Bonus

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Die Luft duftet nach gebrannten Mandeln und Glühwein. Feine weiße Flocken fallen vom dunklen Nachthimmel. Doch die Welt hier unten ist nicht dunkel. Sie ist erfüllt von lachenden Menschen, glücklichen Gesichtern und neugierigen Kinderaugen, die sich auf die Süßigkeitenberge in den kleinen Buden stürzen wollen. Erleuchtet von bunten Lichterketten zeichnet sich der Weg um die Weihnachtsbuden des Marktes. Überall gibt es etwas Neues zu sehen. Die vielen Menschen und das Streusalz lassen nicht zu, dass es sich der Schnee auf dem Boden gemütlich macht.

Ich ziehe meine Winterjacke enger um mich. Ich friere immer noch ziemlich schnell und ziemlich oft. Auch wenn ich nicht mehr im Krankenhaus sein muss. Fast drei Monate ist es jetzt her. Drei Monate, in denen ich jede Phase der Magersucht erneut durchlebt habe und schließlich entlassen wurde.

„Hey Oskar!".

Ich fahre herum. Eine junge Frau mit rosigen Lippen winkt mir zu. Sie lächelt. Lena. „Hast du mich nicht gesehen?" fragt sie mit lachender Stimme, während sie mich an sich zieht und umarmt. „Äh, nein, tut mir leid", antworte ich leise. Sie riecht nach Weihnachten, wenn es überhaupt einen Duft gibt, den man so nennen kann. Ich spüre ihren prüfenden Blick auf mir ruhen, nachdem sie sich wieder von mir gelöst hat. „Ist alles in Ordnung?" erkundigt sie sich dann skeptisch in ihrem Krankenschwester-Tonfall. „Ja, ist schon okay", entgegne ich schnell. „Er hätte nicht gewollt, dass du traurig bist". Ich sehe sie an und muss lächeln. Ich habe ihre hellseherischen Fähigkeiten vergessen. Ich stopfe die Hände in meine Hosentasche. „Ich weiß. Wir hätten das nur gemeinsam erleben sollen. Ich wäre so gerne mit ihm über den Weihnachtsmarkt gelaufen", murmle ich und die Tatsache, dass ich das nun niemals tun werde versetzt mir einen Stich in meinem Herzen. „Oh, Oskar", haucht sie. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich kann gar nichts mehr dazu sagen. Lena ist mich oft besuchen gekommen, wollte nach mir sehen, wissen wie es mir geht, wie ich klarkomme.

Ich bin nicht klargekommen. Mehr als einmal hat sie mir erzählen müssen, dass ich es an jenem Tag gewesen bin, der geschrien hat. Der sich die Seele aus dem Leib geschrien hat. Ich habe ihr das nie geglaubt.

Sie greift nach meinem Arm und zieht meine Hand wieder aus der Hosentasche. Lächelnd schließt sie ihre Finger um die Faust, zu der sich meine Hände geballt haben. „Ich bin froh, dass du gekommen bist", haucht sie ein kleines Atemwölkchen in die nächtliche Luft. Ihr zartes Lächeln, das sogar ihre Augen erreicht, steckt mich an. Sie drückt meine Hand sanft.

„Gehen wir einen Kakao trinken". Es ist mehr eine Aussage, als eine Frage. Ich nicke nur lächelnd. Das Salz unter unseren Füßen knirscht bei jedem Schritt auf dem Weg zum kleinen Kakaostand, vor dem sich schon ein kleines Grüppchen an Menschen gesammelt hat.

Vor wenigen Monaten hätte ich diese Zuckerbombe nicht einmal angefasst. Mich strikt geweigert ein solches Getränk zu mir zu nehmen, aber das ist vorbei. Es wird sicher noch seine Zeit dauern, bis ich wirklich gesund werde, aber es ist ein Anfang. Ein Kleiner, aber ein Anfang und er gefällt mir.

Und ich weiß, dass ihm dieser Anfang auch gefällt.

In 2 Monaten bist du tot!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt