Jamie spürte, wie er langsam das Bewusstsein wieder erlangte. Die Erinnerung daran, dass er plötzlich zusammengebrochen war, kehrte als erstes zurück. Dann fiel ihm sein letzter Gedanke, bevor alles schwarz geworden war, wieder ein und er setzte sich ruckartig auf. Da saß sie. Direkt vor ihm. Ihre alles durchdringenden Augen auf ihn gerichtet, mit einem wissenden Lächeln auf dem Gesicht. Alecia!
Jamies Hals schnürte sich zu und er brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, dass es seiner Furcht geschuldet war. Er wollte weg von ihr. Nein, er wollte, dass sie verschwand. Je länger er die Vampirin anstarrte, desto kleiner wurde der Raum.
»Wieso fürchtest du mich«, fragte sie dann, so als wüsste sie wirklich nicht warum Jamie am liebsten so weit wie möglich von ihr weg wollte. Doch sie konnte ihn nicht täuschen.
»Weil du mich schon einmal töten wolltest«, brachte er hervor und war stolz, dass seine Stimme nicht versagte. Alecia verzog das Gesicht.
»Ich wollte dich nicht töten«, ließ sie verlauten und man konnte ihrer Stimme entnehmen, dass dieser Vorwurf sie scheinbar getroffen hatte. Jamie wollte ihr gerade widersprechen, da sprach sie bereits weiter. Sehr viel leiser und weniger selbstsicher als zuvor sagte sie, »Ich wollte niemanden töten. Dich nicht, Juliana nicht und Lucas erst recht nicht. Doch so sind nun mal die Regeln. Es ist meine Aufgabe dafür zu sorgen, dass die Vampire unentdeckt unter den Menschen weilen können und das funktioniert nur, wenn sich alle an die Regeln halten. Kein Mensch darf von unserer Existenz erfahren.«
Jamie dachte nach. Es gab so viele Fragen, die in seinem Kopf herumschwirrten und selbst wenn er wollte, dass Alecia endlich verschwand, so war sie die einzige, die ihm Antworten geben konnte.
»Warum sind wir dann aber alle noch am Leben? Ich erinnere mich nur an Bruchstücke, doch das du Lucas den Befehl gegeben hattest, Juliana und mich zu töten sehe ich klar und deutlich in meinen Erinnerungen. Doch Lucas hat deinen Befehl nicht ausgeführt... Er...« Seine Hande schnellte zu seinem Kopf und er presste sie gegen seine Stirn. Ein kläglicher Versuch den aufkommenden Schmerz zu bekämpfen. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht was dann geschehen ist.«
Er spürte eine Berührung an seiner Hand. »Darf ich?« Es war Alecia, die seine Hand beiseite schob, um sie mit ihrer zu ersetzen. Der Schmerz ließ nach, doch auch die Bilder in seinem Kopf verblassten.
»Ich sagte doch, ich werde dir erklären was geschehen ist. Doch du lässt mich nicht zu Wort kommen«, sagte sie dann. Jamie fühlte sich ausgelaugt und kraftlos. Darum nickte er. Alecia nahm dies zum Anlass mit ihren Erklärungen zu beginnen. »Lucas konnte meinen Befehl scheinbar nicht ausführen. Und ist auf die glorreiche Idee gekommen sich selbst zu opfern. Eure gemeinsame Geschichte würde sich nur so auslöschen lassen. Würde Lucas verschwinden, würde es mir gelingen eure Erinnerungen an ihn und alles was mit eurem Aufeinandertreffen zusammenhängt, auszuradieren.«
»Aber du hast Lucas am Leben gelassen und uns die Erinnerungen trotzdem genommen. Also gab es doch eine anderen Möglichkeit, die Regeln zu befolgen«, schlussfolgerte er.
Alecias Lachen hörte sich seltsam und unnatürlich an. So als lachte sie über sich selbst. Bis sie plötzlich verstummte und ihr Blick vollkommen leer war.
»Dafür musste ich einen hohen Preis bezahlen«, flüsterte sie. Ihre Stimme war nur ein Hauch, so als käme sie von weit weg. So als wäre Alecia gar nicht hier.
Doch nur ein Blinzeln später saß wieder die alte Alecia vor ihm, so als wäre nichts gewesen.
»Wie dem auch sei,«, sagte sie, »Ich habe es jedenfalls geschafft, dass niemand von euch sterben musste. Der Preis für euer Leben waren eure Erinnerungen.«
Jamie wusste nicht recht, was er ihr antworten sollte. Hatte er Alecia falsch eingeschätzt. War sie gar nicht so skrupellos, wie er glaubte.
»Warum hast du uns verschont?«, fragte er, doch er erhielt nur ein geheimnisvolles Lächeln als Antwort.
In seinem Kopf herrschte ein einziges Chaos. Wie war er nur in all das hinein geraten? Und wie hatte er vergessen können, dass es so etwas wie Vampire gab. Die seltsamen Fälle der letzten Wochen hätten ihn doch wachrütteln müssen. So etwas konnte man nicht vergessen. Das groteske Bild von Alecias Vampirgestalt tauchte in seinen Gedanken auf und ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Morgen würde er einfach wieder alles vergessen. Mit einem Mal überkam ihn eine andere Angst. Er wollte diese Dinge nicht wieder vergessen, sie waren Teil seines Lebens. Er hatte doch die ganze Zeit über gewusst, dass es da etwas Unglaubliches gab. Er hatte von Anfang an gespürt, dass er und Juliana eine ganz besondere Verbindung hatten und er wollte nicht vergessen, was sie zusammen durchgemacht hatten.
»Bitte nehme mir meine Erinnerungen nicht nochmal«, sagte er und er erschrak darüber, wie flehend die Worte klangen. Alecia wirkte überrascht.
»Das kann ich nicht.«
»Ich bitte dich.«
»Ich muss mich an die Regeln halten.«
»Alecia«, fragte er noch einmal und ihre Augen hatten plötzlich dieses Funkeln. Sie rückte an ihn heran, kletterte fast schon auf seinen Schoß. Dann strich sie ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihr Gesicht war seinem viel zu nah, doch Jamie war wie erstarrt und schaffte es nur sie fragend anzusehen. Ihre kalte Hand legte sich auf seine Wange und ihre Augen sahen direkt in seine, dann hauchte sie »Bitte mich nochmal darum.«
***
Juliana versuchte Lucas nicht anzusehen. Es fiel ihr schwer, doch jedes Mal wenn sie ihn musterte strömten die Bilder ihrer gemeinsamen Zeit durch ihren Kopf. Sie wollte diese Bilder nicht. Sie verwirrten sie und brachten sie durcheinander.
»Warum kannst du mich nicht ansehen?«, wollte Lucas wissen und sie verfluchte ihn dafür, dass er sie so einfach lesen konnte. Sie hob ihren Kopf und wusste, dass ihr Vorsatz zum Scheitern verurteilt war, als ihre Augen sein attraktives Gesicht musterten.
»Es sind nur all diese Erinnerungen«, gab sie zu, da Lucas es wahrscheinlich sowieso ahnte, »Sie bringen mich so durcheinander.«
»Alecia hat uns diese Erinnerungen nur für heute Nacht gewährt, danach werden wir alles wieder vergessen«, erklärte Lucas. Julianas Magen zog sich zusammen. Sie wollte die Erinnerungen nicht wieder verlieren. Auch wenn sie völlig durch den Wind war, machte der Gedanke daran, nicht zu wissen, dass es Lucas gab, sie traurig.
Lucas stand mittlerweile genau hinter ihr, doch er berührte sie nicht. Sie konnte seinen Atem in ihrem Nacken spüren. Nach ihrem Kuss hatte sie sich von ihm abgewandt, denn ein großes Schuldgefühl hatte sich in ihr ausgebreitet. Egal, wie ihre Vergangenheit ausgesehen hatte. Im Hier und Jetzt war sie mit Jamie zusammen und trotzdem war es schwer ihre Gefühle zu kontrollieren.
»Ich dachte du wärst tot. Ich meine für die kurze Zeit in der meine Erinnerungen, noch da waren«, gab sie zu.
»Ich dachte ich würde dich nie wieder sehen.«
»Und trotzdem stehen wir jetzt hier.«
Er packte sie an der Schulter und drehte sie zu sich, »Das muss doch etwas bedeuten.«
Sie lachte leise. »Egal was es bedeutet. Morgen habe ich dich wieder vergessen.«
Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, so als dachte er über etwas nach, dann nahm er ihr Gesicht in seine Hände, sodass sie ihn ansehen musste.
»Lass uns einfach davon laufen. Irgendwohin wo Alecia uns nicht findet, wo sie uns unsere Erinnerungen nicht nehmen kann«, schlug er dann vor. Noch bevor sie antworten konnte, legten seine kalten Lippen sich auf ihre und ihre Gedanken überschlugen sich. Schon als sie Lucas zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er diese große Anziehungskraft auf sie. Sie konnte sich ihm einfach nicht entziehen und hatte sich damals von der Gefahr die ihn umgab angezogen gefühlt. Ihre Hände vergruben sich in seinem Hemd, als sie ihn dichter an sich zog. Als er ihren Kuss für einen Augenblick unterbrach, konnte sie ihm endlich antworten. »Das hört sich gut an.«
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Mondlicht Erinnerung
VampireAls Juliana sich zum ersten Mal mit dem attraktiven Jamie trifft, kommt es ihr vor als würden sie sich schon ewig kennen. Sie fühlt sich wohl in seiner Gegenwart und ihm scheint es ähnlich zu gehen. Trotzdem ist da auch noch ein anderes Gefühl, dass...