Kapitel 15

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Ebru

Ich fühle mich wohl sowohl als auch unwohl in seiner Nähe. Ständig muss ich daran denken, dass er eine Freundin hat und werde wütend. Dann erscheinen mir wieder die Gespräche von heute Abend im Kopf, wo er sich an meine Lieblings Eissorte erinnert hat und meine Wut verfliegt. Wegen diesem Jungen habe ich die schlimmsten Stimmungsschwankungen, die ein Mädchen je haben kann. Ich weiß ja nicht einmal wirklich was los mit mir ist. Mittlerweile habe ich es akzeptiert, dass ich Gefühle für ihn habe, aber wie stark diese Gefühle sind und ob es wirklich nur eine Phase ist, weiß ich noch nicht. Ich habe Angst, dass es viel schlimmer wird, dass ich mich in ihn... verliebe, falls ich es jetzt schon nicht tue. Ich habe sowas noch nie für jemanden empfunden. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass ich immer Abstand von Jungs gehalten habe.

„Bist du schon wieder gestolpert?", reißt mich seine Stimme aus den Gedanken, weswegen ich verwirrt zu ihm blicke. Er bemerkt meinen fragenden Blick und deutet auf meine Wange. Wissend weiten sich meine Augen. Wieso bemerkt er es immer und die anderen in meinem Umfeld nicht? Die Straßenlampe leuchtet direkt auf uns. „Ich...I-Ich bin die Treppen runtergefallen. Du kennst mich doch. Ich bin tollpatschig", lache ich und möchte weitergehen, jedoch zieht er mich an meinem Oberarm zurück und sieht mich streng an. Genausten betrachtet er meine Wange, bevor sich seine Augenbrauen zusammen ziehen und er sich deutlich anspannt. „Wer war das?", seine Stimmlage ist ruhig, aber ich kann seine deutliche Wut brodeln spüren.

„Niemand. Ich bin die Treppen runtergefallen, habe ich doch schon gesagt." Ich bin stolz auf mich, dass ich diese Lüge flüssig rüberbringe. Vielleicht ist dies auch nur so, weil ich selber an die Lüge glauben möchte, die ich versuche ihm aufzutischen, da die Realität viel erbärmlicher ist. „Wieso lügst du mich an?" Ich presse meine Lippen aufeinander und ziehe meinen Oberarm aus seinem Griff. Die Stelle, die er berührt hat, fängt an zu kribbeln. „Ich lüge nicht-", möchte ich gerade widersprechen, jedoch unterbricht er mich scharf. „Du kannst mir vertrauen, Ebru. Ich bringe jeden um, der dir wehtut. Sag es mir doch einfach."

Ich schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter. Seine Worte brennen sich in meinem Gehirn ein und ich spüre den deutlichen Dopaminschub. Ein klitzekleines Lächeln zaubert sich auf meinen Lippen, doch plötzlich erfasst mich die Realität und mein Lächeln verblasst. Er sieht mich doch nur als seine Schwester. Er will mich nur beschützen, weil er mich als Schwester sieht. Er will jeden umbringen, der mir weh tut, weil er mich als Schwester sieht. Er ist nur so liebevoll zu mir, weil er mich als Schwester sieht. Meine Freude von eben verschwindet wie auf Knopfdruck und mein Inneres fängt an zu brennen.

„Wieso... Wieso tust du das?", meine Stimme zittert. Nun sieht er mich fragend an: „Was mache ich denn?" Wieso fragt er mich sowas? „Wieso bringst du jeden um, der mir wehtut?", wiederhole ich seine Worte von eben. Er scheint überrascht zu sein, doch gibt mir tatsächlich eine Antwort. „Brüder beschützen doch ihre Schwestern oder nicht?" Er sagt es so, als wäre es das Normalste auf dieser Welt. Autsch. Ein weiterer Stich in meinem Herzen und es geht immer tiefer rein. Ich sehe ironisch lachend zu Boden und wende meine Blicke ab, um meine Tränen weg zublinzeln. Wieso tut er sowas? Wieso sagt er mir sowas? Es ist doch so offensichtlich, wieso sieht er das denn nicht? Jeder außer er bemerkt es, wieso fällt es ihm so schwer zusehen, was ich für ihn fühle? Ist er etwa blind oder möchte er es einfach nicht erkennen?

„Warum siehst du es nicht?", man kann die Traurigkeit deutlich aus meiner Stimme heraus hören. Ihn scheint die Situation zu verwirren, denn er hebt eine Augenbraue in die Höhe und sieht mich ahnungslos an. Er versteht es wirklich nicht. Ich schüttele meinen Kopf: „Du wirst es niemals verstehen." Meine Augen sind feucht und glänzen wahrscheinlich. „Wovon redest du?" Ich beantworte ihm diese Frage nicht und kehre ihm mein Rücken zu, um alleine nach Hause zu spazieren. Ich möchte einfach nur noch weg von ihm.

„Du kannst nicht einfach so gehen. Ich will wissen was du damit meintest. Auf was willst du hinaus, Ebru?", höre ich seine Stimme hinter mir. Ich drehe mich zu ihm. Zwischen uns sind gute drei Meter. „Vergiss es einfach, ich habe Scheiße gelabbert. Gute Nacht", zucke ich mit meinem Schultern und drehe ihm erneut meinen Rücken zu. Er zieht mir erneut einen Strich durch die Rechnung, indem er mich zurückzieht. Ich knalle leicht gegen ihn und stehe ihm viel zu nahe. „Was meintest du gerade? Was werde ich niemals verstehen? Und was sehe nicht?", anscheinend haben sich paar Fragen in seinem Gehirn gebildet.
Was erwartet er eigentlich von mir? Ich weiß doch nicht einmal wie man sich in seiner Gegenwart zu verhalten hat. Ich bin mit meinen Gedanken hin- und hergerissen. Jetzt oder nie.

„Ich will den Kontakt zu dir abbrechen, Ayaz", flüstere ich leise, aber sodass er es noch hören kann. Seine Augen weiten sich und er lässt mich automatisch los: „Was?" Wahrscheinlich sitzt der Schock tief und er versucht meine Worte zu verarbeiten. Ich will aber wirklich nicht viel länger etwas mit ihm zu tun haben. Das einzige was er tut, ist es mein Herz zu brechen. „Es ist das Beste für und beide", gestehe ich und beobachte ihn währenddessen.

Sein Mund öffnet sich ein Stück und zu gerne möchte ich jetzt wissen, was in seinem Kopf abgeht. „Willst du mich loswerden? Erst diese komischen Andeutungen und jetzt auch noch ein Kontaktabbruch? Was habe ich dir angetan? Ich habe dich doch immer wie eine Schwester behandelt. Was willst du, Ebru?" Schon wieder dieses gottverdammte Wort. Kann er bitte aufhören mich jedesmal aufs Neue so zu nennen? Ist er wirklich so zurückgeblieben?  Ich schließe kurz meine Augen, um tief ein- und auszuatmen. „Genau da liegt das Problem", gebe ich ihm als Antwort und mache mich diesmal wirklich ans Gehen. Wie nicht andere zu erwarten, kommt er mir auch nicht hinterher, sondern steht auf derselben Stelle. Für mich ist die Diskussion hier zu Ende, doch für ihn anscheinend noch nicht, denn seine Stimme ertönt.

„Nenn mir einen einzigen Grund, dann lasse ich dich gehen." Ich drehe mich zu ihm und schüttele meinen Kopf: „Du verstehst das einfach nicht." Ayaz fährt sich genervt durch die Haare und kommt wieder ein paar Schritte näher auf mich zu. „Schon wieder diese Andeutung. Was verstehe ich nicht? Was sehe ich nicht? Kannst du auch normal-", ich unterbreche ihn.

Ich denke weder über meine Worte nach, noch möchte ich es wirklich gestehen, aber die Kopfschmerzen, die er mir verbreitet, bringen mich dazu es zutun.
„Ich habe mich in dich verliebt, Ayaz."

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