Es waren ein paar Tage vergangen, seitdem Tom mir seine Nummer gegeben hatte. Mia und Elsa waren in der Zwischenzeit mehrfach auf dem Weihnachtsmarkt gewesen, doch als sie mich fragten, ob ich mitkommen wolle, hatte ich jedes Mal abgelehnt. Ich wollte einfach das Risiko nicht eingehen, Tom zu begegnen, weil ich ihm immer noch nicht geschrieben hatte.
Ich traute mich nach wie vor nicht ihn anzuschreiben. Mittlerweile hatte er mich bestimmt schon längst vergessen. An seiner Stelle wäre ich mir schon egal geworden. Noch ein Grund, warum ich ihn nicht anschrieb. Wenn ich jetzt erst schreiben würde, dann bräuchte ich eine gute Ausrede, wieso ich ihm erst jetzt schrieb. Also ließ ich es bleiben.
Mia und Elsa hatten mir schon damit gedroht, dass sie demnächst Tom meine Nummer geben würden, doch ich wusste, dass sie das ohne mein Einverständnis nicht wagen würde. Außerdem hatte ich im Moment genug andere Dinge um die Ohren. Klausuren mussten geschrieben, Plätzchen gebacken, Geschenke gekauft und ein Weihnachtsbaum ausgesucht werden.
"Wie wäre es mit dem?", fragte mein Vater und deutete auf einen dunkelgrünen, etwa 2 Meter großen Tannenbaum, der am Zaun etwas weiter weg lehnte.
In meiner Familie holte jedes Jahr mein Vater den Weihnachtsbaum. Paul und ich wechselten uns ab und dieses Jahr war ich dran. Ich hasste es. Mir war es eigentlich vollkommen gleichgültig, welchen Baum wir kauften. Ich fror nur jedes Mal bis auf die Knochen durch.
"Der ist auch schön", sagte ich bloß und starrte desinteressiert die Tanne an.
Mein Vater seufzte. "Hanna, das hast du schon zu den anderen gesagt. Und jede war einzigartig."
Ich verstand nicht, was er meinte. Die anderen Tannen waren etwa genauso groß und grün gewesen. Ich hatte da nicht wirklich einen Unterschied gesehen. Wie auch, wenn es keinen gab?
"Die sahen alle gleich aus, Papa", widersprach ich.
Der Verkäufer, der uns die Tannen zeigte, riss entrüstet die Augen auf. Ich war mir sicher, dass er mich nicht leiden konnte. Seine Haare waren weiß wie Schnee und seine blasse Haut und die eisblauen Augen ließen ihn wie einen Geist wirken. Würde immer noch Schnee liegen, wäre er beinahe unsichtbar. Doch es hatte die letzten zwei Tage geregnet, und aus dem Schnee war Schneematsch geworden.
"Ich muss doch sehr bitten, junges Fräulein", sagte er. Er hatte die Augenbrauen zusammengezogen, und ich wartete nur darauf, dass er mit dem Zeigefinger anklagend auf mich zeigen würde. "Jeder dieser Bäume wurde individuell behandelt und ist, wie Ihr Vater schon sagte, einzigartig. Mit jeder Nadel."
Nur weil mein Vater mich warnend ansah, verkniff ich mir das Lachen. "Wie Sie meinen", sagte ich. "Sie sind hier der Experte."
Misstrauisch sah er mich an. Eins stand fest; Sarkasmus verstand er nicht. "Genau. Ich bin der Experte", sagte er voller Überzeugung und nickte. Sein Nicken erinnerte mich an Wackelkopffiguren und ich wandte mich ab, damit weder der Verkäufer noch mein Vater mein Grinsen sehen konnten.
"Papa, such du einen aus. Ich warte am Auto auf dich", meinte ich.
"Bist du sicher? Dieses Jahr bist du schließlich dran und dann erst wieder in zwei Jahren", sagte mein Vater zweifelnd.
"Damit komme ich klar. Du kannst das sowieso viel besser", erwiderte ich und wandte mich zum Gehen. "Bis nachher."
Hoffentlich brauchte er nicht allzu lange, sonst würden wir noch das Kaffeestündchen zuhause verpassen. Außerdem waren viel zu viele Leute auf der Suche nach dem passenden Baum. Es war einfach nur anstrengend. Überall hörte man Erwachsene diskutieren und Kinder schreien.
Am Auto angekommen kramte ich mein Handy aus meiner Jackentasche. Ich klickte auf den leeren Chat mit Tom und starrte den Bildschirm an. Sollte ich ihm schreiben? Ein einfaches "Hi"? Oder doch etwas anderes? Ich seufzte. Wieso war ich so? Ich packte mein Handy wieder weg und starrte auf den Boden. Beim Thema Jungs war ich einfach mit meinem Latein am Ende.
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Winter Wonderland (Adventskalender)
Novela JuvenilVolle Läden, verbrannte Plätzchen, purer Stress. Das waren die drei Gründe, wieso Hanna die Weihnachtszeit nie genießen konnte. So ist es auch dieses Jahr. Nur dieses Mal kommt es noch viel schlimmer. Sie muss auf einen Weihnachtsmarkt! Und als wär...