»Verfluchter Mist«, ertönte es und es dauerte einen Augenblick bis Juliana erkannte, dass es von dem Monster vor ihr kam. Ihre verschwommene Sicht irritierte sie. Wann hatte sie zu weinen begonnen? Das Wesen - der Vampir - hielt sich die Schläfe und taumelte zurück. Etwas zeitverzögert erkannte Juliana, dass etwas sein Gesicht getroffen hatte.
»Juliana, lauf!«, erklang es dann und erst jetzt realisierte sie, dass sie eine Chance hatte zu entkommen. Sie richtete sich auf, sah sich suchend um, dann erkannte sie Jamie in einigen Meter Entfernung. Er rannte ihr entgegen und endlich gehorchten auch ihre Beine ihr wieder. Sie hetzte auf ihn zu und wollte sich ihm in die Arme stürzen, als sie ihn erreicht hatte. Doch sein panischer Blick glitt an ihr vorbei.
»Lauf weiter«, forderte er, schnappte ihre Hand und machte auf der Stelle kehrt. Er zog sie hinter sich her und es fiel ihr schwer, ihm zu folgen. Doch sie spürte, dass das Wesen sie jeden Moment einholen würde. Trotz ihres Vorsprungs. Als sie sich umdrehte, war der Vampir bereits hinter ihnen und streckte die Hand nach ihr aus. In einem letzten, hoffnungslosen Versuch sprang sie nach vorne und klammerte sich an Jamies Rücken. Sie würden es nicht schaffen. Sie bemerkte, dass auch Jamie aufgeben hatte und stehengeblieben war. Zitternd klammerte sie sich an ihn und presste ihr Gesicht gegen seinen starken Rücken, damit sie nicht noch einmal das angsteinflößende Gesicht ihres Verfolgers sehen musste. Jamie drehte sich um, sie hörte wie er ausatmete, dann löste er sich aus ihrer Umklammerung und brachte sie dazu ihn anzusehen. Tränen liefen ungehindert über ihre Wangen und Jamie versuchte sie vergeblich wegzuwischen. Seine Augen huschten hin und her, dann sagte er: »Er ist verschwunden.«
Ihre Knie gaben nach und hätte Jamie sie nicht aufgefangen, dann wäre sie kraftlos auf den Boden gesackt. Sie wusste nicht was sie denken oder fühlen sollte. Ihr Kopf war leer, doch voll zugleich. Nur eines wusste sie, sie wollte, dass Jamie nie wieder von ihrer Seite wich. Sie ließ sich in seine starken Arme sinken und vergrub ihr Gesicht in seinem Hemd, sodass ihre Schluchzer nur gedämpft zu hören waren.
Jamie strich ihr beruhigend über den Rücken. Doch sein klopfendes Herz verriet ihr, dass auch er keinesfalls ruhig war.
»Lass uns gehen«, sagte er dann.
* * *
Kurz ging es Lucas durch den Kopf, dass es keine gute Idee war, in den Raum zu stürmen. Doch er tat es trotzdem. Er konnte es erst glauben, wenn er es mit eigenen Augen sehen würde. Sie hatten ihn zu sehr manipuliert, zu sehr im Dunkeln gelassen, als das er etwas glauben konnte, was er nicht mit eigenen Augen sah. Vielleicht war alles nur ein trickreiches Schauspiel, welches Alecia ihm vorhalten wollte. Vielleicht war er längst entdeckt worden und sie spielten ihm einen üblen Streich. Doch in dem Moment in dem er einen Schritt in den Raum wagte, in dem Esko angeblich mit seiner Schwester Luci sprach, wusste er, dass er kein Trugbild vor sich hatte. Auch wenn Luci ein Schatten ihrer selbst war, ausgemergelt, gebrechlich, schwach und drastisch gealtert.
Ihre Augen weiteten sich für einen kurzen Moment, doch dann zogen sie sich zu Schlitzen zusammen und ein bekannter, überlegender Blick richtete sich auf ihn. Ihr fieses Grinsen ging ihm durch Mark und Bein und er spürte, wie sich verwirrende Bilder in seinem Kopf formten. Doch nun war nicht der richtige Zeitpunkt sich mit diesen Erinnerungen zu befassen.
Er machte einen Schritt auf Luci zu, um ihr zu signalisieren, dass er keine Angst vor ihr hatte - nicht mehr. Doch nur einen Augenblick später knallte er gegen eine der Wände. Esko baute sich vor ihm auf. »Was machst du hier? Alecia hat dir verboten, die Kellerräume zu betreten.«
Er schubste Esko zur Seite und sah auf seine Schwester herab. Sie hockte auf dem Boden und er war sich nicht sicher, ob ihre schwachen Beine, sie überhaupt tragen könnten. Dennoch verschwand das wissende Grinsen nicht von ihrem Gesicht.
»Warum wollte Alecia meine Schwester vor mir verbergen? Sie hat mir gesagt, Luci wäre nicht mehr am Leben?«
»Ich habe keine Ahnung, was Alecia bezweckt«, gab Esko zu, »Ich führe nur ihre Befehle aus. Und einer dieser Befehle ist, niemanden in diesen Raum zu lassen.« Seine Pranke umschloss seinen Oberarm und Lucas kam sich für einen winzigen Moment klein gegenüber dem Vampir vor. Doch seine Unsicherheit hielt nicht lange. Er riss sich los. »Dann wird Alecia nicht sehr froh darüber sein, dass du ihre Befehle missachtest«, konterte er und deutete auf sich selbst, um zu verdeutlichen, dass er sehr wohl diesen Raum betreten hatte. Esko wirkte für einen Moment ratlos und das gab Lucas die Zeit sich mit seiner Schwester zu befassen.
»Was ist passiert?«, fragte er und hoffte, dass sie ihm eine richtige Antwort auf seine allgemein gehaltenen Frage geben würde. Warum war sie hier? Warum war er hier?
Überraschung schlich sich in ihr gealtertes Gesicht. »Du kannst dich nicht erinnern«, schlussfolgerte sie und er glaubte so etwas, wie Genugtuung herauszuhören.
»Sag mir...«, begann er, doch Luci unterbrach ihn.
»Du solltest Juliana und Jamie fragen, was passiert ist«, sagte sie und für eine Sekunde war alles schwarz. Dann realisierte er das Gesagte. Juliana? Das war doch der Name der Frau, die ihm in diese dunkle Gasse gefolgt war. Sein Atem beschleunigte sich, seine Gedanken kreisten und das Monster in ihm, seine Vampirseite drohte, an den Vordergrund zu kommen. Es entbrannte ein Kampf den er nur knapp gewann. Schwer atmend lehnte er an der Wand. Der mitleidige Blick, mit dem Esko ihn bedachte, war nur schwer zu ertragen. Doch nichts war so zermürbend, wie das Wissen, dass es etwas wichtiges gab an das er sich nicht erinneren konnte und es hatte mit sehr großer Wahrscheinlichkeit etwas mit der hübschen Juliana zu tun.
***
Juliana zitterte immer noch und Jamie versuchte mit allen Mitteln ihr zu helfen. Doch er musste wissen, dass die heiße Schokolade und die warme Wolldecke nichts bewirken würden. Erst wenn die Furcht aus ihren Gliedern kroch würde sich ihr Körper vom Schock erholen. Sie hatten seit ihrem Eintreffen in Jamies Wohnung noch nicht ein Wort miteinander gesprochen. Und sie wollte nicht über das Geschehene reden. Sie wollte nicht einmal darüber nachdenken und trotzdem hatte sie das Bild des Vampirs mit seiner verzerrten Fratze klar vor ihrem Auge.
Sie spürte wie Jamie zu ihr unter die Decke kroch und sie fest in seine Arme zog. Eine Geste die nicht nur sie beruhigen sollte.
»Was war das?«, fragte er und starrte einen Moment lang ins Leere, dann trafen seine Augen auf ihre, sie zeigten dieselbe Verunsicherung die sie spürte. »Ich weiß nicht...«, begann er dann, doch Juliana wollte nicht das er weiter sprach. Ihr zittriger Finger legte sich auf seine vollen Lippen.
»Sag bitte nichts«, flehte sie und damit er auch gar keine Chance dazu hatte ersetzte sie ihren Finger durch ihre Lippen, um ihn zu küssen. Kurz schien Jamie zu überlegen, dann umschlossen seine Hände ihre Gesicht und er vertiefte den Kuss. Er küsste sie hart und fordernd, so wie er sie noch nie sofort geküsst hatte. Sie ließ sich tief in seine Arme sinken, spürte seinen muskulösen Körper den er gegen ihren presste. Als er sie auf seinen Schoß zog und mit seinen Händen unter ihr Shirt fuhr brannte ihre Haut unter seinen Fingern. Der Mix aus Heiß und Kalt, das Zusammenspiel von Angst und Lust vernebelten ihren Verstand und ließen sie jede von Jamies Berührungen tausendmal intensiver spüren. Seine hungrigen Augen wanderten über ihren Körper und sie wusste, dass er jedes grausame Bild für diese eine Nacht vergessen machen würde.
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Mondlicht Erinnerung
VampireAls Juliana sich zum ersten Mal mit dem attraktiven Jamie trifft, kommt es ihr vor als würden sie sich schon ewig kennen. Sie fühlt sich wohl in seiner Gegenwart und ihm scheint es ähnlich zu gehen. Trotzdem ist da auch noch ein anderes Gefühl, dass...