10. Kapitel

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Wir rannten, bis wir an ein großes Rapsfeld kamen. Der Raps war schon hoch geschossen und blühte gelb in aller Pracht. Ich wurde langsamer, aber Miles rannte geradewegs in das Feld. Er hatte Recht- darin würde man uns am wenigsten suchen. Ich setzte mich wieder in Bewegung und schlug mich durch die hohen Pflanzen. Sie ragten mir bis über den Kopf und auch Miles' Größe schlugen sie locker. Dieser war ruckartig vor mir stehen geblieben und schaute mich an. "Was?", fragte ich verwirrt. Er deutete wortlos auf meinen Arm und zog mich dann weiter. Wir stiefelten am Ende des Felds und Miles suchte nach einem Bach. "Was willst du denn dort?", ich war immer noch irritiert. Als er einen gefunden hatte, tauchte er seine Hand hinein und legte sie dann ohne Vorwarnung auf meine Wunde. Ein leiser Schrei entfuhr mir, doch Miles nahm noch mehr Wasser und säuberte meinen Arm. Während er Breitwegerich holte, setzte ich mich auf einen Stein. Wegerich war heilungsfördernd und blutreinigend und daher gut für Wunden wie meine. Miles kam wieder, legte die Wegerichblätter an meinen Arm und drückte sie leicht an. Ich biss mir auf die Lippe und fluchte leise. Es tat sehr weh und die Schmerzen durchfuhren meinen ganzen Körper. Aber es ging eben nicht anders, als die Wunde zu säubern.

Miles war fertig und lief einfach wieder los. Aber ich hatte noch viele Fragen an ihn. "Warte, Miles!", sagte ich laut. Vielleicht zu laut, vielleicht hatte es jemand gehört! Er drehte sich fragend um. "Was denn?" Jetzt bewegte ich mich zu ihm und stellte mich vor ihn. "Was hast du mit dieser Sekte zu tun?" Ich hatte natürlich noch mehr Fragen, aber ich konnte jetzt nicht alle stellen. Er sah nachdenklich zu mir hinunter, drehte sich dann um und ging. Hab' ich irgendwas falsches gesagt? Wahrscheinlich, denn Miles ließ mich einfach hier. Doch das ließ ich nicht zu. Ich rannte ihm nach und hielt ihn am Arm fest. "Was soll das? Warum sagst du es mir nicht einfach?" Ich bekam ein wenig Angst, vielleicht ist es etwas, das man verheimlichen sollte... Etwas gefährliches... Er sah traurig aus und schaute mir in die Augen. "Ich will nicht, dass dir etwas passiert.", erklärte er. So ein Quatsch! Mir war schon längst etwas passiert. "Ich habe schon einiges erlebt. Ich kann das verkraften!" Miles atmete tief durch und versuchte dann, es zu erklären: "Naja... Also... Es ist eben eine lange Geschichte, wir haben dafür keine Zeit!" Er war etwas verärgert, aber auch unsicher und zerbrechlich. Ich setzte mich auf einen bemoosten Stein und stützte mein Kinn in eine Hand. Es dunkelte lansam und die Sonne wurde von Wolken versteckt. "Erzähl es mir! Für meine Geschichte hatten wir auch genug Zeit." Er seufzte und setzte sich, wenn auch zögerlich, neben mich. Dann begann eine wirklich lange Geschichte: "Mein Großvater war in dieser Sekte, irgendwo in der Mittelschicht. Aber dann ist er verschollen und ich habe ihn bis jetzt nie wieder gesehen. Dann musste mein Vater in die Sekte und als nächstes wäre ich dran. Aber mein Vater wurde von dieser Sekte umgebracht, weil er bei einem 'Einsatz' Mist gebaut hatte. Ich weiß nicht, ob sie mich als zusätzliche Rache auch töten oder noch in der Sekte haben wollen. Auf jeden Fall würde es für mich kein gutes Ende nehmen. Und für meine Freunde auch nicht..." Das musste ich erstmal verdauen. Miles hatte so viele schlimme Dinge erlebt wie ich und war trotzdem oft so fröhlich. Er wusste anscheinend nicht, dass das die Mörder meiner Mutter waren. "Miles, das ist die Sekte, die meine Mutter ermordet hat!" Er sah mich nachdenklich mit großen Augen an. Dann stand er plötzlich auf und schlurfte vor mir hin und her durch die Blätter und Nadeln, die auf dem Waldboden verstreut waren. "Warum haben sie sie getötet?", fragte er schließlich, ohne mich anzugucken. Ich überlegte.

-Flashback-

Die Hände auf den Rücken gebunden, stand ich da. Ich wurde von einem großen uniformierten Mann festgehalten. Tränen liefen mir über die Wangen, mein Körper war starr. Der Mann band meine Fesseln auf und schubste mich in einen kleinen Raum. Dort saß Mom, angebunden an einem Stuhl. Ein Uniformierter hielt ihr ein Messer an den Hals und lachte mich bedrohlich an. "Mom!", rief ich und wollte zu ihr rennen, aber sie entgegnete:"Nein, Amy! Bleib da!" Ich drückte mich nickend gegen die Stahlwand. "Deine Mommy weiß etwas, Amy. Sie hat von einem Einsatz gehört. Deshalb müssen wir sie umbringen und du guckst zu! Und dann bist du auch dran!" Mein Blut gefror und mein Kopf fühlte sich an, als würde er gleich zu tausenden Stücken zersplittern. Der Mann erhob die Klinge und ließ sie auf den Hals meiner Mutter sausen. Das letzte, was ich von meiner Mutter hörte war:"Lauf, Amy!" Ich schrie leise auf und mein Gesicht wurde von Tränen überspült. Ich riss mich aus der Starre und rannte aus der Tür, die der große Mann dummerweise offen gelassen hatte.

Ich hörte Befehle hinter mir, schlich aber trotzdem den dunklen Flur entlang. Ich hörte ein Knarren hinter mir. Ich drehte mich um, aber da war niemand. Voller Verwirrung und Angst riss ich eine nebenstehende Tür auf und stolperte hinaus in die Kälte.

-Flashback Ende-

Als ich Miles genau von allem erzählt hatte, weiteten sich seine Augen. "Frank ist an allem schuld...", murmelte er. Frank... der Name kam mir bekannt vor. Genau, der Mann, der mich nach Vancouver geflogen hatte, hieß Frank. Aber es war nicht nur das... "Was hast du gerade gesagt?" Miles sah auf und schüttelte den Kopf, aber nach einem drängenden Blick meinerseits sprach er: "Frank ist an allem schuld. Mein Großvater, er hieß Frank." Ich überlegte fiebernd. Dann beschloss ich, ihn mit 'einzuweihen'. "Mich hatte ein Mann nach Vancouver geflogen. Er hieß auch Frank. Aber der Name erinnert mich nicht nur an ihn..." Miles zuckte die Schultern: "Den Namen Frank gibt es doch oft! Er hat dich ja wohl nicht mit einer alten, roten Maschine geflogen." Doch, das hatte er! Aber das konnte doch nicht sein! "Doch mit einem kleinen, alten, zerbeulten Flieger!" Miles sah ruckartig auf. Dann wühlte er in seiner Tasche und zog eine kleine Schachtel mit Zahlenschloss hervor.  Er drehte die kleinen Rädchen und faltete ein Papier, aus dem Inneren der Schachtel, auf. Er gab es mir und ich erkannte Frank. Der Frank, der mich geflogen hatte. Und komischerweise kam er mir jetzt noch bekannter vor. "Das ist er.", bestätigte ich Miles. Der verschloss das kleine Foto wieder in der Schachtel und steckte sie tief in die Tasche. "Verrückt...", flüsterte er und schaute zum aufgehenden Mond. "Aber jetzt sollten wir uns ein 'Nachtlager' suchen!" Und das taten wir dann auch...

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Hallo :) Ich habe mir bei dem Kapitel viel Mühe gegeben und ich hoffe, es ist mir gelungen. Wenn es euch gefällt, lasst doch ein Vote oder Kommentar da ;)

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