Ich trat der Hitze entgegen, die Tür des Cafés schloss sich leise hinter mir und behielt die klimatisierte Luft sicher in ihren vier Wänden.
Es hatte bestimmt an die 35 Grad und die Luft war feucht. Mein Pullover klebte mir am Körper und ich konnte spüren, wie mein Herz in meinem Brustkorb angestrengt pumpte.
Mein Kreislauf hing am seidenen Faden, ich ignorierte das aber gekonnt. Ich wurde entlassen, ich bin gesund. Ich wurde entlassen, ich bin gesund.Schritt für Schritt bewegte ich mein gesundes Ich Richtung Bushaltestelle. Der kleine Berg dorthin fühlte sich an, als wäre es mindestens der Mount Everest. Keine fünf Minuten in der Hitze und ich schwitzte wie ein Sauna-Gänger.
Ich fuhr mir mit dem Ärmel über das Gesicht. Meine Beine waren angelaufen, die enge Jeans saß stramm auf meiner Haut. Jetzt ein kühler Pool und ich würde meinen Körper darin versenken und nicht wieder auftauchen.Das Handy in meiner Hosentasche vibrierte. Ich hob den Pullover an, der mir bis zu den Oberschenkeln reichte und ließ die heiße Luft die sich darunter staute, in die zwei Grad kältere Luft entweichen.
Fiona rief an. Ich hob ab.
„Bist du schon da?“, fragte sie neugierig.
Ich biss mir auf die Lippe. „Wie man's nimmt.“, entgegnete ich schnaufend und ließ mich an der Bushaltestelle auf eine der Bänke fallen. „Ich bin schon wieder auf dem Rückweg.“
Fiona machte ein langgezogenes Äh, bevor sie antwortete. „Wie? Kam deine Tante nicht?“
Ich blickte in die Richtung, aus der mein Bus kommen sollte. Da war noch nichts. Während ich den kühlen Bus herbeisehnte, konzentrierte ich mich auf das Flimmern der Hitze auf dem Asphalt. „Doch. Doch, sie kam. Ich konnte sie nicht fragen. Mir ist das zu viel. Sei mir nicht böse, Fiona. Ich glaube, ich bin noch nicht so weit.“
Mich überkam das schlechte Gewissen. Fiona und ihre Mutter hatten so viel Liebe, so viel Sorge in mich gesteckt und nun ließ ich die beiden so hängen. Enttäuschte sie sosehr. Ich hätte doch einfach die Klappe halten sollen.
Fiona seufzte. „Schade.“
Ich konnte nicht ausmachen, welches Gefühl hinter diesem Schade stecken könnte und wurde unsicher. Unsicher, was ich sagen sollte, unsicher, wie ich mich verhalten sollte. Ich entschuldigte mich und beendete das Gespräch.
Das Flimmern der Hitze auf dem Asphalt wurde unterbrochen und mein Bus rollte mir entgegen. Mein Retter in der Not, mein rollender Kühlschrank in der brütenden Hitze.
Ich stand auf um einzusteigen. Mir wurde schwindelig, doch ich ging unberührt weiter.
Im Bus ließ ich mich auf einen der Sitze fallen und das Gefühl der Leere zögerte keine Sekunde, sich schwer wie ein Elefant auf mich zu setzen.
Ich war gesund, kein Grund zur Sorge.
Außer mir fuhr niemand an diesem heißen Sommertag von der Stadt zurück. Vermutlich verbrachten alle ihren Tag am See oder im Freibad, während meine Schweißdrüsen unter meiner Kleidung ihren eigenen See produzierten.Die 500 Meter von der Bushaltestelle zu meinem Haus war ich beinahe gesprintet, aus Angst umzufallen, würde ich langsamer gehen.
Ich keuchte Stufe für Stufe die Treppen hinauf in mein Zimmer und zog mir den Pullover aus. Meine Haut ächzte, rang nach Luft und blickte mich im Spiegel vorwurfsvoll an.
Ich war ein einziges Chaos.
Wozu mühte ich mich so ab? Ich hatte nichts. Keine Pläne, keine Zukunft, keine Perspektive. Ich bereitete nur Probleme. Ich wurde traurig. Es schien nichts zu geben, zu dem ich fähig war. Selbst dünn sein wurde mir verwehrt.
Angeekelt vom Anblick, drehte ich mich vom Spiegel weg und entdecke einen gelben Umschlag auf meinem Schreibtisch. Es war ein Brief aus der Klinik, Absender und Empfänger geschrieben in geschwungener Schrift mit langgezogenen Buchstaben.
Ich öffnete den Umschlag und nahm den Brief heraus. Das war nicht Sophies Schrift.
Meine Augen sogen die Buchstaben auf, mein Hirn bildete Wörter, dann Sätze daraus. Sätze, die ich nicht lesen wollte.
Mein Herz setzte aus.
Sie hat es leider nicht überlebt.
Nichts. Alles hatte gestoppt. Das Blut in meinen Adern war gefroren. Ich traute meinem Hirn nicht, las die Worte nochmal.Hallo Ema,
hier schreibt Marlies, Sophies Mama. Wir kennen uns nicht, aber Sophie hat von Dir erzählt. Sie wollte Dir nochmal schreiben, das kannst Du auf der Rückseite lesen.
Leider hat Sophies Körper nun nach jahrelangem Kampf aufgegeben. Die Mangelernährung hat zum Schluss keine Nahrung mehr erlaubt, so lange, bis ihr Herz einfach zu schwach war.
Ich wollte dich nicht fragend zurücklassen. Ich wünsche Dir das Beste, gib niemals auf. Eure Leben sind so wertvoll.Herzlichste Grüße
MarliesAuf der Rückseite ein durchgestrichenes Hallo, daneben ein Hey.
Sonst nichts.
Ihre letzten Worte waren ein Hey.
Meine letzten Worte an sie war eine Verabschiedung in meinem letzten Brief.
Es dauerte einen Moment, bis ich realisieren konnte, was geschehen war.
Sie war gestorben. Verhungert.
Wenn ich nicht gegangen wäre, würde sie noch leben. Sie würde noch leben.
Ich habe sie umgebracht. Ich habe sie umgebracht. ICH HABE SIE UMGEBRACHT. Umgebracht. Umgebracht. Umgebracht.
Ich.Mein Herz hatte längst wieder angefangen zu schlagen, pumpte Blut im Rekordtempo durch meine Venen und hielt mich am Leben. Ein Leben, welches ich nicht verdient hatte.
Ich stürzte zur Tür, drehte den Schlüssel im Schloss rum und lief panisch im Zimmer auf und ab.
Mein Blick streifte meinen Spiegel, ich erkannte mich selbst nicht mehr. Mir blickte ein Unbekannter entgegen, jemand, den ich hasste.
Schwere, hässliche Wut kroch an meinen Beinen hoch, umklammerte mein Herz, schrie mir in die Ohren.MÖRDER! VERSAGER! FETTSACK! NICHTSNUTZ!
Ich stolperte zum Schreibtisch, riss die Schublade so schwungvoll auf, dass mir der halbe Inhalt entgegen flog und griff nach dem Kästchen mit den Rasierklingen.
Kurze Angst, dann Brennen. Gelbe Fettbläschen in dem Krater in meiner Haut. Langsam füllte er sich mit Blut. Pures Gift.
Ich verzierte meinen linken Arm mit tiefen Kratern, kreuz und quer, zwischen und neben den roten Spuren vergangener Wut. Ich wechselte den Arm. Unschuldige Striemen, rot und weiß. Es tat so weh, dass ich nicht mehr zwischen körperlichem und seelischem Schmerz unterscheiden konnte. Ein tiefer Krater erstreckte sich auf meinem gesamten Unterarm, tiefer, als alle je zuvor. Gelbes Fett, roter Muskel und weißer Knochen kamen zum Vorschein, ehe mich der Mut und die Kraft verließ.
Ich sackte zu Boden, das Gift aus meinen Adern sammelte sich zu einer Pfütze auf meinem Boden. Es war überall. Schluchzend ließ ich mich von meiner Wut, meinem Schmerz begraben.Wie viel Blut musste ein Mensch verlieren, um zu sterben?
Ich wollte nicht sterben. Ich sah das Blut an, durch die schwarzen Flecken in meinem Sichtfeld. Mein Zimmer drehte sich um mich herum, schneller und schneller. Mein Körper wurde zu Boden gedrückt, fest und sicher. Ich übergab mich. Wenige Milliliter Wasser. Galle und Wasser. Ich war panisch, mein Körper wie gelähmt. Die Stimmen in meinem Kopf waren so laut, dass ihre Worte keinen Sinn mehr ergaben. Ein einziges Dröhnen. Blutrauschen in meinen Ohren, tonnenschwere Gewichte auf meinem Herz. Alles war so unbeschreiblich schmerzhaft.Ich wurde entlassen, ich bin gesund.
Meine blutige Hand griff zu meiner Gesäßtasche und nahm automatisch das Handy in die Hand. Meine Sicht war eingeschränkt, mir war bei über dreißig Grad eiskalt.
Wenn das das Leben ist, wie schmerzhaft war dann der Tod?Ich wählte den Notruf.
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Breath
Teen FictionVoller Zuversicht startet Ema ein neues Leben, doch schon bald wird ihr klar, dass ein Leben gebaut aus Lügen nicht funktionieren kann. Sie muss sich ihren Ängsten stellen und sich mit Peter konfrontieren lassen. Eine schwere Zeit steht für sie und...