Prolog

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Das Leben ist nicht fair. Das war es noch nie und das wird es auch nie sein. Es ist auch nicht leicht. Ganz im Gegenteil. Manche lernten diese Tatsache früher als andere. Ich lernte es als ich noch ganz klein war. Ich musste schnell begreifen, dass es in meinem Leben immer jemanden geben würde, der mir ein Bein stellen würde, der nicht wollte, dass ich voran kam. Ich wusste, dass meine Pläne so oder so scheitern würde, dass ich meine Ziele nie erreichen konnte, deshalb hatte ich weder Pläne, Ziele noch Träume. Mein Leben lag in Trümmern und ich wusste ganz genau, dass es rein gar nichts nutze es wieder zusammenzusetzen, weil jemand alles wieder einreißen würde und wenn es nur das Schicksal war, das mir einen Streich spielen wollte.

Es gab nur ein paar Stunden am Tag, an denen ich entspannen konnte, an denen ich abschalten konnte. Und diese paar Stunden würden mir das weiße Pulver auf dem Tisch vor mir verschaffen. Kurz überlegte ich, ob ich das wirklich tun wollte, doch dann verwarf ich den Gedanken es nicht zu tun, denn es war das einzige, was mich momentan noch am Leben hielt. Ich wollte vergessen und wenn auch nur für einen kurzen Augenblick.

Es dauerte ein paar Minuten bis die Wirkung einsetzte und ich endlich loslassen konnte. Manchmal wünschte ich mir, dass ich einfach bei einer Überdosis sterben würde. Dann wäre alles so viel leichter, aber ich wusste, dass ich das meiner Familie, meinen Geschwistern, nicht antun konnte, auch wenn ich es unbedingt wollte. Und es gab manchmal nichts, was ich mir sehnlichster wünschte als endlich zu sterben.

„Sam? Sam! Kannst du mich hören? Bitte sag doch etwas. Sam! Bitte! Bitte, wach auf!", rief jemand direkt in mein Ohr.

„Was?", murmelte ich mussmutig.

„Steh bitte auf, Sam. Papa kommt gleich nach Hause. Komm schon.", sagte mein Bruder verzweifelt.

Er zehrte an meinem Arm und versuchte mich dazu zu bewegen, aufzustehen.

„Komm schon, Sam. Du weißt doch wie sehr er es hasst, wenn du Drogen nimmst."

Ich drehte mich um und stöhnte leise. Ich wusste wie sehr er es hasste, denn er war Polizist und hasste es unbändig, wenn jemand seinem Ruf schadete. Nicht, dass er selbst viel davon mitbekam, denn er war seit dem Tod meiner Mutter kaum mehr Zuhause und kümmerte sich auch absolut nicht um uns. Von meiner Drogenabhängigkeit bekam er nur durch die örtlichen Medien Wind, denn mein Bruder war unglaublich fürsorglich und ängstlich wenn es um mich ging und hatte, als er mich das erste mal so fand, sofort den Krankenwagen gerufen. Am nächsten Tag war der Vorfall mit Bild auf der Titelseite der Zeitung und mein Vater war so sauer wie nie gewesen. Er hatte geschrien und mich geschlagen. Das hatte er seit dem Tod unserer Mutter oft getan.

Sie war vor zehn Jahren erschossen worden und obwohl ich damals erst sieben gewesen war, konnte ich mich noch so unglaublich genau an damals erinnern, dass ich jede Nacht Albträume davon bekam. Ich sah das Gesicht ihres Mörders vor meinem inneren Auge, sah ihn immer und immer wieder den Satz sagen bevor er abdrückte.

„Das ist die Rache für die Taten ihres tollen Mannes."

Ich konnte mich genau daran erinnern, wie ich damals nicht verstand, was genau er meinte und ich dann später erfahren hatte, dass mein Vater ihn festgenommen und ins Gefängnis gebracht hatte, obwohl er unschuldig war.

Manchmal war ich mir nicht sicher, ob mein Vater sich Vorwürfe machte, dass meine kleine Schwester, mit der meine Mutter damals schwanger gewesen war, wegen ihm behindert war. Ich wusste nicht, ob es ihm bewusst war, dass es seine Schuld war, dass Riley, mein großer Bruder, vor jedem Angst hatte, der ihm zu nahe kam und den er nicht kannte. Ich fragte mich, ob er wusste, dass es seine Schuld war, dass ich Drogen nahm, denn als wir ihn alle am dringendsten gebraucht hätten, war er nie da gewesen.

Eine Zeit lang hatte ich versucht seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Irgendwie. Indem ich ihm Bilder malte, Sachen bastelte und später dann indem ich mich in der Schule schlug, schlechte Noten schrieb und Ärger machte. Er verstand es nicht. Er hörte meinen Hilfeschrei nicht und machte die Sache stattdessen noch viel schlimmer. Denn er hätte helfen sollen, er hätte da sein sollen, doch stattdessen ging er weg, schlug mich und schrie mich an, was für ein schrecklicher Sohn ich sei und dass meine Mutter sich für mich schämen würde, wenn sie noch am Leben wäre.

Anfangs verletzten mich seine Worte, dann machten sie mich wütend. Lange war ich auf ihn wütend. Er war es ja, der zuschlug und mich anschrie, doch irgendwann richtete sich dieser Zorn gegen den Mann, der wirklich für das alles verantwortlich war. Ich war wütend auf den Mörder meine Mutter, der unsere Familie zerstört hatte. Jetzt wünschte ich mir einfach nur, dass er wusste, was er getan hatte. Ich wollte, dass er diesen unglaublichen seelischen und körperlichen Schmerz spürte, den ich gefühlt hatte und immer noch fühlte. Ich wollte, dass er litt und dass er starb und ich wollte es selbst tun. Mein einziger Wunsch war diesen Mann umzubringen und danach mein eigenes Leben zu beenden, denn ich konnte und ich wollte nicht mehr.

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Tod, Drogen und die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt