Eine Anekdote aus Cellys Leben

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Nein, ich habe mir nicht aus dem Deutschunterricht behalten, was die Merkmale einer Anekdote sind, um diese jetzt getreu dem irgendwann mal Gelernten umzusetzen. Ich hab's nur so genannt weil es schön klingt.

Misstrauisch tritt mein Kater von der einen Pfote auf die andere und wartet vorsichtig auf dem gepflasterten Gehweg, als ich das Auto mit mehreren mühevollen Zügen über den Innenhof manövriere, um es an seinem gewohnten Platz abzustellen. Es ist schon stockdunkel und als ich zurück fahren muss, um das Auto näher an die Kante besagten Gehwegs zu bringen habe ich fast ein bisschen Angst um das Tier. Er hat zugelegt, aber das könnte auch an seinem natürlich Winterfell liegen. Um ihn nicht zu verärgern bemerke ich also, dass er „flauschig“, statt „fett“ geworden ist. Das nimmt er so hin und geht in Richtung seines Futternapfes. Ich für meinen Teil gehe in die exakt andere Richtung, nämlich zur Eingangstür.

Ich komme gerade von einem Malkurs, der einmal in der Woche an einer Oberschule in der nächstgelegenen Stadt stattfindet. Ich bin ziemlich fertig und meine Laune ist auch nicht gerade die beste.
Der Kurs ist, außer mir, voller Menschen die die beste Zeit ihres Lebens schon hinter sich haben und jetzt eine Freizeitbeschäftigung suchen, um ihrem bedeutungslosen Leben so etwas wie einen Sinn zu verleihen.
Ich hatte die nicht ganz so kluge Entscheidung getroffen, meinen Freund als Modell für das Figurzeichnen zur Verfügung zu stellen. Ihn persönlich scheint das aber nicht wirklich zu stören. Die Kursleiterin, eine unbekannte, ursprünglich ungarische Ex-Künstlerin, findet ihn nämlich richtig toll. Ich habe den leisen Verdacht, dass sie ihn ein kleines bisschen zu toll findet. Sie macht ihm jedenfalls ununterbrochen Komplimente und kann anscheinend gar nicht mehr aufhören darüber zu reden wie wahnsinnig gut er aussieht.
Jede Stunde, in der er da ist hackt sie auf den anderen Kursteilnehmern herum, wenn sie ihn „verunstalten“. Nur seinen Namen kann sie sich einfach nicht merken.
Währenddessen sitzt er still und brav auf einem Stuhl oder einem Tisch und ignoriert gekonnt all die Augen, die ihn unentwegt anstarren und jedes Detail seines Äußeren auf ein Blatt Papier übertragen. Dafür bekommt er eine unfassbare Entlohnung von 15€. Außerdem fahre ich ihn nach der ganzen Prozedur nach Hause.
Ich sitze also da an meinem Tisch und starre ihn an. „Porträt“ ist das aktuelle Thema und da ich sein Gesicht schon seit fast zwei Jahren regelmäßig sehe sollte mir das nicht schwer fallen. Hinter mir höre ich wie die Kursleiterin an der Zeichnung eines Mitleidenden herumkritisiert und ihn fragt, ob sie denn selbst auf seinem Blatt korrigieren dürfe. „Ja, ja, natürlich“, antwortet dieser und die Lehrerin unterbricht ihn. „Das ist nicht selbstverständlich“, sagt sie. „Manche mögen das nicht wenn man auf ihrem Blatt rum malt.“
„Ja, ich zum Beispiel“, sage ich an meinen Freund gewandt. Ich habe einen doch sehr leichten, filigranen Zeichenstil. Deshalb kann ich es überhaupt nicht leiden wenn mir jemand in meinem Bild rum schmiert. „Gut, Theo, das war's. Du kannst dich bewegen“, sagt die Kursleiterin.
„Aber er heißt-“, setze ich an. Ich breche aber mitten im Satz ab, weil ich merke, dass es aussichtslos ist. Ich bin noch nicht fertig mit meinem Bild, aber das Gröbste ist schon zu erkennen.
Die Frau kommt rum und lobt zwei andere Teilnehmerinnen in den höchsten Tönen. „Sehr gut, aber er sieht ein wenig älter aus“, sagt sie. „Naja, bei mir sieht er jünger aus“, bemerke ich und sie kommt angedackelt. Dann fängt sie an zu lachen. „Wie lange kennt ihr euch schon? So hat er vielleicht mal ausgesehen. Das müssen wir ein bisschen älter machen.“
Sie greift sich meinen dicksten Bleistift und malt grob ein paar dunkle, eckige Striche in das Bild. Ungefragt. Direkt.in.die.Augen. Mit offenem Mund sehe ich ihr zu, ein paar protestierende Laute kommen aus meinem Mund. Mein Freund klopft mir beruhigend auf die Schulter, während ich fassungslos auf das ruinierte Porträt starre.
Das hat sie gerade nicht wirklich gemacht.
Mein fassungsloser Blick wandert zurück zu ihr, aber sie hat sich schon der Nächsten zugewandt. „Das ist er. Eindeutig!“, freut sie sich. Mein Freund fragt, ob er ein Foto von dem gelungenen Porträt machen darf. Ich kann noch immer nicht richtig reagieren.
Ich brauche noch eine Weile, um zu verarbeiten, was hier gerade passiert ist. Den Rest des Abends ist meine Laune im Keller. Mein Freund macht aus Versehen die Box meines Knetradiergummis kaputt. Das bringt das Fass zum Überlaufen. First World Problems? Nicht mit mir. Ich bin eine erwachsene Person und habe mich im Griff. Zumindest rede ich mir das ein. Aber wer sagt denn auch, dass man mit achtzehn Jahren schon erwachsen ist? Allein schon die Vorstellung ist ja bescheuert.

The book of SARCASM oder Wie Wattpad mich zum Weinen bringtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt