23. Kapitel - Gespräch

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Morgen in einer Woche. In acht Tagen, da hatte ich meinen ersten Termin bei der Psychologin. Ich wusste nicht, wie ich mich fühlen sollte. Es erschien mir unfair.
Ich wurde über all die Jahre hinweg gebrochen, zu dem Menschen gemacht, der ich jetzt war und nun war das nicht richtig und irgendeine studierte Person sollte das wieder gerade biegen? Sollte man sich nicht eher um den Verursacher kümmern? Aber vermutlich lag das irgendwie in meiner Macht.

Heute morgen waren die Fäden gezogen worden und der Verband kam ab. Nun fühlte ich mich zu gesund, um glauben zu können, dass ich genau das nicht war. Mein Körper war zu geheilt, um meine wirklichen Wunden zu zeigen.
Ich ging zu dem großen Spiegel in meinem Zimmer und drehte mich im Kreis. Langsam, und ohne die Augen von meinem Spiegelbild zu nehmen. Meine Kleidung bedeckte alles, was mich zum Schreien bringen konnte. Jedes Gramm Fett, das ich an dieser Stelle nicht haben wollte. Von ein bisschen Stoff bedeckt und versteckt.

Es klopfte an meiner Tür. Ich wartete ab, doch niemand trat ungebeten ein. Ich ging zur Tür und öffnete sie einen Spalt. Fiona grinste mir entgegen. „Dein Handy hast du dir zu Dekozwecken zugelegt, oder?“, begrüßte sie mich. Ich blickte zu meinem Smartphone auf dem Tisch. Ja, das hatte ich tatsächlich schon länger nicht mehr angerührt. Aber normalerweise versuchte auch nie jemand, mich darüber zu erreichen. Freunde hatte ich keine und meine Eltern sah ich jeden Tag. Fiona war in die Mitte meines Zimmers gelaufen und sah sich um. „Nett.“, sagte sie und hob eines der Kleidungsstücke auf, von dem Berg, der vier verschiedene Größen abdeckte. „Sind das alles deine?“, fragte sie. Ich nickte zaghaft. „Ich hab aussortiert.“, erklärte ich dann den riesen Berg verschieden großer Kleidung. „Okay, um ein Stationenspiel aufzubauen? Endstation, wieder Kinderkleidung tragen zu können?“, meinte sie und musterte mich kritisch. Ich wich ihrem Blick aus und lachte unsicher. Wenn sie nun beginnen würde, mir Vorwürfe zu machen, würde ich es nicht fertigbringen, sie weg zu schicken. Also hoffte ich, dass sie anders war als Mareike und vielleicht auch gar nicht weiter darauf einging. Aber natürlich tat sie das.
„Weißt du, ich hab keine Ahnung inwieweit ich das Recht habe, dazu was zu sagen, aber ich sehe was du machst und ich finde es echt schade. Ich wünschte, ich könnte dir irgendwie helfen.“, sagte sie dann. Sie ging zwar darauf ein, war aber nicht wie Mareike. Aber vielleicht würde das noch kommen. Ich musste nur lange genug anwesend in ihrem Leben sein, dann würde sie ziemlich sicher schon bald sehr genervt sein. Aber irgendwie war es mir auch egal. Es war ja nichts neues für mich. Deshalb sagte ich daraufhin auch einfach nichts, sondern sah Fiona nur an. Sie hatte irgendetwas an sich, das mich jedesmal stocken ließ. Sie war kein besonders auffälliger Mensch, aber gleichzeitig war sie doch so besonders. Ihre dunklen Haaren schimmerten in der Sonne leicht braun, im Schatten wirkten sie schwarz. Ihre blauen Augen blickten stets freundlich aus ihrem Gesicht, ich hatte sie noch nie grimmig gesehen. Fiona lächelte mich an. Ich wandte meinen Blick ab und biss verlegen auf meine Lippe. „Warum magst du mich?“, fragte ich sie dann und versuchte, mein Misstrauen zu unterdrücken. Fiona kam auf mich zu und setzte sich auf mein Bett. „Gegenfrage - warum sollte ich es nicht tun?“, meinte sie dann lachend. Ich wusste viele Antworten darauf, doch ich sprach keine davon aus, sondern zuckte nur mit den Schultern. „Hör zu, du bist sicherlich ein harter Brocken, wenn es darum geht, mit dir befreundet sein zu wollen, aber das heißt nicht, dass du es nicht wert bist, dass jemand diese Hürde auf sich nehmen will.“, Fiona sah mich an. Ich fühlte mich verloren, wie ich so in meinem Raum stand und ihr zuhörte, ohne zu wissen, was ich selbst sagen könnte. Ich setzte mich auf meinen Schreibtisch, um das Schweigen nicht allzu peinlich zu machen. „Was ist mit denen?“, fragte Fiona und deutete auf die vielen Bilder der Leute aus der Klinik und ein Bild von Mareike und mir, wobei Mareike inzwischen Reisnägel in beiden Augen hatte. Ich hatte es bloß noch nicht geschafft, das Bild abzuhängen. Es war das einzige, das noch lebte, alle anderen waren längst im Müll gelandet. Zumindest die ausgedruckte Version davon. „Das sind Leute aus der Klapse und meine ehemalige beste Freundin.“, sagte ich, so trocken wie möglich und schluckte schwer. „Warum denn ehemalig?“, fragte Fiona weiter.
Ich lachte, um meine Unsicherheit zu verbergen. „Sie meinte einmal zu mir, ich solle doch einfach sterben und es wäre ihr egal.“, antwortete ich. Fiona zog erstaunt ihre Augenbrauen hoch. „Wow. Ganz schön heftig. War da noch mehr, oder war das alles?“
„Nein, da war schon noch mehr. Genau genommen hat sie angefangen mich aus ihrem Leben zu entfernen, als sie checkte, dass ich nicht ganz normal bin. Sie hat es zwar eine relativ lange Zeit mit mir ausgehalten, aber letztendlich rennt ja sowieso jeder weg.“
Wir schwiegen eine Weile. „Wie lange bist du denn schon krank?“, wollte Fiona dann wissen, sie fragte vorsichtig. Ich überlegte, aber so wirklich fiel mir nicht ein, wie lange ich tatsächlich schon krank war. Ich konnte ungefähr nennen, wann die Symptome anfingen, aber krank war ich schon länger. Daher sagte ich: „Ich weiß es nicht genau. Das hatte erst spät seine Auswirkungen.“ Damit war das Gespräch für mich beendet, zumindest über dieses Thema. Fiona schien das bemerkt zu haben und wechselte daher das Thema auf die Schule. Sie erzählte von ihren - und eigentlich auch meinen, bloß kannte ich die meisten gar nicht - Mitschülern und den Lehrern und es kam mir beinahe so vor, als sei ich nie Teil dieser Klasse gewesen. Ich ärgerte mich, dass ich es nichtmal schaffte, wie ein normaler Mensch in die Schule zu gehen, meinen Abschluss zu machen und einfach zu leben. So wie es von mir erwartet wurde.

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