Die Wahrheit

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Diese Nacht schlafe ich unruhig. Immer wieder taucht das Gesicht meines Exfreundes in meinen Gedanken auf. Es scheint als wolle ich ihn einfach nicht gehen lassen.

Schließlich richte ich mich in meinem Bett auf und schlinge die Arme um meinen Körper. Stumm sehe ich mich in meinem Zimmer um. Keine Veränderung. Ich bin allein. Langsam streiche ich die Bettdecke von meinen Beinen, wobei mir auffällt, dass noch ein paar Gramm von meinen Oberschenkeln weg könnten und, dass meine Knie zu knubbelig sind.

Ein Seufzen meinerseits als ich meine Füße über die Bettkante schiebe und auf dem kühlen Boden aufsetze. Schnell greife ich nach meinen dicken Socken und streife sie mir über. Besser, denke ich mir und stehe auf. Ich brauche frische Luft. Als letztes greife ich nach meiner geliebten Decke und lege sie mir um.

So schlurfe ich durch den Flur zu meinem geheimen Fenster. Ich habe es durch Zufall entdeckt. Damals habe ich hier nicht sein wollen. Allerdings liegt es, wie auch mein Zimmer, im zweiten Stock. Keine Chance außer ich will Selbstmord begehen. Ich habe es nie jemandem gesagt, also hat auch niemand das Sicherheitsproblem beseitigt.

Doch irgendwas ist anders, als ich heute Nacht den Raum betrete. Da sitzt schon jemand. Ich ziehe meine Decke enger um mich und laufe langsam auf die Person zu. Wortlos klettere ich auf das Fenstersims und sehe raus. Ich muss nicht mit der Person reden.

„Hey Oskar", sagt die Person dann leise und sanft. Diese Stimme würde ich sofort unter Hunderten erkennen. Der junge Mann von heute Mittag. Ich sehe zu ihm auf. „Hey..", bringe ich leise zustande. „Ich wusste nicht, dass noch jemand diesen Ort kennt", fahre ich genauso leise fort. „Ich bin fast immer hier", entgegnete der junge Mann. „Oh..", sage ich und sehe auf meine Füße. Ich komme nur her, wenn es mir schlecht geht, was wenn das mit ihm genauso ist?

„Was hast du?" frage ich dann nach einer Weile. „Krebs im Endstadium", erklärt er und ich muss schlucken. Krebs ist eine schlimme Krankheit.

„Musst du..?". Ich spreche es nicht aus. Er weiß, was ich sagen will und nickt. „Sterben? Ja". Er sagt es, als wäre es was ganz normales. Gut, das ist es auch und doch. „Aber nicht an Krebs", setzt er schmunzelnd hinzu, als er mein vermutlich erschrecktes Gesicht sieht. „Und du? Musst du sterben?" fragt er dann und sieht mich direkt an. Ich schüttle den Kopf. Nein, natürlich nicht. Erst wenn ich alt bin.

„Wirst du aber,  wenn du so weiter machst", fährt er fort. Ich sehe ihn nur an. Worauf will er hinaus. „Wie meinst du das?" frage ich. „Du musst essen..", spricht er es aus. Ich schüttle erneut den Kopf. Ich will nicht zunehmen.

„Weißt du, Oskar?". „Was?". „Ich sterbe vielleicht an dem Krebs, aber ich sterbe an etwas, an dem ich nichts ändern kann. Du wirst an etwas sterben, an dem du sehr wohl sehr viel ändern kannst. Wenn du nur willst", sagt er und ich bin mir sicher, dass ich dieses Argument noch nicht gehört hab und es berührte.

Der junge Mann erhebt sich und klettert wieder zurück in den Raum.

„Schlaf gut, Oskar", sagt er und schenkt mir ein knappes Lächeln, bevor er den Raum verlässt und auf sein Zimmer zurückkehrt.

Dass diese Worte Wirkung zeigen sollten weiß ich zu dem Zeitpunkt nicht..

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