Julianas Augenlider waren so schwer. Es war anstrengend ihre Augen zu öffnen. Ihr Kopf schmerzte und sie versuchte sich zu erinnern, bis ein stechender Schmerz sie zusammenzucken ließ. Nur Sekunden später blitzten tausende Bilder in ihrem Kopf auf. So viele Gesichter und so viele Gefühle. Da war Lucas, nicht der Lucas mit dem sie sich heute getroffen hatte, sondern der Lucas mit dem sie sich damals getroffen hatte. Wenn das denn überhaupt irgendeinen Sinn ergab. Es war alles so ähnlich und doch so anders. Das leerstehende Haus. Ihre große Furcht. Der Glockenklang um Mitternacht, doch dann ... Dann war da dieses Monster. Lucas Gesicht verformte sich und spitze Fangzähne drangen aus seinem Mund. Ein Vampir! Ein unkontrolliertes Zittern überkam sie, doch sie wusste nicht, ob es ihr jetziges Ich war, das so sehr zitterte oder das aus ihren Erinnerungen. Wahrscheinlich beides. Lucas - der Vampir - kam auf sie zu. In seinen Augen blitzte Mordlust auf, doch sie wusste, dass er ihr nichts tun würde. Ihre Augen flatterten auf und sie sah in die selben Augen, wie in ihren Erinnerungen, doch diesmal waren sie menschlich und voller Sorge.
»Lucas?«, entwich es ihren bibbernden Lippen und er nickte. Er hatte ihren Kopf auf seinen Schoß gebettet und sah auf sie herab.
»Kannst du dich erinnern?«, fragte er.
Kurz musste Juliana nachdenken, dann nickte sie. Sie erinnerte sich an alles. Daran, dass sie Lucas damals in diesem Club getroffen hatte, dass er um ein seltsames Treffen gebeten hatte, ein Treffen um Mitternacht in eben diesen leerstehenden Haus und das er sich damals um Mitternacht in seine Vampirgestalt verwandelt hatte. Sie beide wussten bis heute nicht was passiert wäre, wenn Jamie nicht aufgetaucht wäre. Jamie, der Lucas schon von früher kannte. Und wie auch heute hatten Jamie und sie es einfach nicht wahrhaben wollen, dass sie es mit einem Vampir zu tun hatten. Trotzdem waren sie Freunde geworden. Und sie und Lucas ... Was war es zwischen ihr und ihm gewesen? Mehr wie Freundschaft war es bestimmt. Sie erinnerte sich an seine heißen Küsse, ihre letzte gemeinsame Nacht, bevor er ...
»Du hast dich für uns geopfert«, entwich es ihr und sie bemerkte, dass sie nicht mehr zitterte.
Lucas nickte, sagte jedoch nichts. Juliana richtete sich langsam auf und sah sich um. Lucas hatte sie zu einer alten Couch gebracht, die in einer Ecke des Raumes stand.
»Was ist passiert?«, fragte sie dann, wusste aber nicht wirklich, was sie eigentlich wissen wollte, denn in ihrem Kopf herrschte ein einziges Chaos. Wieso waren sie hier?
»Alecia hat dafür gesorgt, dass wir unsere Erinnerungen zurück bekommen«, antwortete Lucas, so als wäre es das normalste der Welt. Juliana lief es kalt den Rücken herunter, als sie an die Vampirin dachte. Sie hatte keine guten Erinnerungen an Alecia. Immerhin war sie an allem Schuld. Sie hatte damals ihren Tod gewollt und Jamies Tod. Ihr wurde bewusst, dass sie Alecia sogar unwissend in ihre Wohnung gelassen hatte. Nun wurde ihr übel beim Gedanken daran, der skrupellosen Vampirin unwissend gegenüber gesessen zu haben.
Sie spürte Lucas' Blick auf sich ruhen und sah auf. Als ihre Blicke sich trafen, war es plötzlich wie damals. Nein, es war die ganze Zeit über so gewesen. Auch als sie nicht wusste wer er war, hatte irgendetwas sie zu ihm hingezogen. Sie wollte ihm nah sein und ihn berühren. Sie wollte .... Juliana unterbrach ihren Gedankengang und wich unmerklich zurück. Doch natürlich war es Lucas wachsamen Auge nicht entgangen.
»Was ist? Du weißt doch, dass du keine Angst vor mir haben musst.«
Er musterte sie und sie glaubte einen Hauch von Enttäuschung in seinen Augen zu erkennen.
»Das habe ich auch nicht«, versicherte sie deshalb schnell. Sie wusste, dass Lucas ihr niemals etwas antun würde. Er hatte sie damals immerhin gerettet. Ebenso wie Jamie. Und genau da war das Problem. Sie nahm eine Berührung an ihrem Oberarm wahr und als sie ihren Kopf zur Seite drehte, saß Lucas dicht neben ihr, sodass sich ihre Körper hauchzart berührten. Sie wollte von ihm weg rücken, doch ihm gleichzeitig noch so viel näher sein. Also tat sie einfach gar nichts und hoffte, dass dieses Kribbeln, welches ihren gesamten Körper übernommen hatte, von selbst verschwinden würde.
»Ich habe dich vermisst«, ertönte es neben ihr und Lucas machte es ihr wirklich so schwer, stark zu bleiben.
»Du konntest dich doch gar nicht an mich erinnern«, konterte sie.
»Ich habe dich aber trotzdem vermisst. Da war dieses seltsame Gefühl, so als würde etwas fehlen. Hast du es auch gespürt?«
»Ich ...«, Juliana wusste nicht was sie sagen sollte. Ein schlechtes Gewissen machte sich breit. Sie hatte sich doch nicht an Lucas erinnert ... Und dann war da noch Jamie. Wusste Lucas überhaupt von ihr und Jamie?
Lucas sah sie abwartend an, bemerkte dann aber, dass sie ihm eine Antwort schuldig bleiben würde. Ein verzweifeltes Lachen entwich ihm. »Es ist wegen Jamie«, sagte er dann. Eine ganze Weile herrschte Stille, bis Lucas plötzlich aufsprang und sie mit weit aufgerissenen Augen anstarrte.
»Das kann nicht sein ...«, faselte er und sah sie fassungslos an, »Als ich letztens bei dir war, hat eine gewisser Jamie, an deiner Tür geläutet. Heißt das etwa... Heißt dass, ihr konntet euch noch aneinander erinnern?«
Er wirkte geschockt, verzweifelt und fassungslos und er tat Juliana leid. Sie stand auf und griff nach seiner Hand.
»Nein. Wir konnten uns nicht aneinander erinnern.«
»Aber... Wie ...«
Sie konnte die Fragezeichen in seinem Gesicht erkennen.
»Wir haben uns per Zufall getroffen. Ich wusste bis heute nicht, dass ich Jamie bereits vorher kannte.« Sie musste leicht lachen und hoffte, dass Lucas es nicht falsch verstehen würde. Das Ganze war doch wirklich kurios. Jamie und sie hatten wieder zueinander gefunden, ohne das sie sich erinnerten. Damit hatte sicherlich niemand gerechnet. Sie fragte sich, ob Jamie sich auch erinnern würde.
Eine Hand schloss sich um ihr Handgelenk und natürlich konnte es nur Lucas sein. Er zog sie an sich, sodass sich ihre Körper berührten, dann sah er auf sie herab, »Es ist unfair.«
Sie wollte gerade fragen, was er meinte, doch ihre Worte wurden erstickt, als er seine Lippen auf ihre presste und sie küsste. Sie wollte ihn von sich stoßen, doch wie auch damals, war sie zu schwach, um ihm zu widerstehen. Deshalb schloss sie ihre Augen und schlang ihre Hände um seinen Hals, als er den Kuss intensivierte.
Plötzlich - und viel zu früh - ließ er von ihr ab. Sein Blick ruhte für einen Augenblick auf ihren Lippen, die sicherlich geschwollen sein mussten.
»Es ist unfair, dass Jamie dich trotzdem bekommen hat«, sagte er dann und beendete den Satz den Juliana schon fast wieder vergessen hatte.
DU LIEST GERADE
Mondlicht Erinnerung
VampireAls Juliana sich zum ersten Mal mit dem attraktiven Jamie trifft, kommt es ihr vor als würden sie sich schon ewig kennen. Sie fühlt sich wohl in seiner Gegenwart und ihm scheint es ähnlich zu gehen. Trotzdem ist da auch noch ein anderes Gefühl, dass...