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Einige Stunden später saß ich meiner Suite und schloss für kurze Zeit meine Augen, ehe mir ihre Augen in den Sinn kamen. Ihre grünen Augen. Der Grund für ihren Namen: Lily. Moosglöckchen, den Namen, der ihr maßgeblich beschrieb. Einst so voller Reinheit und Frohsinn.
„Lucifer, was zur Hölle ist nur geschehen?“ verlangte meine teure Dienerin zu wissen.
„All die Zeit war ich so blind, dass ich ein Detail vergessen habe.“
Die Dämonin kam zu mir, setzte sich gegenüber auf die Couch und sah mich erwartungsvoll an.
„All die Zeit hätte ich wissen müssen, was vor mir gespielt werden würde. Das Abbild einer längst überholten Mär und doch so wahr wie du und ich. Maze, weißt du, wer Marcus Pierce in Wirklichkeit ist…?“
„Was zur Hölle willst du mir nur damit sagen?“
„Kain ist zurückgekehrt!“
Die Foltermeisterin aus der Hölle klaffte die Kinnladen herab, sinnbildlich bis zum Boden.
„Also war dieser Sündenmann all die Zeit Kain und der, dich gefangen nahm, war sein Bruder Abel?“
Mazekeen sah mich musternd an und mein Verhalten schien auf ihr zu wirken, wie Bände einer sehr alten Geschichte.
„Dennoch, das ist nicht das, was dich so mitnimmt?“ klagte sie mich misstrauisch an.
Ich schüttelte den Kopf, stand auf und ging zum Panoramafenster. Der Blick über Los Angeles schien mir in diesem Moment Ruhe zugeben.
„Ich hab den Duft von süßem Tod gerochen, an jenem Ort, an dem alles zersplitterte. Fand sie dich, Lucifer?“
Schluckend sackten seine Schultern ein und blickte hinunter auf die Straße der Stadt der Engel.
„Wenn dem so ist, dann weiß ich, was dir helfen wird. Entweder du gehst zur Arbeit und ermittelst an unmoralischen Fällen oder du gehst mit mir auf die Jagd nach Verbrechern auf der Flucht?“
„Maze, meine sexsüchtige Meisterin der Folter, ich möchte in nächster Zeit niemand sehen.“
„Keine Partys? Keine Frauen? Nicht einmal Chloe?“
Verstört sah mich die Braunhaarige mit erhobener Augenbraue an und schüttelte belustigend den Kopf.
„Und ich dachte schon, du hättest dich in Chloe verliebt!“
„Ich bin nicht verliebt, in nichts und niemand. Ich bin der Teufel, der Herr der Hölle und...“
„… und dennoch scheint es mir, dass du die Auszeit nicht für dich haben möchtest. Du willst alleine auf die Suche nach der untergehenden Venus machen!“ stellte die junge Frau rasch fest.
„Sie hat mich gefunden und dieses Mal werde ich sie finden. So schwierig wird es schon nicht sein.“
„Kannst du dich noch daran erinnern, wie weit ihr einst entfernt ward ohne Aussicht auf eine Berührung oder einem Wort? Willst du deinen Vater wieder erzürnen?“
„Ich kann mich gut daran erinnern. Ich will sie finden und ich werde es tun. Sie wird mir nicht wieder weggenommen werden. Diesen Weg muss ich alleine gehen, sag auf der Arbeit, ich sei ansteckend krank.“
„Und wenn sie dich besuchen wollen, trotz deiner ansteckenden Krankheit? Und sie dich hier nicht auffinden?“
„Dir wird schon etwas einfallen.“

Mitten in der Nacht als Maze ihre Arbeit hinter der Theke von Lux absolvierte, packte ich meinen Koffer in einer Gemütlichkeit. Ich dachte nach, was ich brauchen könnte und nahm auch nur das Passende mit. In Gedanken versunken, reagierte ich nicht, wie sich die Aufzugtür öffnete. Sie trat aus dem Aufzug, besah sich die Suite an, lächelte genüsslich und beobachtete mich in meinem Schlafzimmer. Augenblicklich stand sie hinter mir, sah an mir vorbei auf das Bett, welches so weich und komfortabel zu sein vermochte.
„Hektik war noch nie dein Ding!“
„Oder eine Taktik deine Anwesenheit vorerst hier zu genießen.“ umschmeichelte ich ihre Worte.
„Der Teufel wartet voller Geduld.“
Ihre Hände umspielten von hinten mein Becken und zog mich enger an sich. Umarmend legte sie ihre Hände auf meinen bedeckten Bauch. Sie schloss ihre Augen und sog den meinen Duft ein. Genüsslich und voller Sehnsucht seufzte sie den wieder aus.
„Ich konnte mich nicht verabschieden, ohne dich noch einmal gesehen zu haben.“
„Du wirst die Stadt verlassen? Wir haben uns doch erst gerade wieder.“
„Glaubst du, es gibt eine Zukunft für uns? Samael, wir sind zwei verbannte Seelen.“
Ich wandte mich in der Umarmung zu ihr, nahm sie schlichtweg selbst in den Arm und küsste ihren Scheitel.
„Ich werde nicht zulassen, dass ich dich wieder gehen lassen muss. Bleib bei mir, Lily.“
Sie sah mich leicht irritiert an und umspielte ihre Lippen mit einem zaghaften Lächeln.
„Du wirst ihn nicht aufhalten können!“
„Ich werde mich immer gegen jeglichen Weg meines Vaters wenden, wenn es bedeutet, dir nahe zu sein.“
Die Blondhaarige löste ihre Hände aus ihren Ausgangspunkt und erhob diese zu meinem Gesicht. Ihre weichen Hände lagen auf seinen Kiefer. Ihre filigranen Finger streichelten meine Haut. Ihr Lächeln wurde breiter, ehe sie mir ein Kuss aufsetzte. Es glich nicht wie die Küsse, die ich sonst bekam. Dieser hier war meine Begierde. Dieser hier war meine Leidenschaft. Dieser hier war es wert vom Himmel gefallen zu sein. Mit einem Mal spürte sie die kühle Wand an ihrem nackten Rücken. Ihr schwarzes Kleid mit einem offenen Rücken bis knapp über ihren Hintern, sah wahrlich schimmernd an ihr aus.
„Ich kann nicht für immer deine Sünde sein. Es wurde dir jemand anders auf den Weg gesetzt, der dir mehr schenken könnte, als ich es je werde.“
„Mach dich nicht lächerlich, Lily! Seit Anbeginn dieser Zeit wollte ich immer nur dich. Sag mir also, liebster Abendstern, was ist das, wonach du dich sehnst?“
Sie sah mir tief in die Augen und auch wenn es nicht funktionieren würde, war es eine ernstgemeinte Frage. Sie war ein gefallener Engel, der erste Mensch im Garten Eden und schließlich die Herrin von Edom. In ihr würde immer ein Stück menschliches Gewissen sein, ganz anders als bei mir. Ich bestrafte Menschen, die böse Dinge praktiziert haben. Lilith ist nur auf Tod und Vernichtung aus. Nur schwer erträgt sie glückliche Menschen noch in wahrer Liebe vereinte Paare. Bevor sie sich Edom inmitten der Wüste in Sandlöchern oder Sandhöhlen niederließ, war ihr das Leben in Garten Eden recht unspektakulär. Liliths Lieblingstier war die Eule, doch auch zur Schlange fühlt sie sich sehr hingezogen und schlüpft auch gerne mal in deren Gestalt. Hin und wieder ist Lilith als geflügeltes Mischwesen zu sehen, doch immer geht große Gefahr von ihr aus, vor der man sich nicht schützen kann.
„Meine Freiheit, Lucifer.“
„Bitte?“
„Du hast nach meiner Sehnsucht gefragt.“
Die Blondhaarige sah zu meinen Lippen und schließlich wieder in meine dunklen Augen.
„Ich möchte in Freiheit leben. Ich habe es satt, immer als die erste Frau Adams, das missglückte Experiment angesehen zu werden. Ich habe es satt, als fehlerhafte Seele, geboren von bösen Geister und Dämonen hingestellt zu werden. Ich verließ Adam frustriert und voller Hass. Ich nahm die Konsequenzen auf mich.“ sprach ihre engelsgleiche Stimme voller Zorn.
„Meine Freiheit sah ich seit Anbeginn dieser Zeit in dir.“
„Schau an, wir denken gleich, meine Liebe.“
„Eine Liebesgeschichte zwischen der rechten Hand Gottes und der ersten Frau Adams würde niemals gut gehen!“
„Schmeiß all das über Bord und bleibe bei mir. Wir waren schon immer das teuflische Duo. Wir gegen den Rest der Welt!“ hauchte ich ihr liebedienerisch ins Ohr.
In diesem Moment küsste ich sie mit all meiner Sehnsucht und ließ ihr jeglichen Zweifel zerbersten.
„Mein menschliches Nebenbild.“

Lucifers CryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt