Traum oder Realität

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Und als er einschlief, holte ihn einer seiner Träume erneut ein.

Draco fiel. Sein Gesicht hatte sich zum dunklen Himmel gerichtet; mit dem Rücken zu Erst fiel er in den Abgrund.

Das war nichts besonders Aufregendes. Viele Menschen träumten von solchen Dingen, und noch dazu kam es Draco vor, als könnte er steuern, wohin er flog. Er hatte schon oft davon gehört, dass man mit viel Kontzentration Kontrolle über seine Träume haben konnte - er wüsste aber nicht, warum er so kontzentriert oder beruhigt sein sollte.

Dann realisierte er erst seine Umgebung. Er stürzte anscheinend nicht mehr - stattdessen stand er mitten auf einem Schlachtfeld.

Rauch stieg ihm in die Nase und er musste niesen und taumelte rückwärts. Ein plötzlicher Schmerz in seinem Bein, wie ein Pistolenschuss, ließ ihn verwundert hinsehen.
Er hatte eine tiefe Wunde im Schenkel; er roch und schmeckte metalliges Blut; er sah einen Schüler vor ihm zu Boden stürzen.

Langsam kroch die Panik in ihm hoch wie eine Seuche, die ihn nach und nach befiel. Was war hier los? Wie konnte ein Traum so real sein? Oder - oder war das hier überhaupt kein Traum?

Er stolperte davon. Er wollte weg hier, bloß weg hier!

Das Bild verschwamm vor seinen Augen, und erst nach wenigen Sekunden merkte er, dass es regnete. Dicke, schwere Tropfen fielen vom Himmel und klatschten so realistisch auf seiner Kleidung und seinem Gesicht auf, dass er bezweifelte, die letzten Monate wirklich gelebt zu haben. Möglicherweise war Dumbledores Idee, die Schüler in ihre Kindheit zurückzubringen ein Auswuchs seiner eigenen Fantasie. Vielleicht - vielleicht war das hier die Realität - Staub und Dreck, der während der Schlacht um Hogwarts in die Luft geschleudert wurde, jetzt von den Regentropfen aufgenommen und zum Boden zurück transportiert wurde.

Draco senkte seinen Blick auf das nasse, platt getrampelte Gras, um keinen Regen in die Augen zu bekommen. Seine Haare waren bereits durchnässt. Sein Hemd leicht zerrissen, sodass das schmutzige Wasser auf seine Haut traf und davon abperlte, und doch störte es ihn nicht.

Wichtiger war es ihm, herauszufinden, warum er nun wieder mitten am Schlachtfeld vor Hogwarts stand, warum es so aussah, als würde die dunkle Seite gewinnen und warum etwas oder jemand nun schon seit Minuten vor ihm stand, ohne sich zu bewegen oder etwas zu sagen.

Draco wurde allmählich kalt. Doch kam die Kälte nicht bloß vom Wetter, nein - sie schien von innen zu kommen, und das, seit diese Person vor ihm stand. Draco konnte sein oder ihr Gesicht nicht erkennen, aber es schien solch eine Bedrohung von ihm auszugehen, dass er eine Gänsehaut bekam.

Ohne ordentlich darüber nachzudenken drehte er sich um und rannte davon.
Sein Schmerz im Fuß war vergessen.
Es war ihm völlig egal, dass er sich damit zur Beute machte, er hatte bloß noch einen Wunsch: Er wollte weg.

Wie konnte es sein, dass er diesen Traum - wenn es denn ein Traum war, was er mehr und mehr bezweifelte - so real fühlte? Sonst war doch immer alles nur verschwommen zu sehen, was sein Unterbewusstsein sich ausdachte und ihm im Schlaf zuflüsterte.

Plötzlich stolperte Draco und fiel in den Dreck. Sein (vorher) weißes Hemd war voller Schlamm und Draco fluchte, wollte schon aufstehen und weiterrennen, da merkte er, dass er nicht von der Stelle gekommen war. Die Figur stand immer noch da, zwischen Regen und Nebel nicht deutlich zu sehen, aber sie war noch da.

Als nächstes sah Draco, worüber er gestolpert war; es war eine Frau, scheinbar tot. Ihre grauen Haare (Draco ging davon aus, dass sie grau waren, er sah immer noch nicht scharf) hingen ihr ins Gesicht, ihre Arme und Beine lagen verdreht und reglos da.

Draco wurde beinahe schwarz vor Augen. Die Frau, die da lag, war seine Professorin für Verwandlung, Minerva McGonagall. Draco kroch schnell davon. Irgendetwas lief hier schief. Minerva war nicht tot! Sie lebte! Sie - konnte einfach nicht hier sein, ohne schlagendes Herz und ohne erhobenen Zauberstab. Ohne einen Duellierpartner, den sie rasch ausschaltete, bevor sie tapfer ihren Schülern half und Dumbledore rächte.

Draco kroch immer noch rückwärts durch Schlamm und Kies, doch wieder schien er sich wegbewegen zu können. Nein, stattdessen kam die gruselige Gestalt näher, scheinbar ohne ihre Beine heben zu müssen.

Erneut setzte Dracos Herz einen Schlag aus, als seine Augen langsam wieder ihre Arbeit aufnahmen und besser funktionierten, als je zuvor. Jeder Regentropfen, der vom Himmel fiel, stach ihm glasklar ins Auge, er hätte die winzigen Kieselsteine am Boden zählen können, hätte jede Furche, jedes Fältchen im Gesicht der Gestalt genau beschreiben können; er sah die dunklen Augen vor Schadenfreude blitzen, sah, wie die dünnen Lippen sich zu einem verächtlichen Grinsen verformten, wie die schwarzen  Haare an der Stirn seines Gegenübers klebte - das insgesamte Bild der Person vor ihm war jedoch noch schauriger und angsteinflößender als alles andere. Eine Hand unter dem Umhang versteckt stand Tom Riddle vor Draco.

Und es war Tom Riddle, wie er einst aussah - schrecklich schön und unberechenbar listig. Tom schmunzelte. „Na, Malfoy? Na, Draco?"

Seine tiefe, junge Stimme gab Draco den Rest. Die Art, wie Riddle seinen Namen aussprach, ließ ihn vor Furcht erzittern und sich nach Embryo-Art zusammenrollen. Draco begann zu schluchzen. Womit hatte er das verdient? Er wünschte sich seine banale Furcht vor Zurückweisung von Hermine zurück, seine Furcht vor einer schlechten Note in Verteidigung gegen die dunklen Künste.

Du solltest aufpassen, was du dir wünschst, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf, die nicht ihm gehörte, und damit driftete er vollkommen ab.

*

Trocken und sauber wachte Draco schließlich auf, heftig keuchend und mit feuchten Wangen von den Tränen.

Er sah sich panisch um. Wo war er? Die Gegend um ihn herum wirkte so steril auf ihn - obwohl das auch an der düsteren Stimmung seines Alptraumes liegen konnte.

Draco atmete auf. Alptraum. Er hatte doch nur geträumt, auch wenn das der realistischste Traum war, den Draco jemals gehabt hatte.

Und die sterile Umgebung wirkte so farblos, da er im Krankenflügel lag. Es musste bereits Abend sein, denn langsam wurde es dubkel draußen. Draco versuchte, erneut einzuschlafen, was ihm nach einigen Minuten auch gelang - diesmal traumlos.

Dumbledores grandiose IdeeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt