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Ich wurde von einem lauten Geräusch geweckt. Eine Faust schlug auf Metall. Ich zog mir die dünne weiße Decke bis übers Gesicht und stöhnte. „Hör auf! Es geht erst los, wenn ich fertig bin!" „Und wie lange soll ich noch warten, bis du überhaupt angefangen hast? Ich werde nicht mein restliches Leben in dieser Zelle verbringen! Und schon gar nicht mit dir, also mach dich gefälligst an die Arbeit!" „Schrei halt noch lauter rum!" ,rief ich zurück aber ich setzte mich auf und rieb mir die Augen. Er hatte ja doch recht. Wir mussten hier beide raus und zwar so schnell wie möglich. Ich wollte keinen Tag länger mit dem im selben Raum sein. Schließlich hatte ich schon zwei überleben müssen. Dann war uns endlich eine Möglichkeit eingefallen, die uns zu Flucht verhelfen könnte. Immerhin konnten wir jetzt laut über unseren, nein. Über meinen Plan reden. Wir haben am ersten Tag zwei Wanzen gefunden, die platziert worden waren um uns abzuhören, aber ich habe es geschafft sie unschädlich zu machen. Das war den Polizisten bestimmt aufgefallen aber zum Glück hatte es sie nicht weiter interessiert. Sie haben vermutlich nicht ernsthaft erwartet, dass dieser Trick wirklich funktionieren würde. Nicht, wenn man bedenkt, wen sie hier eigentlich eingesperrt haben. So gesehen haben sie einen großen Fehler gemacht. Sie haben uns zusammen eingesperrt.
Wahrscheinlich haben sie einfach gehofft, dass wir uns gegenseitig umbringen. Aber das würde ich niemals tun. Ja, ich habe verbrochen was ich verbrochen habe aber ich habe nie gemordet oder getötet. Bei meinem reizenden Mitbewohner kann ich mir, was das betrifft nicht sicher sein.
Aber wir sind im Moment noch aufeinander angewiesen. Was nebenbei bemerkt ein echt schreckliches Gefühl ist.
Leider geht es nicht anders. Aber wenn wir hier erst mal raus sind, dann will ich nie wieder was mit ihm zu tun haben. Wenn er nicht gewesen wäre, dann müsste ich jetzt nicht hier sein. Das ist alles seine Schuld. Natürlich sieht er das genau anders herum und macht mich für alles verantwortlich.
„Machst du dann auch mal was?" ,fuhr er mich an. Ich wandte meinen Blick von der schwach sichtbaren Delle in der Tür der Zelle ab und machte mich an die Arbeit. Es war nicht ganz so einfach diese Waffe herzustellen aber wenn es funktionieren wird, dann sind wir frei.
~
Ich kletterte so schnell wie möglich aus den Trümmern und hielt ihm die Hand hin. Er brauchte sie nicht, sondern stemmte sich selbst hoch. Dann begannen wir über das Gelände zu laufen. Wir hatten keine große Zerstörung hinterlassen. Ich fing an zu rechnen wie fiel Vorsprung wir wohl hatten. Höchstens zwei Minuten. Vielleicht aber mehr, wenn sie die Verfolgung nicht gleich aufnehmen würden, weil sie davon ausgehen, dass wir nicht weit kommen würden. „Rechts!" ,schrie ich ihm zu. Wenn er seinen Teil richtig gemacht hatte, dann müsste der Hochspannungszaun lahm gelegt sein. Nur noch dieser trennte uns von der Freiheit. Ohne lange nachzudenken griff ich mit der Hand nach dem Zaun. Der Strom war aus. „Es hat funktioniert" ,sagte ich an ihn gewandt und trotz der Dunkelheit konnte ich einen etwas überraschten Gesichtsausdruck an ihm erkennen. Er hat vermutlich nicht erwartet, das ich so viel Vertrauen in ihn hatte. Aber ich würde es in unserer momentanen Situation nicht als Vertrauen bezeichnen. „Los jetzt!" ,zischte ich und er verbog ohne große Mühe den Zaun, sodass wir unten durch kriechen konnten.
Freiheit.
Jetzt hieß es nur noch lauf und lass dich nie erwischen. Wir rannten durch den Wald. Ich nahm alles viel bewusster auf als sonst. Der Geruch von feuchter Erde, wie nach Regen. Das rascheln der Blätter im Wind. Die Geräusche der Eulen. Es kam mir wunderschön vor. Alles andere wirkte Meilenweit entfernt. Es war kaum zu glauben, dass sich hinter uns eine Polizeiwache und vor uns eine achtspurige Autobahn befand. Ich atmete die kühle Nachtluft ein.
Die Autobahn war das größte Problem. Es war beinahe unmöglich sie zu überqueren. Natürlich gab es Brücken und Tunnel, aber die nächste Überfahrt war zwei Kilometer weiter östlich. Bis wir sie erreicht hätten, würde uns die Polizei einholen. Wie mussten es versuchen. Als wir den Waldrand erreichten, wurde mir klar, dass ich es mir ja doch mit weniger Verkehr vorgestellt hatte. Sie lag direkt unter uns. Wie ein Graben zog sie sich durch die Landschaft und schien kein Ende zu nehmen.
Das würde alles andere als leicht werden.
Ich warf ihm einen kurzen Blick zu, doch er ließ meine Augen nicht los. Dann machte er einen Schritt auf mich zu und plötzlich waren seine Lippen auf meinen. Es waren nur einige Sekunden aber es kam mir richtig vor.
Als er sich von mir löste, drehte er sich sofort weg. „Tut mir leid." ,sagte er und es klang vollkommen ehrlich. „Ich wollte das nur ein mal getan haben bevor ich sterbe." Dann sah er wieder nach vorne, als versuche er unter den tausenden von Autos ein Muster zu finden, dass ihm eine Möglichkeit gab das zu überqueren. Ich nickte nur aber ich wusste, dass er es gesehen hatte. Es hatte so viel heißen sollen, wie ‚Entschuldigung akzeptiert'.
Dann nickte er und wir stürzten uns hinab in den Graben, und kämpften mit Monstern aus Blech und Stahl um Leben und Tod.
Ich hatte es bis zu sechsten Spur geschafft, als mich ein LKW anfuhr.

Hätte ich an die zwölf Sekunden länger gelebt, hätte ich gesehen, wie er die andere Seite erreichte.
Hätte ich dreizehn Sekunden länger gelebt, hätte ich gesehen, dass er sich umdrehte.

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