Kapitel 36

722 38 7
                                    

Wie jeden Morgen weckt mich das schreckliche Piepsen meines Weckers. Ich öffne langsam meine noch schweren Augen und stelle diesen kaum auszuhaltenden Ton ab.

Ich überlege wirklich jeden Tag, einen etwas angenehmeren Weckton einzustellen, da es wirklich jeden Morgen eine Qual ist, so aufzuwachen. Aber er erfüllt seinen Zweck. Würde ich einen erträglicheren Ton wählen, würde ich eventuell verschlafen.

Es ist Mittwoch. Das heißt, es ist schon fast eine Woche her, seit ich mit Leo gesprochen habe. Seit dem hoffe ich jeden Tag inständig, dass er sich endlich meldet.

Ich konnte schon vorher kaum an etwas anderes als Ufuk denken. Aber seit ich so viel neues über ihn erfahren habe, denke ich wirklich 24/7 an ihn.

Ich muss mit Ufuk reden, unbedingt.

Ich stehe langsam auf und gehe in's Badezimmer, um mich fertig zu machen. Da ich kurzerhand beschlossen habe, heute ungeschminkt zu gehen, bin ich schon nach einer knappen halben Stunde mit allem fertig.

Ich hätte es eh nicht geschafft, mich noch zu schminken.

Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich erst in zehn Minuten los muss. Also noch ausreichend Zeit für eine Zigarette.

In den letzten Tagen, genau genommen seit letztem Freitag, rauche ich wesentlich mehr als normalerweise. Das liegt hauptsächlich daran, dass ich fast jede Nacht wach liege und so sehr ich es auch versuche, nicht einschlafen kann. Meistens weiß ich mit all der Zeit, die ich dadurch habe, nichts besseres anzufangen, als zu rauchen.

Nachdem ich aufgeraucht habe, drücke ich die Zigarette am Aschenbecher aus und stehe auf. Ich schnappe mir meine Tasche und mach mich auf den Weg.

Im Büro angekommen, muss ich feststellen, dass ich ganz alleine bin. Es ist zwar noch sehr früh, aber mindestens Pablo müsste eigentlich schon da sein.

Wer weiß, er kommt wahrscheinlich bald. Ohne mir noch weiter Gedanken über Pablo's Abwesenheit zu machen, gehe ich zu meinem Schreibtisch und setze mich hin.

Während ich den Laptop starte, bemerke ich einen kleinen aus einem Notizbuch herausgerissenen Zettel.

»Musste los, meine Tochter aus dem Kindergarten abholen und zum Arzt bringen. Du rockst das Ding erstmal alleine.«, steht auf dem Zettel in einer sehr verschmierten, unordentlichen Handschrift geschrieben. Der Zettel kann nur von Pablo sein. Der Mann ist wahrscheinlich der einzige Mensch auf Erden, der noch unordentlicher ist als ich.

Ehrlich gesagt, begrüße ich es im Moment auch wirklich, allein zu sein.  Pablo kennt mich. Er merkt, wenn etwas nicht stimmt. Er hat mich schon die letzten Tage mit Fragen bombardiert. Ein Tag, an dem ich mich seinen Polizei-ähnlichen Vernehmungen nicht stellen muss, kommt da sehr gelegen.

Nach ungefähr zwei Stunden, die ich mit der Arbeit verbracht habe, beschließe ich mir eine kurze Pause zu genehmigen. Gut, eigentlich habe ich mich kaum mit meiner Arbeit beschäftigt, da ich mich nicht mal fünf Minuten auf eine Sache konzentrieren konnte, aber ich hab es zumindest versucht.

Ich stehe auf, verlasse das Büro und mache mich auf den Weg nach draußen.

Endlich an der frischen Luft. Eigentlich bin ich viel lieber drinnen, statt draußen. Aber es gibt Momente, wo ich mir nichts schöneres vorstellen kann, als einfach draußen an der frischen Luft zu sein. Es hilft mir um den Kopf frei zu bekommen.

Die Verkehrsgeräusche der wirklich rund um die Uhr belebten Berliner Straßen, die mich, wenn ich sie in meiner Wohnung höre, normalerweise zur Weißglut bringen, klingen auf einmal wie Musik in meinen Ohren.

Ich zünde mir eine Zigarette und laufe ein wenig durch den Hinterhof des Bürogebäudes.

Ich weiß nicht wie lange ich jetzt einfach nur durch die Gegend gelaufen bin, da ich mein Handy oben gelassen habe und somit die Uhrzeit nicht checken konnte.  Aber egal wie lange es war, ich fühle mich definitiv besser.

Noch ein letzter Atemzug, dann betrete ich wieder das Innere des Gebäudes.

Wieder im Büro angekommen, bemerke ich, dass ich nicht mehr alleine bin. Pablo's Rucksack steht an seinem üblichen Platz.

Gerade als ich wieder auf meinem Stuhl Platz nehme, höre ich ein dumpfes Geräusch aus meiner Tasche, das sich nach meinem Klingelton anhört.

Das könnte Leo sein!

Sofort greife ich nach meiner Tasche und wühle mein Handy heraus.

Eine unterdrückte Nummer ruft mich an. Bitte Gott, sorg dafür, dass es Leo ist, der mich anruft.

“Hallo?“, nehme ich den Anruf entgegen.
“Julia? Hier ist Leo. Ich hab wahrscheinlich meine Nummer noch unterdrückt, sorry.“, Danke! Wäre Pablo nicht in unmittelbarer Nähe und könnte jede Sekunde rein platzen, würde ich jetzt irgendeinen dämlichen Freudentanz aufführen.

“Ich hab eine gute und eine schlechte Neuigkeit für dich.“, höre ich Leo am anderen Ende der Leitung.
“Ja?“, frage ich zögernd.
“Welche willst du zuerst hören?“, fragt er.

Ich überlege kurz. Im Endeffekt nimmt es sich nicht viel. Ich werde in jedem Fall beide Nachrichten erfahren.

“Die gute zuerst.“, meine ich schließlich.
“Du könntest Ufuk heute treffen.“ Wieder könnte ich einen Freudentanz aufführen, wäre Pablo nicht hier.
“Und die schlechte?“, frage ich nun.
“Du müsstest sofort kommen.“, sagt er, woraufhin das Lächeln in meinem Gesicht wieder verschwindet.
“Wieso ausgerechnet jetzt?“, frage ich seufzend.
“Weil ich Ufuk jetzt gerade endlich aus dem Studio bekommen habe. Wenn wir jetzt noch ewig hier sitzen und nichts tun, wird er Stress machen und wir werden wieder gehen. Also jetzt oder nie, Julia.“, erklärt er.

Scheiße! Die ganze Zeit warte ich sehnsüchtig, dass Leo sich endlich meldet. Nun ist es so weit und das mögliche Treffen mit Ufuk ist ausgerechnet jetzt, wo ich eigentlich arbeiten muss.

Pablo ist kein strenger Chef und wenn ich fragen würde, würde er mich sicher auch gehen lassen. Aber er würde logischerweise auch nach Gründen fragen. Den wahren Grund kann ich ihm kaum sagen. Und eine Lüge... Ich bin wirklich kein guter Lügner. Pablo würde mir sofort auf die Schliche kommen.

“Wo seid ihr denn überhaupt?“, frage ich Leo nun.
“Wir sind in einem Park, ich schick dir unseren Standort. Kannst du es irgendwie einrichten?“, fragt er.
“Ja, ich komme.“, antworte ich.
“Sehr gut! Bis gleich.“, verabschiedet er sich.

Ohne noch etwas zu sagen, lege ich auf.

Mist! Und wie soll ich da jetzt bitte hinkommen? Ich meine, ich kann ja nicht einfach abhauen. Oder etwa doch?

Ich kann Pablo weder hören, noch sehen. Jetzt wäre meine Chance.

Ohne auch nur noch eine Sekunde darüber nachzudenken, greife ich nach meiner Tasche und stürme aus dem Büro.

Jetzt muss ich nur noch so schnell wie möglich zu diesem Park kommen.
______________________________________
Hoffe es gefällt euch! ❤💎

Neue alte Zeit| Ufo361 FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt