Kapitel 3

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Ebru

Ich finde es immer noch unglaublich faszinierend, dass er nach zehn ganzen Jahren in Fleisch und Blut vor mir steht. Als ich damals weggezogen bin, habe ich damit gerechnet ihn nie wieder zusehen. Er wohnt einfach immer noch hier in der Umgebung. Sena und Alara begrüßen die Jungs, während ich mit meinen Gedanken ganz wo anders bin. Ich spüre wie die Jungs gleichzeitig ihre Blicke in meine Richtung wenden. Mir lauert jedoch eine Frage im Kopf: Wird Ayaz mich erkennen? Ich habe ihn erkannt, aber vielleicht liegt es auch daran, dass weder sein Lächeln noch seine Mimik sich verändert haben. Mir ist nicht klar, wie sehr ich mich in diesen zehn Jahren verändert habe. Die eigentliche Frage ist doch, ob er sich überhaupt noch an mich erinnert.

„Du musst die Neue sein", kommt es von einem Jungen, der etwas breiter gebaut ist als die anderen drei. Ayaz setzt sich auf die gegenüberliegende Bank und mustert mich. Ein ungewohntes Gefühl mach sich in mir breit, während seine Blicke auf meinem Körper brennen. „Wie heißt du denn?", fragt der Nächste, der sich neben Ayaz setzt. Seine pechschwarzen Haare harmonieren mit seinen ozeanblauen Augen. Auch er lässt sein Blick auf mir schweifen und lehnt sich anschließend zurück. Ich öffne mein Mund, um mich vorzustellen, doch eine gewisse Person übernimmt dies für mich.

„Ebru", sagt er meinen Namen mit einer viel tieferen Stimme, die eine Gänsehaut auf meinem Körper hinterlässt. Sein Mundwinkel zuckt nach oben, bevor er sich von seinem Platz erhebt und auf mich zukommt. Nervös stehe ich ebenfalls auf, sodass er mich in seine Arme schließt. Als hätte er mit dieser Handlung einen Schalter in mir umgelegt, fängt mein Herz viel schneller an zuschlagen. Das Gefühl von Geborgenheit macht sich in mir bemerkbar. Sein hervorragender Duft von Minze steigt mir in die Nase und ich könnte den Rest meines Lebens in dieser Position verweilen.

Langsam löst er sich aus meiner Umarmung und blickt mir ins Gesicht. Er überragt mich gut um zwei Köpfe. Ich spüre die verwirrten Blicke auf uns ruhen. „Woher... Woher kennt ihr euch?", ist Alara die Erste, die diese unangenehme Stille unterbricht. „Wir sind Kindheitsfreunde. Wir sind zusammen aufgewachsen", erzähle ich. „Danach musste sie umziehen", fügt Ayaz hinzu. Die anderen scheinen trotzdem recht verwirrt über die Situation zu sein. „Wie jetzt? Bruder, du kennst sie?", fragt der Junge, der im Vergleich zu den anderen beiden deutlich kleiner ist. „Ja Tarik, aber ich habe sie zuletzt vor zehn Jahren gesehen", beantwortet Ayaz die Frage seines Freundes, der anscheinend Tarik heißt.

Er kennt mich. Ayaz erinnert sich an mich. Wieso auch immer, hatte ich das Gefühl, dass er mich schon längst vergessen hätte. Ich setze mich wieder auf die Bank, sodass Ayaz sich direkt neben mich setzt. Er tut sein Arm auf die Rückenlehne, bevor er sich zu mir dreht. Für ihn macht dies wahrscheinlich nichts aus, aber mich macht seine Nähe verdammt nochmal nervös. „Wie geht es deinem Vater?", er legt sein Kopf schief und strahlt mich mit seinen Augen an. „Ihm geht es ganz gut. Wie geht es deiner Familie?" Ich achte gar nicht mehr auf die anderen, da ich mich einzig und allein auf ihn konzentriere. „Ganz gut. Meine Mutter wird sich freuen, wenn sie hört, dass du zurück bist." Seine Mutter war eine sehr gute Freundin von meiner Mutter. Das ist auch einer der Gründe, wieso wir zusammen aufgewachsen sind. Ich habe sie auch vermisst, schließlich ist sie sowas wie eine Ersatzmutter für mich gewesen.

„Du hast also vor zehn Jahren hier gewohnt?", stellt Sena fest, sodass ich nicke. „Na dann, ich bin Kaan", stellt der bereiteste sich vor. „Tarik", sagt der etwas kleinere. Mein Blick fällt auf den blauäugigen, der immer noch lässig auf der Bank sitzt. Ich weiß, ich sollte keine Vorurteile haben, aber er kommt echt arrogant rüber. „Vedat", erhebt er sich mit einer kalten Miene von der Bank. Wieso ist er so komisch zu mir? Er kennt mich doch gar nicht.

„Schon 21 Uhr", kommt es von Alara, die gerade am Handy ist. Ich reiße leicht meine Augen auf. Mein Vater wird mich definitiv umbringen. Ich muss schnell nach Hause. „Ich sollte jetzt nach Hause gehen", ich erhebe mich von meinem Platz. Ich klammere mich an der Hoffnung fest, dass mein Vater noch nicht zu Hause ist. Ich verabschiede mich von den Jungs und laufe zurück. Unsere Wohnung befindet sich ebenfalls auf dieser Straße. Meine Gedanken schweifen trotz dessen immer wieder zu Ayaz, der nach zehn Jahren wieder in meinem Leben ist. Ob es gut oder schlecht ist, weiß ich noch nicht.

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Einseitige LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt