Das erste Gespräch

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Ich fahre mir durch die Haare und schließe einen Moment die Augen.

"Möchtest du nicht essen?".

Ich sehe auf und blicke in zwei blaue Augen. Es ist der junge Mann von gestern, der so eindringlich auf das Mädchen eingeredet hatte. Ich habe mich heute bewusst in seine Nähe gesetzt, in der Hoffnung seine Stimme zu hören. Eine blöde Angewohnheit meinerseits. Ich beobachte die Menschen nicht nur, ich studiere sie förmlich.

Ich schüttele den Kopf und pikse mit meiner Gabel auf einer Erbse rum. "Pass auf, dass du sie nicht tötest", sagt er mit einer fröhlichen Stimme und mir fällt auf, dass nicht mal ein Haar unter seiner Mütze hervorschaut. Ich lege den Kopf schief. "Und wenn doch?" frage ich. "Dann musst du sie essen", entgegnet der junge Mann. Ich sehe ihn direkt an und dann auf die zermatschte Erbse. Na toll!

"Was machst du hier?" frage ich neugierig und führe die Gabel mit der Matscherbse zu meinem Mund. "Ich helfe meiner Schwester", erklärt er. "Madison?" frage ich vorsichtig, denn ich bin mir immer noch nicht sicher, ob der Name korrekt ist. Er nickt. "Sie ist genauso krank wie du", sagt er sanft.

Ich stelle fest, dass seine Stimme unglaublich angenehm in meinen Ohren klingt. Und ich bin mir sicher, wenn er mir erzählen würde, dass Aliens auf die Erde kommen würden, dass ich ihm das sofort glauben würden. Allein wegen dem Klang seiner Stimme. "Ich bin nicht krank", protestiere ich.

Ich bin nur nicht schön.

Er legt den Kopf schief. Ich habe die Gabel sinken lassen und berühre nun keine einzige Erbse mehr. "Was bist du dann?" fragt er. Ich überlege. "Ich bin.. ich", sage ich dann nach ein paar Minuten. "Hat ich denn auch einen Namen?" fragt er dann weiter. Er lächelt nicht mehr. Er sieht mich einfach nur an und ich sehe zurück. Es liegt eine gewisse Ruhe in seinen Augen. Eine Ruhe, die er ausstrahlt und alles in unserem Umfeld unsichtbar macht. Als würden nur wir existieren. Nur er und ich. "Oskar", beantworte ich leise seine Frage. Ich warte darauf, dass er etwas sagt. Irgendeine Reaktion. Doch der junge Mann mit der gestrickten Mütze schweigt einfach nur. Fast so als würde er darüber nachdenken.

"Guten Appetit Oskar", sagt er dann und erhebt sich von dem Stuhl, der mir gegenübersteht. Ich sehe zu ihm auf in der Hoffnung seine blauen Augen noch einmal zu sehen, doch er geht einfach.

Dass er dieses Gespräch, diese Situation, noch einmal aufgreifen würde kommt mir im Moment so unwahrscheinlich vor.

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