16. Kapitel

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Ich wischte schnell meine Tränen weg und richtete mich auf. Die ganze Geschichte machte auch mir zu schaffen. Alles um mich herum war unwirklich geworden, die Zeit schweifte lautlos an mir vorbei.

Ich machte den ersten Schritt, der für mich unendlich schwer schien. Langsam machte ich mich auf den Weg zwischen die hohen Bäume, die den dichten Wald bildeten. Miles' Knöchel war schließlich immer noch verstaucht und das würde sich auch nicht ändern. Einen Stock als Stütze hatte ich ihm schon gegeben. Ich suchte nach kaltem Wasser, damit sein Knöchel gekühlt werden konnte. Und nach ein paar Minuten fand ich auch schon einen kleinen Bachlauf: Er floss in einer Senke im Boden und war nur ein schmales Rinnsal. Aber es genügte; ich holte ein dünnes Schaltuch aus meiner Tasche und hielt es in das Bächlein. Dann bewegte ich mich wieder zu Miles und Frank.

Ich hörte mein dumpfes Geraschel, den Tritt meiner Schritte - aber dann kam plötzlich noch ein sehr dünnes, definiertes Geräusch dazu. Ein Atmen.

Sobald ich es identifiziert hatte, rannte ich los. Ich bog aus dem Wald raus, zu Miles und Frank. Sie hatten beide Tränen in den Augen und sahen mich verwundert an. Ich band das Schaltuch fest um Miles' Knöchel, womit er gekühlt und leicht gestützt sein sollte. Schnell drückte ich ihm den Stock in die Hand und zog ihn hoch. "Sie sind ganz in der Nähe.", war meine einzige Begründung. Frank riss die Augen auf und versuchte, Miles zu stützen, damit wir schneller voran kamen. 

"Na, Frank? Auch wieder da?", höhnte plötzlich eine Stimme hinter uns. Wir drehten uns geschockt um und starrten einen kleinen Mann an. Er hatte ein dickliches Gesicht und seine faltigen Wangen hingen schlaff herunter. Er hatte kurze Beine und kleine Füße und Hände. Sein braunes Haar war kurz geschoren, der Ansatz weit hinten am Kopf. Seine stechend grünen Augen waren von dunklen Augenringen und zusammengezogenen Brauen umrahmt. Aber sein hämisches Grinsen war ein starker Kontrast zu seinen grimmigen, kleinen Augen.

Das alles sah sehr beängstigend aus, aber es gab etwas, das mir noch mehr Angst machte. Seine Uniform - schwarz, mit dem aufgestickten Zeichen am Arm. Einen Unterschied hatte sie aber zur Uniform der Mörder-Sekte: Die Manschettenknöpfe waren golden. Eine ebenfalls goldene Kordel schlängelte sich um seinem Kragen.

"Du dachtest wohl, du würdest mir entkommen! Aber falsch gedacht!", seine Stimme war laut und erfüllte die Luft mit einem kalten Klang.

"Roy, lass es! Ich habe nichts getan!", sagte Frank eindringlich. Der Dicke heißt anscheinend Roy... Kennt Frank ihn aus der Sekte?

"Du hast nichts getan?!", schrie er. "Du hast deiner lieben Nichte davon erzählt! Sie hätte uns auffliegen lassen können!"

"Ich bitte dich, Roy! Das war kein Grund, sie zu töten! Du würdest auch lieber ein normales Leben führen. Du hast es mir versprochen. Du hast versprochen, du würdest den Traum einer Familie nie aufgeben. Ich wollte dich auf die richtige Bahn bringen, indem die Sekte aufgelöst wird. Als meinen Bruder solltest du auf mich hören."

Bruder?!

"Helfen? Du hättest mich hinter Gitter gebracht..."

"Wo du vielleicht zu Sinnen gekommen wärst!", unterbrach ihn Frank.

Aber darüber lachte Roy nur. "Deine Entscheidungen haben nun schon zwei Leuten das Leben gekostet und du lernst immer noch nicht daraus!"

Aus Franks Augen glitzerten traurige Tränen. Aber in seinem kalten Blick wirkten sie nur wie Glätscher, die eine noch härterere Schale um seine Seele schlossen.

"Du dachtest, die Sekte bringt dir Geld und anfangs wollte ich mitmachen, denn es ging darum, die Welt besser zu machen. Aber es hat sie nur böser gemacht! Es geht euch nicht mehr um Geld, sondern um Spaß am Töten!"

Aus Roy brach ein abschätziges Lachen heraus. "Es geht hier nicht um Spaß, Frank! Die Sache ist viel ernster. Es geht um Macht, aber das hast du bis heute noch nicht verstanden. Dass nun die Leute, die wir ausschalten, nicht zu den 'Guten' gehören, dafür können wir nichts. Aber jetzt gibt es nunmal kein zurück mehr! Und wer von uns erfährt, passt uns nicht ins Konzept, denn er könnte uns verraten und um den kümmern wir uns dann. Wir können uns Fehler nicht leisten. Und Verräter auch nicht!", er sah Frank vielsagend an. "Du hättest dazugehören können. So wie ich.", seine Stimme troff nach leiser Enttäuschung. "Dein Enkel und Amy müssen jetzt sterben. Und du bist Schuld!" Er machte einen Schritt auf uns zu - einen für seine Größe ungewöhnlich riesigen Schritt, der bei dem kleinen Männchen wie ein lauernder Satz eines Partners wirkte.

"Unsere Sekte hat mehr macht als du denkst. Wir haben einen Teil der Regierung auf unserer Seite. Leider nur den schwachen, aber es ist genug, um so weiterzumachen." Er grinste triumphierend und reckte stolz das Kinn. "Und das werde ich mir von dir nicht zerstören lassen! Und auch nicht von der Tochter deiner Nichte!"

Er sah mich eindringlich an, und auf einmal verstand ich gar nichts mehr. "Meine Nichte hatte keine Kinder.", erwiderte Frank trocken und kalt.

"Du weißt das nicht? Amy ist ihre Tochter! Sie hat mit angesehen, wie ihre Mutter starb und jetzt wird sie auch noch mit ansehen, wie ihr Großonkel stirbt."

Das musste ich erst einmal verarbeiten. Er ist also mein Großonkel. Und warum wusste ich das nicht? Warum habe ich ihn nicht früher kennengelernt? Warum hat meine Mutter ihn nie erwähnt? Und vor allem: Warum hat er mich nicht wiedererkannt?!

                               ***

Das war viel auf einmal :D Ich weiß, es kommt spät, aber ich war lange nicht auf meinem Account... Ich hatte mein Passwort vergessen, tut mir leid :/

Ich hoffe, es gefällt euch trotzdem :)

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