Als Lucas erkannte, dass die Frau die er verfolgt hatte, es schaffte in eine Cocktailbar zu flüchten, blieb er abrupt stehen. Er hatte schon wieder versagt und nach seiner letzten »Auseinandersetzung« mit Alecia würde ihn diesmal sicherlich eine Strafe erwarten.
Eigentlich hatte er gar nicht vorgehabt die Innenstadt zu patrouillieren, er hatte immerhin einen Vampir gefasst und ihn an Alecia ausgeliefert. Dennoch hatte es ihn in die Fußgängerzone verschlagen. Er musste einfach seine Gedanken ordnen und wollte möglichst weit weg von Alecia sein. Doch ein wenig Entspannung war ihm nicht gegönnt. Tatsächlich wagte es wieder einer dieser aufmüpfigen Vampire eine Frau anzugreifen. Leider - oder besser gesagt, zum Glück für die Dame - stellte auch dieser Vampir sich nicht klug genug an und die Frau schaffte es zu entkommen. Jedoch hatte sie definitiv einen Blick auf die Vampirgestalt ihres Angreifers geworfen. Das bedeutete für Lucas, dass er dringend die Erinnerung der Frau löschen musste. Ihre Existenz sollte immerhin verborgen bleiben. Doch auch er hatte seine Sache nicht gut gemacht. Ein Moment der Unachtsamkeit sorgte dafür, dass er die Frau auf einmal, aus den Augen verloren hatte. Da nützte ihm auch seine ungewöhnliche Schnelligkeit nichts. Als er sie wiederentdeckte war es bereits zu spät und sie hatte sich ins Innere der Bar gerettet. Während er rätselte, wie er weiter vorgehen sollte, um vielleicht doch noch seine Aufgabe zu erfüllen, schweifte sein Blick durch die Bar, deren große Fenster es möglich machte, einen guten Überblick über das Innere des Raumes zu haben. Da war die Frau, die womöglich den Schock ihres Lebens erlitten hatte und sie war scheinbar gerade dabei allen Anwesenden zu erzählen, was sie gesehen hatte. Das würde Alecia zur Weißglut bringen. Plötzlich hielt er inne. Sein Blick war an einer anderen Frau kleben geblieben. Sie hatte hellbraunes, gewelltes Haar, das bis zu ihren Schultern ging und ihre großen Augen suchten nach etwas. Er sollte verschwinden. Doch er konnte seinen Blick nicht von der Frau abwenden. Sie löste etwas in ihm aus. Etwas, dass ihm Angst machte. Lucas spürte wie seine unkontrollierbare Vampirseite, sich in den Vordergrund drängen wollte. Bilder, wie sich seine verformten, knochigen Finger um das Handgelenk der Frau schlossen, kamen in ihm auf. Wie er mit seiner Zunge über ihren Hals leckte und wie seine spitzen Zähne bedrohlich aufblitzen. Er schüttelte sich. Was waren das für Gedanken. Er war keiner der Vampire, die die Regeln missachteten. Er griff keine Menschen an. - Nicht mehr. In diesem Moment lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Sie hatte ihn entdeckt. Die Frau, die diese seltsamen Bilder in ihm hervorrief, sah ihn an, so als wüsste sie ganz genau was er war. In seinem Kopf drehte sich alles. Schweißperlen tropften von seiner Stirn, dann rannte er davon. Er spürte, dass sie ihn verfolgte und er wollte seine Schritte beschleunigen, doch etwas hielt ihn davon ab. Die Frau zog ihn magisch an, er wollte wissen wer sie war, er wollte hören, was sie zu sagen hatte und seine Schritte wurden wie von selbst langsamer.
»Bleib stehen!«, hörte er sie rufen. Ihre Stimme zitterte und er konnte ihre Angst förmlich riechen, warum war sie ihm trotzdem gefolgt? Lucas sah sich um. Er war blindlings in eine dunkle Gasse geflüchtet, und es überraschte ihn nicht, dass seine Verfolgerin es mit der Angst zu tun hatte. Vor dem brüchigen Gemäuer eines alten Gebäudes blieb er stehen und drehte sich um. Die Augen der Frau musterten ihn und ihr Blick zeigte, dass sie genauso viele Fragen hatte, wie er.
* * *
Juliana wusste nicht, was über sie gekommen war. Wie von selbst war sie dem Unbekannten gefolgt. Hatte nicht auf ihre Umgebung geachtet, sondern nur auf ihn. Jetzt wo sie in dieser dunklen Gasse gelandet waren, war ihre Angst nicht mehr zu verbergen. Sollte sie fliehen. Zwar hatte sie ihn verfolgt, doch nun, wo er stehengeblieben war, wusste sie nicht was sie tun sollte. Er drehte sich um, und ihr Atem stockte. »Ich...«, stotterte sie, doch sie wusste nicht was sie sagen sollte. Er war attraktiv, braunes Haar eine schlanke Figur. Er hatte etwas besonderes und als seine Augen sie musterten lief ein wohlige Schauer über ihren Rücken. Bilder von heißen Küssen und schwitzenden Körpern ließen sie erröten. Der Unbekannte den sie verfolgt hatte, war nicht das Monster das sie erwartet hatte. Er passte nicht auf die Beschreibung der Frau in der Bar.
Juliana nahm all ihren Mut zusammen. »Warum hast du die Frau angegriffen?«, wollte sie wissen.
Er wirkte kurz überrascht, dann wütend. »Ich habe sie nicht angegriffen«, behauptete er dann.
»Wieso hast du sie dann verfolgt?«
Er haderte, dann stand er plötzlich direkt vor ihr. Seine Augen bohrten sich in ihre. Und es waren dieselben dunklen, unergründlichen Augen die sie in ihren Träumen beobachtet hatten. »Das würdest du nicht verstehen«, sagte er und sprang ohne Mühe auf eines der Dächer. Er wollte gehen. Sie wollte nicht, dass er ging. Etwas in ihr hatte panische Angst ihn gehen zu lassen.
»Warte!«, die Worte hatten wie von selbst ihren Mund verlassen.
Er blickte sie noch einmal mit seinen dunklen Augen an. Juliana wollte etwas sagen, doch sein Anblick im seichten Mondlicht raubte ihr den Atem und verschlug ihr die Sprache. Der Unbekannte runzelte die Stirn, dann sagt er: »Wie heißt du?«
Sie überlegte nicht lange. »Juliana.« Seine Augen weiteten sich. »Ich bin Lucas.«
Lucas der Name klang so vertraut in ihren Ohren. Sie hatte nur für einen winzigen Moment weggeschaut und auf einmal war der Unbekannte - war Lucas - verschwunden.
***
Als Lucas das Quartier erreichte war er völlig außer Atem und er schaffte es kaum sich zu beruhigen. Er lehnte an der kahlen Wand und versuchte endlich wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Warum verwirrte diese Frau - diese Juliana - ihn so?
»Was bringt dich so außer Atem?«, hörte er eine säuselnde Stimme und sah sich plötzlich dem grinsenden Gesicht Alecias gegenüber. Scheinbar hatte sie in der Eingangshalle auf ihn gewartet. Seine Wut gegenüber ihr, war noch größer als sonst und er stieß sie wortlos von sich weg. Er wusste, dass er unnötig viel Kraft aufgebracht hatte und als Alecia hart auf den Boden knallte, schien auch sie für einen seltenen Moment überrascht. Einige Männer wollten ihr helfen, doch sie schlug ihre Hände weg und rappelte sich selbst auf. Eine bedrohliche Aura füllte den Raum und Lucas wurde klar, dass er es diesmal übertrieben hatte. Er war zu überheblich geworden und hatte vergessen, dass er es niemals mit Alecia aufnehmen konnte. Gerade als er den Gedanken zu Ende gedacht hatte, stand sie auch schon vor ihm. Ihre Augen waren dunkle Schlitze, ihre spitzen Zähne kamen zum Vorschein, sie war plötzlich viel größer und ihr schönes Gesicht verwandelte sich in eine angsterregende Fratze. Es war das erste Mal, dass Lucas sie in ihrer Vampirgestalt sah und das bedeutete, dass sie wirklich wütend sein musste, denn sie hasste es diese Gestalt annehmen zu müssen und hatte es über Jahre auch nicht für nötig erachtet. Dass sie nun so vor ihm stand ließ Lucas, um sein Leben fürchten. Er war starr vor Angst und konnte sich nicht bewegen. Wie erbärmlich, schallt er sich selbst, doch schaffte es einfach nicht, sich aus seiner Starre zu befreien.
»Das hättest du nicht tun sollen«, ertönte Alecias verzerrte Stimme, während ihre Hand nach vorne schnellte und sich um seinen Hals schloss. Die Luft blieb ihm weg und er versuchte ihre Hand zu lösen. War nun seine letzte Stunde geschlagen? Plötzlich durchflutete Luft seine Lungen, der Druck auf seiner Kehle war verschwunden und er sagte keuchend zu Boden. Alecia hatte von ihm abgelassen und stand nun in ihrer gewohnte Gestalt vor ihm. »Lass dir das eine Lehre sein«, sagte sie und zog sich dann in ihre Gemächer zurück. Lucas zitterte und brachte es nicht fertig sich aufzuraffen, deshalb ließ er sich rückwärts auf den kalten Boden fallen, legte einen Arm über seine Augen um sich vor dem Licht, der grellen Scheinwerfer zu schützen. Sein Atem beruhigte sich langsam. Doch in seinem Kopf drehte sich alles. Juliana. Der Name klang noch immer in seinem Kopf und er wusste, dass es einen Grund dafür geben musste.
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Mondlicht Erinnerung
VampirosAls Juliana sich zum ersten Mal mit dem attraktiven Jamie trifft, kommt es ihr vor als würden sie sich schon ewig kennen. Sie fühlt sich wohl in seiner Gegenwart und ihm scheint es ähnlich zu gehen. Trotzdem ist da auch noch ein anderes Gefühl, dass...