Die Hoffnung eines Jungen

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Ich muss schlucken, als ich an der Glastür zur Intensivstation stehe und zu ihm herüberblicke. So ganz traue ich mich noch nicht wieder zu ihm hereinzugehen.

Sie sagen, dass es ihm unverändert geht. Er schläft immer noch. Hängt immer noch fest. So hat es Schwester Lena gesagt. Außerdem hat sie beim Frühstück gesagt, dass sie es sich so sehr für mich wünscht, dass er wach wird. Für mich.

Für mich.

Wieder spüre ich einen stechenden Schmerz in meiner Brust aufkeimen. Und es ist eben dieser Schmerz, der mich einen Schritt vorwärts machen lässt. Und dann noch einen, und noch einen, und noch einen. Bis ich an dem Stuhl angekommen bin, auf den ich mich niederlasse und nach seiner Hand greife.

Keine Sekunde hebe ich den Blick von ihm. Irgendwo hoffe ich immer noch, dass er jeden Moment seine Augen aufschlägt und mich mit diesem unfassbar großartigen Lächeln anlächelt. Mich fragt, warum ich weine und mir sagt, dass ich so unfassbar mutig und tapfer bin.

Aber das bin ich nicht.

Ich bin nicht mutig. Ich bin nicht tapfer. Ich bin ein feiger Angsthase. Ich laufe immer davon. Vor allem. Dabei will ich das gar nicht und nur er scheint das zu wissen. Auch wenn ich finde das er übertreibt.

Ich muss lächeln.

Tatsächlich.

Und je länger ich an die vergangenen Tage mit ihm denke, je mehr Erinnerungen mir einfallen, desto breiter wird mein Lächeln.

Sanft drücke ich seine Hand.

„Du musst wieder aufwachen. Ich kann nicht ohne dich", hauche ich leise.

„Bitte".

Es ist ein dünnes, zerbrechliches Hauchen meinerseits gewesen, das dieses >>Bitte<< zustande bringt. Flehend, beinahe sehnsüchtig, habe ich es in den Raum geworfen.

„Bitte geh nicht. Ich brauche dich hier", spreche ich einfach weiter. In der Hoffnung, dass er mich hören würde. Dass er mich hören würde, meinem Rufen folgen würde und seine wunderschönen Augen aufschlagen würde und mir einen warmen Blick schenken würde.

Ich beiße mir auf die Unterlippe.

Jetzt heul doch nicht schon wieder!

Ich schlucke.

Memme!

Da.

Fast hätte ich es nicht gespürt, so zart und leicht ist es gewesen. Fast hätte ich es als die meine abgetan.

Fast.

Doch ich habe es nicht. Ich habe es genau gespürt. Ganz genau an meiner linken Hand. Zu genau, als dass ich es mir eingebildet haben könnte. Ich bin mir sicher.

Er hat meine Hand gedrückt.

Dass dies der Anfang vom Ende ist, ist mir zu dem Zeitpunkt nicht bewusst.

In 2 Monaten bist du tot!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt