Kapitel 18

31 2 1
                                    

Alecia fühlte sich seltsam unruhig. Es war nicht das erste Mal in letzter Zeit, doch auch diesmal fand sie keinen Grund für ihren inneren Tumult. Zumindest keinen guten Grund. Das ihre Gedanken immer wieder zu Lucas und der Frage, wie er und diese Juliana auf ihre wiederkehrenden Erinnerungen reagierten, abdrifteten, war nur eine Nebensächlichkeit. Eine Ablenkung, doch bestimmt nicht ausschlaggebend dafür, dass sie kopflos durch die nächtlichen Straßen irrte. Etwas, das sie schon seit sehr, sehr langer Zeit nicht mehr gemacht hatte. Seitdem sie dafür verantwortlich war, dass die Vampire die Regeln befolgten, hatte sie sich nicht die Zeit dafür genommen. Vielleicht war es auch eine Sicherheitsmaßnahme gewesen. Der Posten den sie innehatte kam immerhin mit einer großen Verantwortung und er brachte eine hohe Anzahl von Neidern und Gegnern mit sich, die sicher keine Chance ausgelassen hätten sie zu beseitigen. Zwar versuchten einige der Vampire den Anschein zu bewahren, dass alles in vollkommener Ordnung war und sie unentdeckt unter den Menschen wohnten, doch Alecia war nicht so naiv, dieses Schauspiel zu glauben. Es gab nicht wenige Vampire die gegen sie integrierten und der Ansicht waren, die Regeln für sie müssten abgeschafft werden. Die letzten Angriffe von Vampiren innerhalb der Stadt waren nur ein Beispiel dafür. Zwar hatten sie Lucis Ex-Freund - bekannt als der Anführer der rebellischen Vampire - außer Gefecht gesetzt, doch es würden weitere folgen.

Sie blieb abrupt stehen. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wo ihre Füße sie hingetragen hatten. Ausgerechnet zur Wohnung dieser Juliana.

Sie wollte gerade umdrehen, als sie erkannte, dass jemand aus der Wohnung kam. Ihre Augen weiteten sich und ein Grinsen umspielte ihre Lippen. Das war doch genau die richtige Person um sie von ihren seltsamen Gefühlen abzulenken. Sie hatte beinahe vergessen, wie attraktiv James Blackday - oder bessere gesagt, Jamie - war. Bei genauerem Betrachten konnte sie feststellen, dass er sehr aufgewühlt war. Er tippte wild auf seinem Handy herum und starrte immer wieder zur Wohnung die er gerade verlassen hatte. Alecia hatte eine leise Ahnung was dem Privatdetektiv zu schaffen machte. Er machte sich sicherlich große Sorgen um Juliana. Es schien ihr, als wäre das überhaupt das Einzige, was er jemals tat. Er sorgte sich unentwegt um Juliana. Damals wie heute. Doch heute hatte er auch einen guten Grund dazu. Wer wusste schon was Lucas und Juliana so trieben? Für einen kurzen Moment kam wieder dieses merkwürdige Gefühl in ihr auf, doch sie wischte es hastig weg. Es würde ihre Laune sicherlich bessern sich ein wenig mit Jamie zu befassen. Bestimmt kehrte auch ein kleiner Teil seiner Erinnerung langsam zurück. Zwar würden es bei ihm nur kleine Schnipsel von Erinnerungen sein, da er zu weit von Lucas und Juliana entfernt war, doch sie würden reichen um seine Sorge zu steigern. Ob Lucas und Juliana sich wohl bereits an alles erinnerten? Sie konnte es nicht genau einschätzen, denn die Rückkehr der Erinnerungen war schmerzvoll und langsam.

»Jamie«, ließ sie in ihrer zuckersüßen Stimme verlauten und der Privatdetektiv drehte sich erschrocken um.

»Kenn ich sie?«, fragte er, doch er schien sich selbst die Frage zu stellen. Ihr Gesicht kam ihm mit Sicherheit bekannt vor.

»Nicht mehr«, antwortete sie dann und er zog eine buschige Augenbraue hoch. Er wollte etwas sagen, überlegte es sich aber scheinbar anders und drehte sich wortlos zu seinem Wagen um. Doch Alecia würde ihn nicht so ohne weiteres gehen lassen.

»Du sorgst dich sicherlich um deine Juliana?«, fragte sie und sie genoss es, wie er sich langsam wieder zu ihr umdrehte.

»Woher...«, faselte er und Alecia war sich sicher, dass sie ihn nun an der Angel hatte.

»Ich weiß vieles, dass du nicht weißt. Zum Beispiel, was es mit den mysteriösen Angriffen auf sich hat. Wo deine kleine Juliana sich gerade befindet. Und ... vor allem wer bei ihr ist.«

Seine Augen verzogen sich für einen Augenblick zu Schlitzen und es schien ihr, als versuchte er krampfhaft seine Wut zu unterdrücken. Warum war er denn nur so wütend? Sie wollte ihm doch nur helfen.

»Wenn du willst, dann sage ich dir was ich weiß«, sie war ein paar Schritte auf ihn zugegangen und stand nun direkt vor ihm. Er sah abwartend auf sie herab.

Als sie sich auf ihre Zehenspitzen stellte und ihre Lippen zu seinem Ohr bewegte, wich er kaum merklich zurück. »Du musst mich nur lieb bitten«, hauchte sie, und spürte wie er zitterte, leider war sie sich ziemlich sich, dass es vor Wut war, »Dann werde ich dir alles sagen, was ich weiß.«

Jamie zeigte keinerlei Regung, so als überlegte er krampfhaft, was er sagen sollte. Scheinbar hatte er den Entschluss gefasst gar nichts zu sagen, denn er drehte sich einfach um und ging zur Wohnung von Juliana zurück. Alecia merkte, wie eine leichte Unzufriedenheit sie überkam. Normalerweise war sie erfolgreich darin die Männer um den Finger zu wickeln. Ihr Blick ruhte auf Jamie und sie beobachtete, wie er die Tür aufschloss. Am liebsten hätte sie ihm gezeigt, mit wem er es zu tun hatte. Dann hätte er sie sicherlich nicht so einfach ignoriert. In diesem Moment drehte er sich zu ihr um und sah sie eindringlich an. Es behagte ihr nicht und sie musste sich fragen, ob sie in letzter Zeit wirklich so verweichlicht war.

»Kommen Sie nun, oder nicht?«, fragte er dann und dieser Satz hob ihre Stimmung schlagartig. Sie hatte es also doch noch drauf.

Wenige Minuten später saßen sie sich gegenüber und Jamie brachte gerade ein Glas Wasser. Sie hatte zwar nach Wein gefragt, doch er hatte es doch tatsächlich gewagt ihr ihre Bitte abzuschlagen. Ohnehin schien er ihr nicht wirklich wohlgesonnen, dabei wusste er doch noch nicht einmal, was sie ihm und seiner Juliana angetan hatte.

Er knallte das Wasserglas vor ihr auf den Tisch und es schwabbte beinahe über. »Wo ist meine Freundin?«, fragte er und wüsste Alecia nicht, dass sie hier die Oberhand hatte, dann hätte er sie sicherlich etwas eingeschüchtert. Wäre er doch nur etwas netter zu ihr, dann müsste sie sich nun nicht an ihm rächen.

»Sie ist mit einem anderen Mann zusammen«, sagte sie deshalb.

Jamie versuchte es zwar zu verbergen, doch für einen Augenblick flackerte Unsicherheit in seinen Augen auf.

»Was soll da heißen? Wieso sollte ich ihnen das glauben?«

Sie grinste. »Ich versuche nur zu helfen.«

Plötzlich schnellte seine rechte Hand nach vorne und umklammerte ihr Handgelenk so fest, dass es bei einem normalen Menschen sicherlich sehr schmerzvoll gewesen wäre.

»Hören Sie schon auf mit ihren Spielchen, sagen sie mir wo Juliana ist. Wir waren heute verabredet, doch sie ist nicht da und ich kann sie auch nicht auf dem Handy erreichen.«

Das war in der Tat sehr ärgerlich für Jamie. Da hatte seine Freundin ihm nicht einmal Bescheid gesagt, dass sie etwas anderes vor hatte. Alecia hatte tatsächlich ein wenig Mitleid mit dem Privatdetektiv. Aber nur ein wenig.

»Es ist noch nicht an der Zeit dir alles zu erklären, du musst dich noch etwas gedulden«, säuselte sie dann und klang dann doch freundlicher, als sie es sich vorgenommen hatte.

»Ich verstehe kein Wort, von dem was Sie sagen... Sie...«, Jamie brach seinen Satz mittendrin ab. Seine Augen weiteten sich, dann griff er sich an den Kopf so als hätte er plötzlich starke Schmerzen. Er sackte zu Boden und Alecia bettete seinen Kopf auf ihrem Schoß. Ihre Hände strichen durch sein dichtes Haar, bis der Schmerz nachgelassen hatte. Er hob seinen Kopf, sah ihr direkt in die Augen und brachte mit brüchiger Stimme ihren Namen hervor, »Alecia?«

Sie nickte. Es hatte also begonnen.

Mondlicht ErinnerungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt