1.

83 4 1
                                    

29. Dezember

Ich schob meine Nase unter den Busch und fing an zu schnüffeln. Der Geruch nach Fasan verblasste bereits und der frische Schnee überdeckte die Spuren. Eigentlich war ich müde und durchnässt und wollte mich nur noch in meinem Bau zusammenrollen, aber grummelnder Magen hielt mich davon ab. Mit ein bisschen Glück könnte ich auf dem Heimweg noch auf ein hungriges Kaninchen stoßen. Ich trabte leichtfüßig durch den Wald, als mir der Geruch eines Eichkatzerls entgegen wehte. Es schien nach seinen Nüssen zu graben und bemerkte nicht, wie ich, durch mein weißes Fell gut im Schnee getarnt, auf der Lauer lag. Mit einem gewaltigen Satz stürzte ich mich auf es. Es war ein wenig mager, dennoch schmeckte es köstlich.
Ich nagte gerade die Knochen ab, als ich Schritte vernahm. eine große graue Gestalt hob sich von dem Schnee ab und ich seufzte erleichtert.
"Du bist es" ,sagte ich. "Tut mir leid, dass ich dir nichts übrig gelassen hab."
"Schon gut." Wolfs tiefe Stimme klang vertraut und angenehm, allerdings mit belustigtem Unterton. "So ein kleines Viech hätte mich sowieso nicht satt gemacht."
Er legte den Kopf schief. "Wir könnten Hühner jagen gehen."
"Nein." Ich verscharrte die Knochen und ging auf ihn zu. "Der Bauer hat den Zaun tiefer unter die Erde gesteckt, als wir graben können. Außerdem ist der Boden gefroren."
"Und wenn wir in den Nordteil des Waldes gehen?"
Mein Fell sträubte sich und ich wirbelte herum. "Bist du verrückt?? Dort jagen die Geister der Rauhnächte zu dieser Zeit" ,fauchte ich.
"Komm schon Fuchs" ,Wolfs gelbe Augen leuchteten. "Du glaubst diese Märchen doch nicht wirklich, oder?"
"Natürlich glaube ich sie. Jeder tut das, sie sind diejenigen, die die Menschen unsere Sprache verstehen lassen und wir müssen sie mit Respekt behandeln. Das schließt aus in ihrem Gebiet zu jagen" ,entgegnete ich.
Wolf seufzte. "Das ist echt niedlich, wie du daran glaubst, aber diese Geschichten stimmen nicht. die Rauhnächte sind so gewöhnlich wie jede andere Nacht. Vertrau mir." Er trabte los, drehte sich aber nochmal um. "Kommst du?" ,fragte er.
"Na gut." Mir widerstrebte es im Nordteil zu jagen, soweit ich wusste hatte das noch nie jemand getan. Allerdings würde ich Wolf mein Leben anvertrauen.

Der Schnee knirschte unter meinen Pfoten und es roch hier genauso wie im restlichen Wald. Gut, der Geruch nach Beute war hier stärker. Wolf hatte recht gehabt; hier würden wir auf jeden Fall etwas fangen.
"Ich habe das Gefühl etwas, oder jemand beobachtet mich" ,flüsterte ich.
Wolf schnaubte belustigt. "Leg dein Fell an Fuchs. Du denkst das nur wegen der massenhaften Beute. Wir treffen uns hier wieder."

Wolf und ich trafen uns zwar oft und teilten Beute, wir jagten allerdings nie direkt zusammen. Der Grund dafür war, dass er groß genug war um richtige Hetzjagden zu veranstalten, ich musste mich jedoch anschleichen und meine Beute anspringen. Wir würden uns nur gegenseitig im Weg stehen.

Die Jagd lief wirklich gut und das unangenehme Gefühl verschwand bald, Wolf hatte recht gehabt, es war wie immer.
Als es dämmerte fand ich ihn in der Nähe einer morschen Eiche.
"Wir könnten hier die Nacht verbringen" ,schlug er vor, doch ich schüttelte den Kopf.
"Lass uns von hier verschwinden. Du hattest recht was die Jagd betrifft, aber ich will zurück in meinen Bau." Etwas leiser fügte ich hinzu: "Außerdem will ich nicht während der Nacht hier bleiben, die Geister könnten uns finden."
Wolf lachte. "Das ist nicht dein Ernst, oder? Es gibt keine Geister, du wirst so sicher wie in deinem Bau sein." Er stupste mich an. "Außerdem werde ich dich ja beschützen."

Ich konnte meine Sorgen nicht ablegen, obwohl Wolf mir mehrmals versicherte, dass alles gut gehen würde. Ich kuschelte mich an seine warme Flanke und die Müdigkeit übermannte mich.
Ich hatte das Gefühl nur einen Augenblick geschlafen, als eine Windböe mich weckte. Ich plusterte mein Fell auf und wollte mich näher an Wolf kuscheln, als ich bemerkte wie kalt sein Fell war. Ich streckte kurz meine Glieder und beugte mich zu ihm; er schlief noch immer tief und fest. Du bildest dir das alles nur ein Fuchs, wies ich mich selbst zurecht und wollte mich wieder hinlegen. Ein weiterer starker Luftzug stellte mein Fell auf und als ich mich anders hinlegen wollte, hörte ich eine Stimme.
"Ihr habt die Geister der Rauhnächte erzürnt. Für dieses frevelhafte Verhalten werdet ihr bestraft. Bis Neujahr müsst eure Körper ablegen und in denen von Menschen überleben. Wenn ihr das schafft, ohne unter den Bedingungen der Rauhnächten zu sterben, werdet ihr als Fuchs und Wolf zurückkehren können."
Die Stimme verstummte, nur der eisige Wind blieb zurück. Ich sprang auf und wollte Wolfs Namen bellen, doch was aus meiner Schnauze kam war kein Bellen. Auch hatte ich keine Schnauze mehr. In meinem Maul waren keine Reißzähne mehr, nur große, eckige Zähne. Statt Pfoten sah ich menschliche Hände im Schnee. Ich fuhr herum und sah an Wolfs Stelle einen Mann knien. Er war auch ein Mensch, keine Zweifel. Langes schwarz-graues Haar bedeckte seinen Kopf und mir blickten statt gelben braune Augen entgegen.
"Pssssch!" Er fuhr herum und bedeckte meinen Mund mit seiner Hand. "Kein Wort, Fuchs."
"Ich bin kein Fuchs mehr" ,winselte ich in seine Hand. "Und du kein Wolf. Was ist hier los?? Ich habe dir doch gesagt, dass wir hier nicht hätten herkommen dürfen."
"Bitte sei leise Fuchs" ,zischte er, seine Stimme klang verzweifelt.
"Aber ich bin kein Fuchs mehr, ich bin kein-"
"Ok, dann eben Vulpa. So nennen die Menschen Füchsinnen. Aber du musst jetzt leise sein, bitte."
ich beruhigte mich langsam und lies mich auf den Boden sinken. Rotbraune Haarsträhnen baumelten vor meinem Gesicht und als ich auf meinem Kopf griff bemerkte ich ein weißes Fell. Eine Haube. Ein weißer Mantel bedeckte mich von Schultern bis Hüfte, darunter hatte ich ein rotes Kleid an, in einer ähnlichen Farbe wie meine Haare. Wolf-
"Wolf wie soll ich dich nennen?" ,flüsterte ich ihm zu.
Er überlegte einen Augenblick. "Lupus" ,wisperte er dann zurück.
Lupus trug eine schwarze Jacke und eine graue Hose, er sah so anders aus, dennoch erkannte ich seinen Blick.
"Hör zu Vulpa. Wir müssen bis Neujahr überleben, okay? Das bedeutet, dass wir mit niemandem kommunizieren dürfen. Wenn wir auch nur eine Maus sprechen hören, ist es aus. Aber als erstes müssen wir hier weg, damit die Geister nicht noch wütender werden. Wir schaffen das, versprochen."

Short Storys³Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt