Kapitel 3 - Das Erwachen

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Ilianas Sicht

Als ich aufwachte, lag ich auf der Couch in unserem Wohnzimmer. Ich blickte mich um und sah dort einen Fremden auf dem Sessel schlafen. Nein, halt, er war nicht fremd, jedenfalls nicht ganz fremd, denn ich erinnerte mich wieder an gestern Abend. Ja, das hätte ich vielleicht mal bleiben lassen sollen, denn der Anblick dieser Dinger war nicht gerade das, was man so früh am Morgen sehen wollte. Ich setzte mich auf und schwankte dabei etwas. Hmm, ich habe anscheinend gestern zu viel Kraft verbraucht. Und das Beste ist, ich weiß noch nicht einmal, wofür genau. Klar, ich wusste zwar, dass ich daran schuld war, dass diese Viecher sich gegenseitig angegriffen haben, aber was genau ich gemacht hatte, wusste ich nicht.

Ich habe irgendwann in der 8. Klasse gemerkt, dass ich andere Leute manipulieren kann. Ich hatte nämlich gedacht, dass ich bei einer Klassenarbeit eine Aufgabe richtig hätte, deswegen bin ich dann zum Lehrer gegangen und habe ihm die Aufgabe noch einmal vorgelegt. Ich war total überzeugt, dass ich Recht hatte. Der Lehrer hat einfach den Stift genommen, seine Korrektur durchgestrichen und mir die volle Punktzahl gegeben. Das hatte dann auch die 3 zu einer 2 gemacht. Als wir dann zu Hause die Berichtigung anfertigen mussten, merkte ich, dass ich doch Unrecht hatte. Ich wunderte mich, wieso der Lehrer das einfach so geändert hatte, deshalb versuchte ich das Gleiche noch einmal bei dem nächsten Test, bei einer anderen Lehrerin. Nur dieses Mal gab ich einen Test ab, auf dem lediglich mein Name stand. Als ich den Zettel vorne bei der Lehrerin abgab, sagte ich zu ihr, dass ich bestimmt alles richtig hatte und dachte fest daran. Als wir den Test einige Tage später zurückbekamen, stand oben drauf ein "sehr gut". Ich hatte ein leeres Blatt abgegeben und hatte dafür eine 1 bekommen!

Ich wollte aufstehen und in die Küche gehen, stieß dabei jedoch an den blöden Tisch, der vor dem Sofa stand. Der Typ von gestern schreckte sofort auf. Er kam schneller, als ich sehen konnte, zu mir und zog mich auf das Sofa zurück. Zum Glück muss man sagen, denn vermutlich wäre ich auf den Boden geknallt, weil ich kurz davor war, mein Gleichgewicht zu verlieren. „Danke", murmelte ich. Sein Gesichtsausdruck wurde sanfter und er sagte: „Das ist ja wohl das Mindeste, was ich machen kann, immerhin hast du mich da vor dem sicheren Tod bewahrt." Er wirkte trotz des sanften Gesichtsausdrucks noch abweisend und kühl. Aber das Kerlchen konnte sich sehen lassen, ich glaube sogar, dass er der schönste Anblick war, den ich schon seit Langem hatte. Er hatte dunkelbraunes Haar und solch schöne braune Augen, in denen man sich einfach nur verlieren konnte - na ja, bis mein Blick weiter runter zu seinem Hals fiel, den ich einfach nur anstarren konnte. Normalerweise hatte einfach jeder einen Ring um den Hals, also nicht so einen richtigen Ring, sondern einen, den irgendwie nur ich sehen konnte. Diese Ringe sahen so aus wie Tattoos. Aber der Typ vor mir, er hatte keinen, nichts, gar nichts. So etwas hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen. Ich wusste zwar selbst nicht, was dieser Ring zu bedeuten hatte, aber ich wusste, dass jeder einen hatte - also mal abgesehen von ihm. Ich wurde von einem Räuspern aus meiner Trance gerissen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich mit der Hand über den Hals des Typen strich. Ich ließ die Hand sofort fallen und sah beschämt zu Boden (oder in diesem Fall zum Sofa).

Einen Moment lang sagte niemand etwas, bis ich dann das Schweigen brach. Ich linste etwas zu ihm hinauf: „Ja, also, mein Name ist Iliana, und wie ist deiner?" „Kyrie", sagte er kurz angebunden. Ich wollte aufstehen, doch Kyrie hielt mich auf. „Wo willst du hin?" „Ich will nur in die Küche, um etwas zu trinken zu holen", sagte ich beschwichtigend. Er nickte und sagte: „Ist schon okay, ich hole dir etwas. Du solltest noch nicht aufstehen, nach dem, was du gestern getan hast." Jetzt war ich diejenige, die ihn festhielt. „Weißt du etwas darüber, was ich gestern getan habe?", fragte ich hoffnungsvoll. Er ließ sich wieder zurück auf die Couch fallen und sagte: „Ja, ich weiß, was du getan hast, und ich weiß, was du bist."

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