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Patricia hatte genug.
Sie würden diesen aufgeblasenen Herren Grafen schon zeigen wer die wahre Thronfolgerin war.
"Emilia, verehrte Schwester, wir müssen reden." Patricia klopfte an die große Eichentür, drinnen im Salon war ihre jüngere Schwester und übte Violine.
"Ja, Patricia?" Das Mädchen setzte ihr Geige ab. Ihre dunkelbraunen Haare waren hochgesteckt und sie trug ein gelbes Seidenkleid. Wie Patricia hatte sie dunkle Haut und große braune Augen.
"Ich muss von hier fort."
Emilia blinzelte überrascht.
"Wie meinst du das?"
"Ich habe vor von hier wegzugehen. Ich bin das Älteste Kind von König Edmund, ich bin die rechtmäßige Erbin. Nur wollen unsere verehrten Halbbrüder dies nicht einsehen. Sie denken, dass Prinz James Anspruch auf den Thron hat, nur weil auch seine Mutter aus dem Königshause stammt. Zudem kommen unzählige Beleidigungen und verachtende Sprüche hinfällig meines Geschlechts, meiner Heerkunft und Hautfarbe.
Ich habe beschlossen, dies nicht mehr über mich zu ergehen lassen."
Patricia hatte sich während ihrer Rede stolz aufgerichtet und wartete nun auf tadelnde Worte ihrer Schwester.
"Oh, Patricia, ich weiß genau wie es dir geht. Auch ich musste oft unfaire Worte über mich ergehen lassen, ich werde dich begleiten." Emilia kam näher und nahm Patricias Hand. "Und wir werden uns etwas einfallen lassen, wie wir dir die Krone zukommen lassen. Wir schaffen das."

Verstohlen blickte Magdalene sich um.
"Susanne, komm schnell her" ,zischte sie durch das geöffnete Fenster.
Ein blonder Haarschopf tauchte auf und Magdalenes Nichte kam näher.
"Tante Magda-" ,rief sie, doch Magdalene hielt ihr den Mund zu.
"Shh, zieh dich schnell an und kletter durch das Fenster raus. Es ist wichtig!"
Susanne nickte schnell und lief zu ihrem Kleiderschrank. Magdalene lies sich langsam an der Häuserwand hinuntergleiten. Ihr Bruder, Susannes Vater, hatte vor seine Tochter zu verheiraten, an einen wohlhabenden Bauern, der viel älter als das fünfzehnjährige Mädchen war.
Magdalene selbst war erst achtzehn, doch sie hatte noch keinen Mann, sie wollte auch keinen. Sie und Susanne hatten schon oft über diese unfreiwilligen Hochzeiten geklagt und Magdalene wollte ihrer Lieblingsnichte dieses Leid ersparen.
"Fertig." Das Mädchen kletterte in einem hellen Leinenkleid aus dem Fenster und landete neben Magdalene.
"Also was ist jetzt los?" Sie erzählte ihr die Sache mit der Hochzeit.
"Aber was machen wir jetzt?" ,fragte Susanne erschrocken.
"Ganz einfach. Wir gehen weg." Die Augen des Mädchens weiteten sich für einen Moment erschrocken, dann nickte sie.
"Los gehts."

Emilia war schrecklich müde.
Den vorigen Tag hatten sie und Patricia unauffällig alles vorbereiten müssen und dann waren sie die ganze Nacht gelaufen.
Nun befanden sie sich in einem Wäldchen, es dämmerte zwar erst, aber zwischen den Bäumen regte es sich schon überall.
"Patricia, geliebte Schwester, warte einen Moment, meine Füße schmerzen." Emilia lies sich auf einem umgestürzten Baum nieder. Sie zog ihre Röcke beiseite und nahm den hübschen Stöckelschuh ab. Solche Schuhe waren für keine Wanderungen gemacht, hätten allerdings für den Spaziergang gereicht, denn die Beiden als Vorwand verwendet hatten, um aus dem Schloss zu kommen.
Patricia setzte sich neben sie.
"Ich weiß, Emilia, aber wir müssen so weit wie möglich von zuhause weg, hier kann man uns zu leicht finden."
Seufzend erhob sie sich wieder und ging wieder los, Patricia neben ihr.
Sie durchquerten das Wäldchen, einige Felder, einen weiteren Wald und waren zuletzt auf einer große Wiese. Überall wuchsen rote Mohnblumen, deren Duft sie ein wenig schwindelig machte. Nur einige Bauernhäuser waren in der Nähe und Emilia legte sich ins Gras.
Inzwischen war es Mittag und ihr Magen knurrte, trotzdem war es herrlich in der Sonne zu liegen.
"Ich denke wir können jetzt eine Pause machen" ,sagte Patricia.

Susanne trug ihre Tasche über der Schulter und schleppte sich über die Wiese. Die Nacht über waren sie nur gegangen, um so weit wie möglich von zuhause wegzukommen. Jetzt stapften sie durch das taunasse Gras. Mohnblumen wuchsen überall. Es war noch kühl und Susanne zog sich fröstelnd ihren Mantel enger.
"Komm Susanne, wir wollen frühstücken" ,rief Magdalene. "Das Gras ist sicher bald trocken. Ich hole Wasser und du kannst das Essen herrichten."
Sie nahm den Holzkübel, welchen sie mitgenommen hatte und ging zum Graben, durch den ein Wasserlauf ging. Susanne breitete das große Tuch aus, es wurde ein wenig nass, aber sie stellte trotzdem das Brett mit dem Brot, den Käse, die Butter und den Räucherschinken auf.
Gerade als sie Besteck und Tassen suchte, hörte sie einen Schrei. Susanne sprang auf, raffte ihr Kleid und lief zum Bach.
Magdalene und eine andere junge Frau knieten im Wasser. Die Fremde hatte elegantes gelbes Kleid an, welches gut zu ihrer braunen Haut passte. Ihre schwarzen Locken waren wahrscheinlich einmal eine schöne Steckfrisur gewesen, aber es hatten sich Strähnen gelöst. Sie hatte ein sanftes Gesicht mit runden Zügen und großen, freundlichen Augen.
"Wer bist du?" ,fragte Susanne und rutschte zu ihnen in den Graben. Magdalene sah sie wütend an.
"Es heißt wer sind Sie, Susanne. Lass mich reden."
"Emilia, Schwester! Alles in Ordnung?" ,rief eine Stimme und eine weitere dunkelhäutige Frau erschien. Sie trug ein violettes Kleid und schien ein wenig älter als Emilia zu sein. Ihre Züge waren ebenfalls sanft, doch ihr entschlossen zusammengekniffener Mund und ihre blitzenden Augen bildeten einen Kontrast.
Emilia rappelte sich auf und kletterte den Erdwall hinauf.
Die Neue reckte stolz das Kinn vor und sagte: "Ich bin Patricia Merendaire, Thronfolgerin und älteste Nachkommen von König Edmund. Wer seid ihr und was ist euer Ziel."
Magdalene blinzelte überrascht und wandte sich kurz an Susanne, doch die zuckte nur mit den Schultern. Wenn Magdalene reden wollte, dann sollte sie dies auch tun!
"Sehr geehrte Majestät, ich bin Magdalene Benthel, und das ist meine Nichte Susanne. Wir sind nur zwei Bauerntöchter, die von zuhause wegliefen, um der Heirat zu entgehen."
Nun war es an Patricia überrascht zu sein. Emilia packte ihre Schwester am Arm und schaute sie freudig an.
"Sie könnten uns helfen" ,sagte sie.
"Wir können keinen Wildfremden von unseren Problemen erzählen, Emilia" ,entgegnete Patricia.
"Wir könnten euch zum Frühstück einladen und reden, oder auch nicht" ,sagte Susanne und lächelte. Die anderen beiden Mädchen erwiderten das Lächeln.

Ein wenig später saß Emilia neben ihrer Schwester auf einer Picknikdecke und bestrich ihre Brotscheibe mit Butter. Magdalene und Susanne waren ihr sehr sympathisch. Beide trugen robuste Leinenkleider und hatten Flechtfrisuren, ansonsten sahen sie sich nicht sehr ähnlich.
Magdalene hatte hellbraune Haare und Augen von derselben Farbe. Im Gegensatz zu Susanne, deren Züge fast kantig wirkten, war alles an Magdalenes Gesicht leicht geschwungen. Ihre Haut, die gebräunt war, vermutlich von der Bauernarbeit, war über und über mit Sommersprossen bedeckt.
Susanne war blond und blasser als ihre Tante, jedoch erwachsener, als Emilia es von jemandem in ihrem Alter erwartet hätte.
"Also... ihr wollt Patricia auf den Thron bringen, habt aber noch keinen richtigen Plan" ,sagte Magdalene, während sie den Käse in Scheiben schnitt.
"Richtig. Theoretisch haben wir genug Zeit. Unser Vater ist jung, aber selbst wenn er mir die Krone abtreten würde, werden unsere Halbbrüder sofort alles unternehmen, um selbst die Heerschaft zu übernehmen." Magdalene hatte aufmerksam zugehört und biss sich nachdenklich auf die Lippen.
"Aber es gibt kein Gesetz, welches einer Frau den Anspruch auf den Thron verbietet, oder?" ,fragte sie.
"Nein, ich zitiere: "Der Thronfolger muss in direkter Linie von König Samuel I. abstammen, mindestens das fünfzehnte Lebensjahr erreicht haben und mit zwanzig geheiratet haben"."
"Dann musst du bald heiraten, oder? Wie alt bist du?"
"Ich bin zwanzig, in drei Monaten ist mein Geburtstag."
Magdalene nickte langsam und schien zu überlegen, doch Emilia war etwas eingefallen, während sie sie so beobachtete.
"Meine Damen." Sie hob feierlich ihren Holzbecher. Er war nicht so schön wie die Weingläser im Schloss und enthielt nur Wasser, aber das reichte.
"Ich habe einen Plan."

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