Kapitel 14

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Als es an seiner Tür klopfte machte sich eine große Anspannung in Lucas breit. Schon durch die Tür hindurch konnte er eine erdrückende Aura spüren, die nur von einer Person kommen konnte. - Alecia.

Ein verzweifeltes Lachen verließ seine Lippen. Wie hatte er nur glauben können, dass auch nur irgendetwas ihrem wachsamen Augen entgehen würde? Vielleicht hatte aber auch Esko nicht Wort gehalten und ihn verraten. Was es auch war, spielte jetzt keine Rolle mehr, denn Alecia stand vor seiner Tür und auch wenn sie lange auf sein »Herein« warten konnte, würde nichts sie davon abhalten ihn zur Rede zu stellen. Ergeben lehnte er sich an den Tisch in der Ecke des Raumes, möglichst weit weg von ihr. Sein Blick war starr auf die Tür gerichtet, die sich in diesem Moment langsam und unter drohendem Knarren öffnete.

Alecias bleiches Gesicht erschien und im schwach beleuchteten Raum wirkte es kalt und leblos. Frei von jeder Emotion. Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss und Lucas fühlte sich eingeengt. Es kam ihm vor, als würde die Luft im Raum knapp werden, doch wahrscheinlich traute er sich nur nicht in ihrer Gegenwart zu atmen. Alecias Schritte waren langsam und gleichmäßig, so als müsste sie sich beherrschen nicht auf ihn loszustürmen, um ihn in Stücke zu reißen. Dass sie dazu in der Lage war, stand außer Frage. Auf halbem Weg blieb sie stehen. Bis jetzt hatte keiner von ihnen etwas gesagt. Lucas beschloss, dass er zumindest, was dies an ging die Oberhand haben wollte. Er würde sich ihr nicht reumütig vor die Füße werfen und sich entschuldigen. Denn sie hatte ihn zuerst hintergangen. Diese Realisation weckte seinen Kampfgeist.

»Warum hast du mir erzählt, meine Schwester wäre tot, obwohl du sie in den Kellerräumen gefangen hältst?«, brachte er hervor während er sich aufrichtete und auf sie herab sah. Ihr kalter Blick änderte sich in einen amüsierten.

»Warum hast du diesen Teil des Gebäudes betreten, obwohl ich es dir ausdrücklich untersagt habe?», konterte sie.

»Weil du mich belügst. Ich weiß nicht, was du mir alles verschweigst, aber in Bezug auf meine Schwester hast du gelogen und wahrscheinlich ist das nicht deine einzige Lüge.«

Sie überwand die letzten Meter, bis sie direkt vor ihm stand. Dann sah sie zu ihm herauf.

»Ich wollte dich nur schützen«, sagte sie schon etwas entschuldigend, während sie mit ihrer Hand über seinen Oberarm streichelte. Lucas schubste sie von sich. Wenn auch weit vorsichtiger, als er sich vorgenommen hatte.

»Ich glaube dir kein Wort«, ließ er sie wissen. Kurz glaubte er, einen Hauch von Verletzlichkeit in ihren Augen zu erkennen, doch im nächsten Moment war dieser schwache Moment vergangen.

Alecia kam wieder auf ihn zu. Ihre kalten Hände strichen über seine Wangen, doch ihr Streicheln verwandelte sich schnell in einen festen Griff, der es unmöglich machte, dass Lucas seinen Kopf wegdrehen konnte.

»Du nimmst dir zu viel raus«, zischte sie und ihr Blick machte klar, dass es eine letzte Warnung war. Doch was für ein Mann wäre er, wenn er einfach nachgeben würde. Der Fehler lag nicht bei ihm.

»Der Fehler liegt nicht bei mir. Du hast mich belogen und deshalb bist du diejenige, die sich zu viel rausnimmt.«

Der Druck ihrer Hände wurde stärker, ihre zornigen Augen bohrten sich in seine und Lucas glaubte, dass jeden Moment sein Schädel zerspringen würde. Dann ließ der Druck nach. Er spürte wie Alecias zittrigen Hände von seinem Gesicht zu seinen Schultern glitten. Diesmal war er sich ganz sicher, dass eine große Traurigkeit in ihren Augen lag.

Sie drehte sich um, verharrte jedoch für einige Sekunden auf der Stelle, »Du verstehst mich vollkommen falsch«, sagte sie kaum hörbar und fügte dann, noch leiser hinzu, »Aber das ist immer so.«

Lucas wusste nicht, was er sagen sollte. Und als er sich endlich durchringen konnte, sie zu fragen, was sie meinte, sah er nur noch, wie die Tür hinter ihr, fast lautlos, ins Schloss viel. Er blieb allein zurück.

***

Sein Schlaf war unruhig. Doch das war eine Untertreibung. Lucas' Gedanken, oder Träume - er konnte es nicht mehr unterscheiden -, sprangen hin und her. Von der schönen Juliana hin zur grinsenden Fratze seiner Schwester. Unbekannte Gesichter und fremde Stimmen begleiteten seine verworrenen Gedankenzüge, bis ganz plötzlich ein einziger klarer Gedanke herausstach. Ein Ort erschien vor seinem geistigen Auge. Ein Ort den seine Schwester früher, als sie sich noch eine Wohnung teilten, immer wieder aufgesucht hatte. Er war ihr nur einmal dorthin gefolgt, da sie ein großes Geheimnis daraus machte, wohin sie immer wieder verschwand. Als er sie dann darauf angesprochen hatte, hatte sie nur gesagt, er müsste nicht wissen mit wem sie sich traf. Damals war es nur eine Kleinigkeit gewesen, doch jetzt fügte sich ein Bild zusammen. Hatte Esko nicht gesagt, Lucis damaliger Lover hätte etwas mit den Angriffen zu tun? Lucas hatte eine Ahnung, wo er zu finden war.

***

Alecia fühlte sich seltsam. Ein vollkommen unbekanntes Gefühl trübte ihre Stimmung. So sehr, dass sie sich unter ihre Bettdecke verkrochen hatte und versuchte an nichts zu denken. Doch es klappte nicht. Je mehr sie versuchte alles auszublenden, desto stärker wurden ihre Kopfschmerzen. Mit dieser Last musste sie Leben. Ihr überdurchschnittliches Gedächtnis hatte definitiv viele Vorteile, doch leider auch einen entscheidenden Nachteil. Manchmal überfluteten all die Eindrücke und Gedanken sie einfach. Zuviel Dinge die sie im Auge behalten musste. Doch es war nicht ihr fantastisches Gedächtnis, das ihr zu ihrer hohen Stellung unter den Vampiren verholfen hatte, auch nicht ihre enormen Kräfte, die viele Gegner in die Knie zwangen. Es war ihre Familie. Ihre Blutlinie war schuld daran, dass sie diesen Posten ausfüllen musste. Alles in Ordnung halten musste. Freunde und Gefühle waren in ihrer Situation fehl am Platz. Gerade deshalb war sie immer prädestiniert für diesen Job gewesen. Doch aus irgendeinem Grund fiel es ihr in letzter Zeit immer schwerer, diese Erwartungen zu erfüllen.

Ein Klopfen riss sie aus ihren Gedanken. Sie wollte niemanden sehen. Sie wollte einfach nur für ein paar Stunden schwach sein. Deshalb antwortete sie auch nicht. Es klopfte erneut. Als sie wieder nicht antwortete, ertönte eine Stimme.

»Alecia? Bist du da?«

Es war Lucas. Sie richtete sich auf und krabbelte aus dem Bett, er sollte sie so nicht sehen. Sie richtete sich ihr Haar etwas. War er noch da?

»Was willst du?«, fragte sie und schaffte es nicht ihre Stimme so kühl klingen zu lassen, wie es der Plan war.

»Ich...«, er zögerte, »Ich weiß vielleicht, wo ihr Lucis Ex-Freund finden könnt. Lässt du mich rein?«

Warum wollte Lucas ihr plötzlich helfen? Sie hastete zur Tür und riss diese auf. Lucas sah sie an und sein Blick verriet, dass er selbst nicht so ganz wusste, warum er ihr half.

»Wo?«, fragte sie nur, gab gleichzeitig den Weg frei um ihn herein zu bitten.

Er folgte ihr ins Innere des Raumes.

»Ich war nur einmal dort und weiß keine Straße oder sonst etwas, ein verlassener Nachtclub. Luci hat sich dort früher immer mit jemanden getroffen. Zumindest glaube ich das... Meine Erinnerungen sind...«

Alecia hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. Es war überraschend, dass er sich an etwas aus seiner Vergangenheit erinnerte. Sie hatte immerhin einen Großteil dieser Erinnerungen ausgelöscht.

Doch das war nebensächlich.

»Kannst du mich dort hinbringen?«, fragte sie.

Sein leicht arrogantes Grinsen genügte, doch er sagte es trotzdem noch einmal mit Worten, »Natürlich kann ich das.«

Mondlicht ErinnerungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt