Kapitel 1

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Ihre Lippen bewegten sich und er war sich sicher, dass sie etwas gesagt hatte. Leider hatte er es versäumt ihr zuzuhören.

Sie war bildschön. Ihre porzellanfarbende Haut funkelte im sanften Mondlicht und ihr fast weißes Haar fiel in langen Locken über ihre schmalen Schultern. Von weiten wirkte sie unfassbar jung. Beinahe zerbrechlich. Doch sie war alles andere als das. Alecia war stark, eigenwillig und brauchte niemanden der sie beschützte.

Er ging einen Schritt auf sie zu und sie schien sich kurz zu wundern. Er konnte die kleinen Fältchen, rund um ihre strahlend-grünen Augen ausmachen. Sie machten sie keineswegs alt, – aber dafür ein wenig menschlich.

Ihre schmalen Lippen bewegten sich nicht mehr und er befürchtete, dass er ihr eine Antwort schuldig war. Er hätte zuhören sollen. Doch seine Gedanken kreisten nur um eine einzige Frage. Warum verspürte er diese große Abneigung gegenüber Alecia? Es gab keinen Grund dafür, dass er eine undefinierbare Wut in sich aufkommen spürte, immer wenn er sie sah. Es machte keinen Sinn, dass ihre flüsternde Stimme Übelkeit in ihm aufkommen ließ. Trotzdem konnte er diese Gefühle nicht abstellen. Er sollte ihr Dankbarkeit entgegenbringen. Immerhin hatte sie ihn gerettet, ihn bei sich aufgenommen und seinen Leben einen Sinn gegeben.

»Hörst du mir zu?«, fragte sie und er sah auf. Schaffte es endlich mit seinen Gedanken im Hier und Jetzt zu sein.

»Tut mir leid...«, begann er und für einen flüchtigen Moment spiegelte sich Wut in Alecias sonst emotionslosen Gesicht wider.

Er musste nicht weitersprechen, denn Alecia wusste bereits, dass ihre Worte ihn nicht erreicht hatten. Sie räusperte sich kurz.

»Es geht um einen neuen Auftrag für dich«, begann sie erneut und wartete, bis er sie ansah und nickte, bevor sie fortfuhr. »Es häufen sich in letzter Zeit Vorfälle, in denen Menschen von Vampiren angegriffen werden. Scheinbar gibt es immer mehr von uns, die unsere Regeln missachten. Wir müssen das so schnell wie möglich verhindern. Irgendwann wird man diese merkwürdigen Angriffe hinterfragen.«

Er nickte, um zu verdeutlichen, dass er diesmal zugehört hatte. Es war ein Thema, was Alecia schon seit längerem Kopfzerbrechen bereitete und er wusste, dass sie alles dafür tat, dass sich die Vampire an die Regeln hielten. Es war Alecias Aufgabe in ihrem Gebiet, für Ordnung zu sorgen und er würde sie natürlich dabei unterstützen.

»Ich werde die Vorfälle im Auge behalten und versuchen Näheres herauszufinden«, schlug er vor. Alecia lächelte. Und das ließ sie jedes Mal merkwürdig erscheinen. Es passte nicht zu ihr und verlieh ihrem eleganten Erscheinungsbild einen Hauch von Wahnsinn. Sie tapste auf ihn zu und sah ihm tief in die Augen. Er konnte ihren Blick, wie immer, nicht standhalten. Und das verschaffte ihr offensichtlich Genugtuung.

»Ich danke dir - Lucas«, hauchte sie, küsste seine Wange und stolzierte Richtung Ausgang. Kurz bevor sie durch die schwere Tür schritt, drehte sie sich noch einmal um. »Sieh dich heute Nacht in der Innenstadt um, dort häufen sich die Angriffe.« Er nickte. Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, schrubbte er seine Wange. Doch der Ekel, der ihn überkommen hatte, als sie ihre Lippen auf seine Haut presste, verschwand nicht. Was war nur los mit ihm?

Mondlicht ErinnerungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt