17. Türchen

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In den nächsten Tagen war ich dank der Klausurphase sehr beschäftigt und hatte gar keine Zeit, mich mit dem Liebeskummer auseinander zu setzen.

Ich hatte den Pulli und die Jogginghose, die er mir geliehen hatte, als wir bei ihm gebackt hatten und die Sache etwas eskaliert war, in die Tiefen meines Schrankes verbannt, damit sie mir nicht aus Versehen in die Hände fielen.

Mia, Elsa und Niko hatten mir nichts davon erzählt, dass sie sich rächen wollten, doch das war nicht weiter verwunderlich. Ich hatte sowieso nicht damit gerechnet, dass sie es mir erzählen würden.

"Hanna, hast du zugehört?" Elsa sah mich besorgt an. Sie dachte wohl, ich würde depressiv werden.

Dabei saß ich ganz normal mit ihnen an unserem Stammtisch in der Mensa und lachte über unsere schlechten Witze. Nein, ich war nicht depressiv.

Um das zu beweisen, setzte ich ein Lächeln auf. "Nein, ich war gerade mit meinen Gedanken woanders."

"Wir hatten überlegt, in den Sommerferien zusammen in den Urlaub zu fahren", sagte Mia.

Mein Lächeln wurde breiter. "Das ist eine tolle Idee! Wo geht es hin?"

"Das müssen wir noch überlegen", gab Elsa zu. Sie betrachtete ihre Fingernägel und ich wusste, dass ihr noch was auf dem Herzen lag. Mia konnte das besser verbergen, doch ihr in die Luftgestarre war ebenso verräterisch.

Ich runzelte die Stirn. "Was ist los? Was verheimlicht ihr mir?"

"Wir verheimlichen nichts", widersprach Mia sofort. "Wir müssen dir nur noch etwas beichten."

Mia und Elsa lieferten sich ein Blickduell, das Mia gewann. Elsa wandte sich seufzend mir zu. Sie sah so entschuldigend aus, dass ich mit dem schlimmsten rechnete.

"Wir hatten überlegt, Jan und Luca zu fragen, ob sie auch mitkommen wollen", sagte Elsa zögernd und sah mich abwartend an.

"Ist doch okay. Wo ist das Problem?", fragte ich verwirrt, weil ich kein Problem sah.

Erneut tauschten Mia und Elsa einen Blick. Dieses Mal sprach Mia.

"Nun ja, du wärst dann so ziemlich das fünfte Rad am Wagen. Wortwörtlich", sagte sie und strich sich nervös die Haare aus dem Gesicht. "To - ich meine, du hast ja keinen Freund und wir wollen nicht, dass du dich unwohl fühlst."

Ich war erleichtert, dass sie seinen Namen nicht ausgesprochen hatte. Und auch wenn ich nachvollziehen konnte, was die beiden mir zu sagen versuchten, war es mir egal, dass ich dann alleine wäre.

"Das ist wirklich kein Problem für mich", versicherte ich ihnen, doch sie schienen mir nicht zu glauben.

"Bist du ganz sicher?", fragte Elsa zweifelnd und Mia hob eine Augenbraue.

"Ganz sicher", sagte ich und lächelte. "Dann kann ich auch besser mit den Einheimischen flirten."

Ich sagte das nur, damit Mia und Elsa mir glaubten, denn in Wahrheit würde ich niemals mit einem Einheimischen flirten. Außerdem hing ich noch zu sehr an Tom.

Mia lachte. "Du bist ja jetzt auch die Flirtexpertin!"

"Ja, genau", sagte ich leise. Sofort kamen die Erinnerungen an den Tag auf dem Weihnachtsmarkt zurück. Die Frauen, die an seinem Stand gestanden und uns beobachtet hatten. Sein alberner grüner Pulli. Seine braunen Augen. Und sein Lächeln, bei dem seine Grübchen sichtbar wurden.

Mia hatte ihren Fehler wohl bemerkt und ruderte sofort zurück. "Tut mir leid, Hanna", sagte sie. "Ich wollte dich nicht- Ich habe nicht- Ich..."

Ich unterbrach schnell ihr Stottern. "Ist schon okay. Ehrlich", sagte ich und lächelte Mia an. Durch das viele Lächeln schmerzten schon meine Gesichtsmuskeln.

Mia sah mich nach wie vor entschuldigend und mitleidig an, doch ich wandte den Blick ab. Ich wollte ihr Mitleid nicht. Ich wollte von niemandem Mitleid. Ich hatte mich von meinem Freund getrennt, mit dem ich sowieso nicht so lange zusammen gewesen war. Mehr nicht. Es war keiner gestorben; sie sollten mal nicht so einen Aufstand machen.

"Ich geh kurz mal auf die Toilette", sagte ich, stand auf und verließ die Mensa. Die Flure waren überfüllt, da der Unterricht bald weiterging, doch ich hatte sowieso noch eine Freistunde.

In der Mädchentoilette schleuderte ich mir kaltes Wasser ins Gesicht, um gegen die aufsteigenden Tränen anzukämpfen. Ich stützte mich mit beiden Händen am Waschbecken ab und betrachtete mein Gesicht.

Meine Augen waren gerötet und ich hatte tiefe Augenringe. Ich aß nicht mehr so viel, weshalb meine Wangen eingefallen waren. Ich war blass, noch blasser als sowieso schon. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich gedacht, ich wäre krank.

Noch einmal wusch ich mein Gesicht, dann trocknete ich die Hände ab und verließ die Toilette. Mia kam mir entgegen.

"Ich wollte gerade nach dir gucken gehen. Wir hatten schon Angst, du wärst ins Klo gefallen", scherzte Mia, doch ich sah ihren Augen an, dass sie wirklich Angst hatten, dass mir etwas passierte.

"Jaah, genau", sagte ich langsam, doch diesmal rang ich mir kein Lächeln ab. Stattdessen lenkte ich vom Thema ab. "Habt ihr schon einen Ort ausgesucht?" Wir betraten die Mensa und setzten uns zu Elsa.

"Es gäbe Schweden, Spanien, Frankreich. Einfach alles", antwortete Mia mir mit leuchtenden Augen.

Wir besprachen die restliche Stunde, wohin wir gerne wollten und Elsa fragte sicher zehnmal nach, ob es für mich wirklich in Ordnung war, wenn Luca und Jan mit kamen.

"Solange ihr gewisse Dinge unter euch lasst, ist mir das egal." Das war meine Standardantwort. Mia lachte, als mache ich Witze, dabei war das wirklich mein Ernst. Ich wollte gewisse Dinge nicht sehen müssen.

Auch wenn ich sagte, dass es für mich okay war, tat es doch weh zu sehen, als Jan und Luca nach der Stunde auf Elsa und Mia zugingen und sich mit ihnen unterhielten. Sie waren so vertraut, dass ich mich unwohl fühlte und schon mal zum Kursraum ging.

Während des Weges versuchte ich möglichst nicht an Tom zu denken, doch genau weil ich das versuchte, dachte ich umso mehr an ihn. Ich schluckte die Tränen herunter.

Ich konnte später zu Hause weinen. Nicht hier vor allen anderen. Noch jemanden, der Mitleid mit mir hatte, konnte ich wirklich nicht gebrauchen. Das machte es für mich nur noch schlimmer und schwerer Tom loszulassen.

Ich hatte immer gedacht, dass Liebeskummer nicht so schlimm sei, doch jetzt wusste ich es besser. Er war schlimm. Viel schlimmer als alles, was in den Büchern stand.

Mir traten die Tränen in die Augen, doch ich blinzelte schnell mehrmals. Ich musste da jetzt durch.

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Dieses Kapitel widme ich Isuqueen20 wegen ihrer vielen Kommentare und Votes. Danke :)

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