Die Fotos

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Ich betrachte die Bilder auf dem Monitor.

Ich sehe einen Jungen mit pastellpinken, strubbeligen, strähnigen Haaren und ausgeprägten, hervorstehenden Wirbeln. Ebenso hat er eine hübsche schmale Taille und schöne ausgeprägte Hüftknochen. Sein Brustkorb ist nicht ganz so schön, nur seine Schlüsselbeine sind großartig. Genauso unschön sind seine Beine. Seine Oberschenkel haben eine unnatürliche Form und vielleicht ein bisschen zu viel Fett. Seine Knöchel stechen hervor und an seinen Füßen kann ich jede Sehne zählen und sehen. Sein Gesicht wirkt nicht glücklich. Er hat nach unten gebogene Mundwinkel und eine blasse Hautfarbe. Unter seinen rotgeweinten Augen hat er große dunkle Schatten. Die Wangenknochen des Jungen stehen hervor und werfen beinahe schon Schatten auf die darunterliegende Wange. Der Kopf scheint viel zu groß und klobig für seinen Hals. Nicht passend. Als hätte man ihn einfach von einem anderen Körper auf den viel zu zarten und schwachen Körper des Jungen gesetzt. Der Junge auf dem Foto trägt eine rote Unterhose mit undefinierbaren Zeichen drauf. Jedoch sieht sie aus, als würde sie ihm jeden Moment hinunter auf den Boden rutschen. Der Teil zwischen Rippen und Hüftknochen ist unheimlich schmal im Vergleich zum Rest. Nicht einmal eine kleine Wölbung am Magen ist zu sehen.

„Das bist du Oskar", sagt Schwester Lena leise und sieht mich mit einem besorgten Ausdruck in den Augen an. Ich muss schlucken.

Dieser Junge auf den Bildern ist scheinbar nur noch ein Skelett. Ein Schatten seines Selbst. Und das soll ich sein?

So sehe ich nicht aus! So sehe ich nicht aus!

„Ich bin trotzdem stolz auf dich, Oskar. Glaub ja nicht, dass es mir entgangen wäre, wie du dich die letzten Tage entwickelt hast", sagt sie dann weiter, als ich zu ihrer Aussage nichts sagen kann. „Er scheint dir gut zu tun, auch wenn er an diesem Ort nichts zu suchen hat", fügt sie hinzu. Allerdings zwinkert sie mit einem Auge, was mir tatsächlich ein Lächeln entlockt.

„Weißt du, wo er ist?" frage ich leise und reibe mir mit einer Hand über den Arm. Ich spüre, wie mir die Hitze in den Kopf steigt.

Bitte nicht!

Schwester Lena schüttelte leicht den Kopf und sieht mich entschuldigend an. Sie ist nicht für die Onkologie zuständig. „Nein, tut mir leid. Aber ich höre mich um, versprochen", verspricht sie und lächelt mich aufmunternd an.

Ich nicke erleichtert und bringe ein „Danke", zustande. „Bedank dich nicht. Solange du Fortschritte machst", meint sie leicht drohend. Ich nicke erneut. „Auf dein Zimmer?" schlägt sie vor und hält mir die Tür auf.

Dass sie sich wirklich für ihr Versprechen einsetzt, weiß ich zu dem Zeitpunkt nicht.

In 2 Monaten bist du tot!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt