Kapitel 1

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Ebru

Zehn Jahre später

„Pack deine Sachen, wir ziehen wieder zurück nach Köln", sagt mein Vater, bevor er mein Zimmer verlässt. Was? Warum ziehen wir zurück? Ich hasse diese Stadt! Wir können doch nicht nach zehn Jahren einfach so zurückziehen, obwohl wir uns hier ein neues Leben aufgebaut haben.
Ich habe dort nichts außer schlechte Erinnerungen. Ich kann und will nicht zurück.

Ich könnte eine Diskussion mit meinem Vater eingehen, doch das würde ihm ganz und gar nicht gefallen. Seit dem Tod meiner Mutter hat sich sehr vieles in meinem Leben verändert. Wir sind nach Berlin gezogen, weil mein Vater hier eine bessere Arbeitsstelle gefunden hat. Mein Vater hat sich in den letzten zehn Jahren echt verändert. Er mag mich nicht und behandelt mich nicht wie seine Tochter. Für ihn bin ich eine bedeutungslose fremde Person, für die er sorgen muss. Ich kann mich nicht gegen ihn stellen, denn er würde mir das Leben zu Hölle machen. Auch wenn ich nicht zurück möchte, bleibt mir keine andere Wahl als seine Entscheidung zu akzeptieren. Ich bin noch minderjährig, also kann ich alleine nicht viel anfangen.

Ich mag die Stadt Köln nicht. Die Stadt erinnert mich an meine Mutter und an meine Vergangenheit. Hier in Berlin ist mein Leben angenehm normal. Ich habe nur eine beste Freundin, namens Zehra, die ich sowieso nicht mehr sehen werde, nachdem wir nach Köln gezogen sind. Sie ist die einzige Person, die mich verstehen kann und immer für mich da ist. Wie soll ich ohne sie in Köln klarkommen? Ich rufe sie an und nach ein paar mal klingeln, ertönt auch schon ihre weiche Stimme: „Hallo." Ich seufze: „Ich ziehe wieder zurück nach Köln."

Es wird kurz still, bis sie anfängt zu schreien, sodass ich mein Handy etwas weiter weg halte. Schon fängt sie an pausenlos zu reden und zu schimpfen.
Ich versuche sie zu beruhigen, was schwerer ist als gedacht. Sie ist eine echt temperamentvolle Person. „Hilfst du mir beim Packen?", versuche ich meine Tränen zu unterdrücken. Wieso tut mein Vater so etwas? Wieso möchte er ausgerechnet jetzt weg? Ich bin hier doch aufgewachsen. Wieso möchte er zurück? Was ist denn in Köln so besonders?
„Ich bin in zehn Minuten bei dir und wir werden nicht deine Koffer packen, da du hier bleiben wirst!", und schon legt sie auf, bevor ich irgendwie widersprechen kann. Auch wenn ich ihr Temperament niedlich finde, wird es gegen mein Vater nichts nützen. Wenn mein Vater es sich in den Kopf gesetzt hat wegzuziehen, dann werden wir auch wegziehen.

Wie Zehra es schon vorhergesagt hatte, klingelt es zehn Minuten später an der Tür. Ich gehe sie öffnen und werde direkt fest in ihre Arme gezogen. „Du bleibst wo du bist! Ich lasse dich nicht gehen!", schnieft sie, während ich die Haustür wieder schließe. Ich löse mich schmunzelnd von der Umarmung: „Wie gerne ich hierbleiben würde, aber du kennst doch meinen Vater." Ich gehe wieder in mein Zimmer, gefolgt von ihr. Ich sortiere meine Klamotten, die auf meinem Bett liegen. „Ich kann dein Vater nicht leiden", setzt sie sich auf mein Bett und sieht mir dabei zu wie ich mein Koffer einpacke. Langsam fängt sie es auch an zu akzeptieren, weil sie genauso wie ich weiß, dass wir keine andere Wahl haben.

Den ganzen Abend verbringen wir damit meine Koffer zu packen und uns über alte Zeiten zu unterhalten, bis ihre Mutter sie nach Hause ruft. „Ich werde dich vermissen, Ebru", fängt sie an zu weinen, was mich ebenfalls emotional macht. Wir umarmen uns fest und verweilen für ein paar Minuten in dieser Position. „Wir werden jeden Tag telefonieren und in den Ferien komme ich dich besuchen, ja?", wartet sie auf eine Bestätigung von mir. Ich nicke und drücke sie noch ein letztes mal fest, bevor sie auch schon verschwindet. Sie wird mir echt fehlen.

Ich weiß zwar nicht wann genau wir wegziehen werden, aber ich denke, dass es in ein paar Tagen stattfindet. Ich spüre wie sich Schritte in Richtung meines Zimmers nähern. Seit wann ist mein Vater wieder zu Hause? Meine Tür wird ein Spalt geöffnet und mein Vater steckt sein Kopf hinein. „Morgen um 7 Uhr", warnt er mich, bevor er die Tür wieder schließt. Morgen? So schnell? Wann hat er diesen Umzug bitte schön geplant? Wieso geht das alles so schnell? Also ist dies meine letzte Nacht hier in Berlin? Ich frage mich, wie es in Köln sein wird. Werde ich da neue Freunde finden? Was ist eigentlich aus meinem besten Freund Ayaz geworden? Lebt er noch dort? Werde ich ihn wieder sehen? Mit diesen Gedanken gehe ich schlafen.

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Einseitige LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt