mich dazu, mich weiter umzusehen. Ich lag in einer ziemlich großen Blutlache, die zum Großteil schon dunkel an das Holz getrocknet war. Zu meinen Füßen lag zusammengeknüllt die Decke, die ich mir in der Nacht geholt hatte. Es war unfassbar kalt, meine Zähne klapperten aufeinander und mein Atem bildete ganz leichte Atemwolken. In der Ferne drang Stimmengewirr zu mir. Erst nahm ich es gar nicht wirklich wahr, doch dann bemerkte ich, dass die Stimmen näher kamen. Ich hielt den Atem an und da konnte ich es hören. Meinen Namen. Unterschiedliche Stimmen riefen meinen Namen, Schritte durch das Laub und das Geräusch von Funkgeräten. Erschrocken starrte ich das Chaos an, das mich umgab. Mit einem Mal wurde mir klar, was ich angerichtet hatte und ich wurde so wütend, dass ich nicht einfach gestorben war und mir das erspart blieb, dass ich mich am liebsten ohrfeigen würde. Doch mein Arm schmerzte mich zu sehr. Mein Arm. Mein Arm schmerzte. Sonst nichts? Vorsichtig griff ich mir mit der anderen Hand in die Hose. Kein Blut. Angespannt tastete ich mich ab. Keine Schmerzen. Trotzdem war es, als wären die fremden Finger noch in mir. Wenn ich darüber nachdachte, konnte ich sie spüren. War das Furchtbare Traum oder Realität gewesen? Verwirrt lauschte ich wieder der Umgebung.
Die Schritte und Rufe waren jetzt ganz nah. Mir war klar, dass man mich finden würde. Ich konnte mich hier nirgendwo verstecken und jeder würde auch in der Hütte nachsehen, wenn wer hier gesucht wurde.
Wie, verdammt, hatte man mich überhaupt gefunden? Ich verfluchte mich, dass ich nicht einfach weitergelaufen war, weiter ins nächste Dorf, weiter zu Peters Haus. Durch meine Wut fühlte ich mich in der Lage, den armseligen, gebrechlichen Mann abwehren zu können. Ich war mir so sicher, dass mich die Panik nicht mehr lähmen würde. Bis mir seine Worte an meinem Ohr einfielen. „Unser kleines Geheimnis ".
Ich drehte mich angeekelt zur Seite, doch es war zu spät und ich erbrach mich über meinen Schoß. Ich erbrach all meinen Ekel, all den Schmerz und viel Alkohol und Magensäure, doch ich fühlte mich trotzdem hundeelend. Ich wollte nur verschwinden, weit weg, nicht mehr gesehen werden und jetzt hatte ich wieder so einen Aufstand verursacht, all die Aufmerksamkeit auf mich gezogen, beim Versuch, sie ein für alle Mal zu vermeiden.
Scheinbar war ich nicht besonders gut darin, etwas zu erreichen, indem ich das komplette Gegenteil tat.
Mich beinahe umbringen, um mich lebendig zu fühlen, mich beinahe umbringen, um nicht beachtet zu werden.
So nüchtern betrachtet war mir klar, wie bescheuert das war. Aber ich wusste mir einfach nicht anders zu helfen. Die Gefühle stauten sich über Tage, Wochen und Monate an und brachen vom einen auf den anderen Moment wie ein Tsunami über mich ein und dann war nichts vor ihrer Verwüstung sicher.In dem Moment brach die Tür zur Hütte auf und ein fokussierter Hund stand hechelnd vor mir, heftig bellend. Abwartend legte er sich direkt neben mich. Sein Führer, ein Polizist wie ich feststellte, lobte ihn mit einem Spielzeug, gab dann knapp durch sein Funkgerät durch, dass er mich hatte und erklärte kurz wo, als schon mehrere Kollegen die Hütte erfüllten. Ich sagte kein einziges Wort, rührte mich keinen Millimeter und starrte die Einsatzkräfte nur an. Eine Frau ging neben mir in die Hocke, darauf bedacht, weder in Blut, noch in Kotze zu treten, während eine Kollegin einen Krankenwagen anforderte. Meine Wut war verebbt, als die zweite Polizistin sich neben mich hockte und mir eine Hand auf die Schulter legte. Erst da fiel mir auf, wie sehr ich zitterte, wie verdammt einsam ich war und wie dämlich es sein musste, dass diese Berührung einer fremden Person sich so nah anfühlte. Geräuschlos liefen mir Tränen über das Gesicht, aber ich blinzelte sie nicht weg, sondern starrte einfach nur so von Polizist zu Polizist, zu Polizistin. Sie redeten, alle. Aber ich starrte nur. Starrte einfach nur von Gesicht zu Gesicht, während mein Atem stolperte und mir kotzübel war. Die Polizistin rechts neben mir wich gerade noch zur Seite, da erbrach ich mich erneut. Der beißende Geruch meines Mageninhaltes erfüllte die Hütte. Meine Kleidung war nass. Ich war komplett nass. Ich hatte keine Ahnung, ob ich mich auch noch eingenässt hatte, aber es war alles nass.
„Komm. Komm, du musst hier raus. Kannst du aufstehen? Ein Rettungswagen müsste gleich da sein", die Stimme eines Polizisten kam zu mir durch.
Sie versuchten, mir aufzuhelfen, aber meine Gliedmaßen gehorchten mir nicht. Ich kam nicht hoch und knickte immer sofort wieder weg.
Doch die Realisierung, dass ich offenbar so geschwächt war, erschrak mich nicht. Es kam mir vor, wie das Normalste der Welt.
Durch die geöffnete Tür konnte ich Blaulicht erkennen. Viel Blaulicht. Rettungssanitäter kamen mit einem weiteren Polizisten in die Hütte.
Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Personen hier Platz fanden.
Die Sanitäter kamen auf mich zu, redeten irgendwelche Dinge auf mich ein. Einer schnitt mein Oberteil auf. Die Polizistin kam mit dazu. Sie sah mir direkt in die Augen. Ihr Blick war fragend, doch ich verstand nicht. Die Sanitäter hielten inne. Als ich nicht reagierte, hockte die Polizistin sich wieder neben mich und nahm meine Hand. „Drück fest zu, wenn wir sofort mit allem aufhören sollen.", sagte sie sanft und deutete den Sanitätern an, weiterzumachen. Wenige Sekunden später war mein Pullover zerschnitten und weg von mir. Sie machten sich an meiner Hose zu schaffen und ich vergaß, dass ich die Hand der Polizistin hätte drücken sollen und schrie. Ich schrie so laut, wie es mir nie zuvor möglich war, wenn ich Panik bekam. „Hast du Schmerzen?", fragte der Sanitäter, der mir die Hose aufknöpfte. Ich drückte so fest ich konnte die Hand der Polizistin.
„Kurz aufhören.", sagte sie zu den Sanitätern, die sich von mir entfernten und kurze Zeit später eine Wärmedecke über meine Schultern legten.
„Die Hose muss ab. Sie ist nass und kühlt deinen Körper sonst noch weiter runter. Du wirst sofort zugedeckt und dann auf die Trage des Rettungswagens gelegt. Wir helfen dir.", sagte ein männlicher Polizist zu mir. Ich hörte auf, die Hand zu drücken und die Hose wurde mir schnell ausgezogen. Wie versprochen kamen direkt Decken über mich.
Mein Blutdruck wurde gemessen, die Sanitäter tauschten sich kurz darüber aus. In der Zeit traf eine weitere Einsatzkraft ein, welche sich als Notärztin herausstellte. Sie säuberte vorsichtig meinen Arm.
„Hast du den Gegenstand, mit welchem du dich verletzt hast, noch bei dir?", fragte ein Polizist, der sich die letzten Minuten in der Hütte umgesehen und unter anderem die fast leere Flasche Vodka aufgehoben hatte. Ich schüttelte den Kopf, konnte mich aber nicht erinnern, wo ich die Rasierklingen hatte. „Vielleicht im Pulli", krächzte ich, das erste, was ich überhaupt sagte.
Einer der Sanitäter nahm das zerschnittene Teil und holte aus dessen Tasche tatsächlich das Päckchen mit den Rasierklingen hervor. Er reichte es dem Polizisten. „Wie viel davon hast du getrunken? Alles, was da fehlt?", fragte er mich dann. Ich sah die Flasche an. Beachtlich. Es fehlte tatsächlich über die Hälfte davon. Ich nickte schwach. Einen Teil hatte ich aber sicher auch verschüttet.Mein Arm war nun dick verbunden, als die Einsatzkräfte mich auf die Trage vor der Hütte trugen. Im Rettungswagen wurde mir ein Zugang gelegt. Infusionen zwängten sich in meinen Körper und ich schwieg weiter und ließ alles über mich ergehen. Einer der Polizisten fuhr im Rettungswagen mit. Mir wurde gesagt, wo wir hinfuhren, doch ich vergaß es direkt wieder. Aber im Prinzip war es mir sowieso klar. Krankenhaus, bis das Körperliche wieder fit ist, danach Psychiatrie. Es war ja immer das Gleiche. Ob ich jemals gesund werden konnte?
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Breath
Novela JuvenilVoller Zuversicht startet Ema ein neues Leben, doch schon bald wird ihr klar, dass ein Leben gebaut aus Lügen nicht funktionieren kann. Sie muss sich ihren Ängsten stellen und sich mit Peter konfrontieren lassen. Eine schwere Zeit steht für sie und...